Weezer: Er tankt „Normal“


Immer, wenn Weezer richtig Fahrt aufnehmen, tritt einer auf die Bremse. Meist ist das Rivers Cuomo selbst.

Es kann nicht jeder von sich behaupten, sich gleich zum Auftakt seiner Karriere die Bühne mit Keanu Reeves geteilt zu haben. Im April 1992 war das, in Raji’s Bar am Hollywood Boulevard von Los Angeles, als Rivers Cuomo mit seiner Band Weezer sein erstes Konzert gab – im Vorprogramm einer Gruppe namens Dogstar, deren Bassist damals gerade in „Bram Stoker’s Dracula“ einen ersten Höhepunkt seiner Karriere erlebte.

Nein, der Beginn einer wundervollen und vor allem für Klatschspalten ergiebigen Freundschaft ließ sich danach leider nicht vermelden. Die Begegnung zwischen dem Weezer-Nerd und dem späteren „Matrix“-Neo war nur ein Zufall ohne Folgen, wie er Chronisten auffällt, 13 Jahre, vier Alben, eine EP und eine DVD später. Doch da der Zufall ohnehin eine große Rolle spielt in der Geschichte dieser Band, die, wie Cuomo einmal anmerkte „zufällig entstand und bestand“, macht sich diese Begebenheit am Anfang der Geschichte von Weezer bestens.

Im Mai 1994, als Weezer mit dem eigentlich namenlosen, dafür sogenannten „Blue Album“ auf Anhieb die Charts eroberten, hatte sich gerade Kurt Cobain vom Leben verabschiedet, während die überlebenden Beatles ihre Wiedervereinigung für einen Augenblick ankündigten. Stillstand allenthalben. Nur im Musikfernsehen (ja, das gab es mal – und es war auch eines und hieß nicht nur so!) machte ein so fröhliches wie geniales Video Furore, das wirkte wie eine Folge der Seventies-TV-Serie „Happy Days“. Genau das war es auch, nur hatte Regisseur Spike Jonze anstelle der Original-Kapelle per Computertrick eine andere Gruppe auf die Bühne montiert- Weezer eben, die sich nicht nur mit ihren gewaltigen Hornbrillen perfekt in das Setting integrieren ließen, sondern auch mit ihrem sonnigen Song.

Buddy Holly“ machte die Gruppe schlagartig berühmt, mehr noch, er katapultierte Weezer dank des Jonze’schen Kunstgriffs aus dem Stand in den Rang von Pop-Ikonen. Ikonen mit Humor, die selbst Vergleiche mit They Might Be Giants lächelnd wegsteckten: „Wir sind, ehrlich gesagt, eine superstraighte Gitarrenrockband aus Amerika.“ Vielleicht waren es die dicken Brillen, vielleicht auch nur der Umstand, daß vor allem Frontmann Rivers Cuomo bei Interviews jeglichen Glamour vermissen ließ – jedenfalls waren es Weezer, die dem bösen Wort vom „Nerd“ eine völlig neue Bedeutung gaben. Dank dieser Band (und dem Internet-Boom) war es nicht mehr uncool, ein hochbegabter Außenseiter mit Sozialphobie zu sein. „Obwohl“, wie damals Schlagzeuger Patrick Wilson betonte, „wir eigentlich ganz normale Typen waren. Und Rivers auch „. Der gab später zu Protokoll, daß seine Befangenheit vor allem auf eine angeborene Behinderung zurückzuführen sei: „Ein Bein ist ein paar Zentimeter kürzer als das andere, ich kann’s auch nicht ändern.“

Nein, er selbst konnte das nicht. Aber nach dem Erfolg des ersten Album hatte Cuomo genug Geld, um die Fachleute ran zu lassen. Er ging ins Krankenhaus, um die Unregelmäßigkeit richten zu lassen. Doch mit einer einfachen Operation war es nicht getan. Cuomo mußte sich einen Stahlspanner ins Bein pflanzen lassen. „Ich drehte das Ding täglich ein paar Umdrehungen weiter, um das Bein zu verlängern. Wenn ich meine persönlichen Erfahrungen vertonen würde“, erzählt er damals, „müßte ich norwegischen Death Metal machen.“

Ansonsten war Rivers Cuomo so normal, daß er die Verantwortlichen von der Plattenfirma in den Wahnsinn trieb. Die erwarteten nach OP und Leidenszeit ein zweites „Blue Album“ von dem Wunderknaben und hätten dafür auch Allüren in Kauf genommen. Aber Cuomo schrieb sich erst einmal in Harvard ein, um in Ruhe zu Ende zu studieren. In den Semesterferien trommelte er dann endlich seine Band zusammen, um im stillen Kämmerlein am denkbar Uncoolsten zu arbeiten, was eine Band tun kann. Sagen wir es so: Schlimm ist ein Konzeptalbum, schlimmer eine Rock-Oper, am allerschlimmsten aber ist eine Space-Rock-Oper mit Lyrics über Sternenstaub und ferne Planeten. Mit „Songs From The Black Hole“, so der Arbeitstitel für dieses Werk, trachtete Cuomo danach, all diese Fürchterlichkeiten auf einer einzigen Platte zu versammeln. Und scheiterte, wenngleich einige Songs dieser Sessions es auf das folgende Pinkerton schafften – ein Album, das auch nicht eben als ein Stelldichein griffiger Funpunkriffs in die Geschichte eingehen sollte. Schroffer und düsterer als das blaue Album, überdies betitelt mit dem Namen einer Figur aus einer Oper von Giacomo Puccini, verkaufte sich Pinkerton nur mäßig.

Songs wie „The Good Life“ oder „El Scorcho“, die von Cuomos Wiederabtauchen in die studentische Anonymiät handelten, schienen wie komponiert zu dem Zweck, die Fans vor den Kopf zu stoßen. Der US-Rolling-Stone war gleich so konsterniert und beleidigt, daß er Pinkerton 1996 zum „Worst Album Of The Year“ ernannte. Aber Geschmäcker ändern sich, Platten können wachsen: 2004 nahm das Musikmagazin Pinkerton in seine „Album Hall Of Farne“ auf und erklärte es zu einem Meisterwerk des Alternative Rock.

Und wie reagierte Rivers Cuomo? Der hatte den Erfolg seiner Band ohnehin für ein fürchterliches Mißverständnis gehalten, zuckte mit den Schultern und kehrte nach Harvard zurück. So war denn alles in Auflösung begriffen. Bassist Mikey Welsh, der nach Pinkerton Matt Sharp ersetzt hatte, verabschiedete sich bis auf weiteres mit psychischen Problemen. Ohne den Input Cuomos lief gar nichts bei Weezer, und der widmete sich Heber dem Studium der englischen Literatur, derweil Pinkerton mehr und mehr Freunde fand. Erst im April 2000 schlug der Zufall wieder zu, als sich ein paar japanische Fans das Herz faßten und nachfragten, ob es denn Weezer überhaupt noch gebe und, wenn ja, ob man die Band für das Fuji-Festival buchen könnte. Die Asiaten winkten zudem mit einem extra dicken Geldscheinbündel, und so trommelte Cuomo die Reste der Band zusammen, füllte die Lücken mit Neueinsteigern und setzte sich ins Flugzeug.

Der Auftritt, eigentlich als einmalige Sache geplant, entpuppte sich als Glücksfall und kreativer Katalysator. Zurück in Los Angeles, verfügten sich Weezer unverzüglich ins Studio, das sie schon im Juni mit einem neuen Album wieder verließen, von dem im März noch niemand zu träumen gewagt hätte: „The Green Album“ war ein echtes Comeback des bewährt fröhlich-druckvollen Hymnen-Pop, auch wenn die Gruppe selbst noch nicht daran zu glauben schien: Auf Tournee gingen sie zunächst unter dem Namen Goat Punishment (der bis heute ihr Pseudonym für Geheimgigs geblieben ist), bevor sie sich wieder als Weezer zu erkennen gaben. Es sollte ein Triumph werden, dessen Schwung sie prompt nutzten und mit Maladroit gleich ein weiteres Album nachschoben. Genau der richtige Zeitpunkt für Matt Sharp, seine ehemaligen Kollegen zu verklagen. Er habe frühe Songs mitgeschrieben, wurde und werde aber nicht dafür bezahlt. „Sieht ganz so aus“, mutmaßte er ganz richtig in einer E-Mail, „daß wir wieder Geld verdienen …“

Im Jahr 2002 war das, und seitdem herrschte einmal mehr Funkstille bei Weezer. Als Rivers Cuomo endlich bereit war, sich neben seinen privaten Befindlichkeiten, Handicaps und der Wissenschaft der Musik zu widmen, ging’s frisch ans neue Werk. Für die erste Auskopplung von Make Believe, das flotte „Beverly Hills“, drehte die Band denn auch wieder ein Video, das den visuellen Ansprüchen der Band gerecht wird – im berüchtigten Playboy Mansion von Hugh Hefher, dem Kulminationspunkt all der Dekadenz, die in dem spöttisch besungenen Stadtteil von Los Angeles zu Hause ist. Schon ist die Gruppe für Festivals weltweit ausgebucht, die Autofreaks Wilson und Shriner freuen sich jetzt schon auf heiße Verfolgungsjagden bei Rock am Ring. Sieht ganz so aus, als würde die Zukunft von Weezer eine strahlende werden. Die einzige Sorge, die sie derzeit um treibt, ist die Frage, ob „die Deutschen denn die Ironie von ‚Beverly Hills‘ verstehen werden“. Sie werden, keine Sorge! Und wenn nicht, ist es ihnen leicht beizubringen. Schwieriger wird es da vielleicht, Weezer zu erklären, daß am Rande von Rock am Ring in der Regel keine Autorennen stattfinden.

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