Verkannte Kunst

Verkannte Kunst (9): Avril Lavigne war der weltbeste Tomboy für Bravo-Leser*innen


Zuletzt hat Avril Lavigne eher egalen Formatpop veröffentlicht. Früher jedoch, meint Julia Lorenz, war sie die anti-bourgeoise beste Freundin für Teenager, die sich wie Außenseiter fühlen. Ein Plädoyer.

Seit Mai hatte unser Enfant terrible Linus Volkmann hervorragende Unterstützung an seiner Seite – und seine Hater eine Verschnaufpause: Die Popkolumne, die er seit Anfang 2019 wöchentlich für uns schreibt, schrieb Linus fortan nur noch zweimal pro Monat, im Wechsel übernahm ME-Autorin Julia Lorenz. Die hat Anfang Februar 2020 ihr Zepter leider niederlegen müssen. Zum Glück bleiben uns ihre Texte aber erhalten.

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Während Linus sich regelmäßig über sogenannte „Verhasste Klassiker“ hermachte, entgegnete Julia ihm mit ihrer Rubrik „Verkannte Kunst“. In der neunten Ausgabe ihrer Kolumne am 11. Oktober 2019 freute sie sich über das neue Album von Big Thief, erklärte wie Avril Lavigne für kurze Zeit der weltbeste Tomboy für Bravo-Leser*innen wurde und erörterte die anhaltende Kindesmissbrauchs- und Machismo-Debatte um Joaquin Phoenix‚ (damals) neuen Kinofilm „Joker“.

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Verkannte Kunst (9): Avril Lavigne

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Die frühen Nullerjahre waren eine Nichtzeit. Irgendwie waren die euphorischen Neunziger vorbei, aber so richtig hatte das neue Jahrtausend noch nicht begonnen. Menschen färbten sich Blocksträhnen ins Haar, und unter Nu-Metal-Flagge segelten Bands wie Limp Bizkit in Fahrwasser ungekannter Geschmacklosigkeit. Sicher, Popstars wie Britney Spears und Christina Aguilera waren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.

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Aber irgendwer musste sich ja auch um die Kids kümmern, die Pickel und Komplexe, aber keine große Schwestern mit Bikini-Kill-Platten hatten. Denen machte Avril Lavigne, superjunge Pophoffnung aus bibeltreuem Elternhaus in Kanada, mit ihrem Debütalbum LET GO ein unwiderstehliches Identifikationsangebot: In Baggyhosen und mit Krawatte überm Tanktop gab sie die pandaäugige, skatende, anti-bourgeoise beste Freundin für Teenager, die sich wie Außenseiter fühlen – also für alle.

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Geschenkt, dass ihr eingängiger Bubblegum-Punk zwar nach Rebellion und Teenage Angst klang, aber weder ernsthaft gefährlich noch abgründig war; ihre Credibility als Bad Gal reichte immerhin, um ihr auf einem Rolling-Stone-Titel den Ehrentitel „The Britney Slayer“ zu bescheren.

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Tatsächlich war Avril Lavigne ein nicht weniger sorgsam ausgedachtes Kunstprodukt als ihre (lip-)glossy Antipodinnen: Zu Beginn ihrer Karriere wollte man sie als „Mischung aus Sheryl Crow und Fiona Apple“ in Stellung bringen. Die Krawatte hat Lavigne längst abgelegt, später Nickelback-Sänger Chad Kroeger geheiratet, den wohl meistverarschten Mann im Rockgeschäft, einige Platten mit egalem Formatpop veröffentlicht, so erst kürzlich – und Menschen zur sich hartnäckig haltenden Verschwörungstheorie inspiriert, sie sei seit Jahren tot und durch eine Doppelgängerin ersetzt worden. Aber für eine kurze Zeit war sie der weltbeste Tomboy für Bravo-LeserInnen. Und die Rettung vor Limp Bizkit.

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Dieser Text erschien zuerst in Folge 36 unserer Popkolumne:

„Joker“-Debatten, Big Thief und Avril Lavigne: Die Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.