War zu unscharf


Sie war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Fotografin Pennie Smith schoss das berühmteste Bild der Rockgeschichte. Ein Interview.

Sie haben im Lauf der Jahrzehnte Tausende von Fotos gemacht. Nervt es Sie, dass Leute wie ich Sie immer nur auf das eine ansprechen?

Hmm. (schweigt) Ja. (lacht) Die Leute sagen, es sei ein – ich mag dieses Wort nicht – „ikonisches Bild“. Und alle paar Jahre, wenn wieder ein Jubiläum ansteht, werde ich danach gefragt. Ja, es langweilt mich ein bisschen, zumal es auch nicht mein Lieblingsfoto ist.

Welches ist Ihr Lieblingsfoto?

Ich mag eher dokumentarische Motive, zum Beispiel Fotos aus dem Backstagebereich. Ich mag zwar auch Livefotos, man kann als Fotograf ja auch nicht viel anderes machen an den Abenden auf Tour. Aber mein Hauptinteresse gilt den Menschen. Wenn ein Musiker sich verspielt und die anderen alt aussehen lässt oder wenn sie sich angrinsen auf der Bühne. Ich mag nicht diese Mikrofonvor-der-Nase-Motive.

Sie waren sehr nah dran an The Clash. Wie kam diese enge Beziehung zustande?

Ich habe einmal für den NME für ein Interview Backstage-Fotos bei ihnen gemacht. Irgendwann danach rief mich einer aus der Band an – ich kann mich nicht mehr erinnern, wer es war-und fragte mich, ob ich für sie nicht ein paar Bandaufnahmen machen wollte. Ich sagte zu, weil ich das ziemlich einfach fand.

Sie erinnern sich sicher an den 21. September 1979 im Palladium in New York City?

Wir waren schon fast zwei Monate lang zusammen auf Tour in den USA. Ich hatte in der Zeit schon so viele Livefotos von The Clash gemacht, dass ich eigentlich keine Lust hatte, überhaupt zu dem Konzert zu gehen. Aber weil sie mittlerweile Freunde für mich geworden waren, ging ich hin. Normalerweise fotografierte ich von der Bühnenseite, auf der Mick Jones stand. An diesem Abend entschloss ich mich, auf die von Paul Simonon zu gehen. Dort war es schwerer zu arbeiten, weil da das Mischpult aufgebaut war. Und Paul wirkte an diesem Abend irgendwie deprimiert, was ungewöhnlich für ihn war.

Ursprünglich wollten Sie das Bild gar nicht veröffentlichen, weil es leicht unscharf ist…

… es ist sehr unscharf …

… dann hat Joe Strummer Sie überredet, es doch zu tun. Haben Sie ihre Entscheidung bereut?

Irgendwann zeigte ich der Band ein paar Kontaktabzüge. Und Joe Strummer fragte mich, was ich davon halten würde, wenn sie dieses Motiv für ihr Albumcover verwendeten. Ich war dagegen, weil es mir zu unscharf war. Aber wie alle Bands, mit denen ich gearbeitet habe, ließen mich The Clash machen, was ich wollte. Letztlich überließ ich ihnen dann die Entscheidung, und so wurde das Bild das Motiv für das Cover von LONDON CALLING. Ichhasste es – nein, ich habe es nicht gehasst, ich konnte es einfach nicht ansehen.

Das Foto ist nicht nur „ikonisch“, es geht weit darüber hinaus. Es sagt aus, worum es im Rock’n’Roll geht. Es geht um Leidenschaft und Gefühl, nicht um technische Perfektion.

Vollkommen richtig. Schärfe bei einem Bild war für mich nie ausschlaggebend. Um ehrlich zu sein: Ich hasse den ganzen technischen Kram beim Fotografieren. Absolute Schärfe hat mich bei Fotos nie interessiert. Was ich im Rückblick festgestellt habe: Gott sei Dank sieht man Pauls Gesicht nicht auf dem Bild, es könnte jeder andere Musiker sein. Was dem Foto sehr geholfen hat. Wenn es einfach eine Aufnahme von Paul mit allen Details gewesen wäre, wäre es sicher nicht das Bild geworden, das es jetzt ist.

Wann haben Sie gemerkt, dass dieses Bild etwas Besonderes war?

Wahrscheinlich als es zum ersten Mal aus meinem Büro gestohlen wurde, (lacht) Die Journalisten haben nie aufgehört, über das Foto zu schreiben. Es gab die Zeit vor dem Album und danach. Das Foto bekam zusammen mit dem Album sehr gute Kritiken.

Das Foto dokumentiert den Augenblick kurz bevor Paul Simonon seinen Bass zerschlägt. Als Betrachter weiß ich nicht, ob er es wirklich getan hat. Ja, er hat’s gemacht. Ich bin während des Fotografierens ein paar Schritte zurückgegangen, weil mir die Trümmer und seine Armbanduhr um die Ohren geflogen sind. Ich glaube, Paul hat mittlerweile die Überreste des Instrumentes wieder. Eine Zeitlang waren sie in der Rock’n’Roll Hall Of Farne ausgestellt.

Sie waren schon vor dem LON-DON CALUNG-Cover eine berühmte Rockfotografin.

Ich weiß nicht, Ruhm liegt im Auge des Betrachters. Ich sehe mich mehr als Künstlerin, nicht so sehr als kommerzielle Fotografin.