Popkolumne, Folge 52 (Sonderausgabe)

Zu ihrem Popkolumnen-Abschied: Julia Lorenz empfiehlt Autorinnen, die Ihr lesen solltet


Niemals geht man so ganz: Unsere Autorin Julia Lorenz legt das Popkolumnenzepter zurück in die Raucherecke beziehungsweise zu Linus Volkmann. Aber nicht ohne noch einige dringende Leseempfehlungen auszusprechen. Danke dafür und bis hierher, Julia!

Liebe Menschen da draußen,

it’s over. Zumindest für mich, zumindest hier. Kollege Volkmann muss künftig wieder als lonesome rider – oder in ganz neuer Gesellschaft, wer weiß? – über die Popwoche und ihr Personal lästern: Ich lege das Kolumnenzepter zurück in die Raucherecke, aus der er und ich es einst geklaut hatten, als beim Musikexpress gerade keiner guckte.

Irgendwie ja auch schön, in dieser Woche der Hiobsbotschaften was Dramatisches anzukündigen. In Thüringen kuscheln schließlich die „bürgerlichen Parteien“ mit Nazis, drüben in England (Ihr wisst schon, dieses Land, das mal zu Europa gehört hat) stellt der irrlichternde Boris Johnson die bisherige Finanzierung für die BBC infrage. Und nun stirbt auch noch Kirk Douglas, Zeit seines Lebens zugleich die Inkarnation des Hollywood-Stars, unanständig reich, und doch – das sollte man nicht vergessen – stabiler Antifaschist. Immerhin: mit 103 Jahren.

So arg man gerade an allem verzweifeln kann, so viel Grund gibt’s für mich doch, zum Kolumnen-Abschied ein bisserl gute Laune zu verbreiten. Dass ich als junge Frau im (einst) notorischen Buddybusiness Musikjournalismus einen Platz habe, um mir Gedanken über Popthemen zu machen, die gerade die Welt (oder, nunja, zumindest uns verirrte Musiclovers) bewegen – dafür mussten Autorinnen in den 80er-, 90er- und 00er-Jahren vermutlich durch Redaktionskonferenzen aus der Hölle.

Vor einigen Tagen traf ich die Berliner Band Jolly Goods zum Gespräch, über deren aktuelles Album SLOWLIFE ich schon an anderer Stelle geschrieben habe. Sängerin Tanno Pippi erzählte mir, wie schlimm sexistisch noch zu Beginn ihrer Karriere vor über zehn Jahren über das Schwesternduo geschrieben wurde – und wie angenehm überrascht sie mittlerweile von manchem Artikel seien. In einer Rezension zu ihrem Album WALRUS von 2011 hatte noch gestanden, Tanno Pippis Stimme klinge nach „erwachsenem Sex“. Eine Formulierung, mit der man heute vermutlich nicht mehr durchkommen würde, ohne einmal (nicht zu Unrecht) durchs Social-Media-Fegefeuer geschickt zu werden. Irgendwie dreht die Welt sich doch weiter.

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Damit’s so bleibt, auch im deutschsprachigen Musikjournalismus, empfehle ich ausnahmsweise mal keine Musik, sondern Autorinnen: Lest Annett Scheffel, Aida Baghernejad, Laura Aha, Julia Friese, Sandra und Kerstin Grether, Jennifer Beck, Diviam Hoffmann, Juliane Liebert, Birgit Fuß, Fatma Aydemir, Juliane Streich, Paula Irmschler, Christina Mohr, Nadine Schildhauer, Ariana Zustra, Ilona Hartmann, Hella Wittenberg und die dutzenden anderen Autorinnen, die im Popkosmos unterwegs sind. (Dass diese Aufzählung noch immer verdammt weiß ist: Jap, das ist ein Problem.)

Ich sage erstmal Adios, zumindest auf diesem Kanal, den ich mir in den vergangenen Monaten mit dem wunderbaren Linus Volkmann teilen durfte – den ich nicht nur wunderbar finde, weil er sich regelmäßig (und sehr viel lustiger als ich) gegen alle ekligen -ismen ausspricht, sondern auch, weil es ihm an etwas mangelt, von dem ich oftmals zu viel habe: Respekt.

Während er in seiner Rubrik „Verhasster Klassiker“ am Sockel vermeintlicher Alben-Monumente sägte, sprang ich regelmäßig für Acts in die Bresche, die man normalerweise nicht mal ironisch cool finden darf. Beide Herangehensweisen – Respektlosigkeit den heiligen Kühen gegenüber wie auch Interesse an Dingen, die als „geschmacklos“ abgeheftet werden – sind wichtig, wenn man Pop wirklich liebt und ernst nehmen will. Auch wenn sie im Tagesgeschäft oft viel zu wenig Platz finden. Und einem nicht immer Liebe von Leser*innen und Fans einbringen. Spaß gemacht hat’s dennoch – Euch hoffentlich auch.

Alles Liebste!

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.