Weniger Pop! Mehr Marketing!


Kaiser Chiefs

The Future Is Medieval

www.kaiserchiefs.com (die individuellen Alben)

Polydor/Universal (das offizielle Album)

ohne Bewertung

Die Wave-Popper, die niemand mehr auf der Rechnung hat, bringen sich mit einem spektakulären Veröffentlichungsverfahren wieder ins Gespräch: 184 756 Kaiser-Chiefs-Alben an einem Tag.

Es muss nicht zwangsläufig über eine böse Zunge verfügen, wer behauptet, dass der „Scoop“ um die Veröffentlichung des Albums Nummer vier (bis Nummer 184 756) vielleicht die einzige Möglichkeit für die Kaiser Chiefs gewesen ist, um wieder halbwegs berichterstattungswürdig zu werden. Die Band aus Leeds stellt The Future Is Medieval als kostenpflichtigen Download auf ihrer Website zur Verfügung, und der Kunde kann sich aus 20 Tracks zehn heraussuchen – theoretisch sind 184 756 verschiedene Varianten des Albums möglich.

Aber blicken wir zurück. Das Kaiser-Chiefs-Debüt Employment, im Frühjahr 2005 veröffentlicht, ist für mich persönlich eine der besten Platten der Nullerjahre, ein fast perfektes Album irgendwo zwischen dem New Wave der Siebziger und dem Britpop der Neunziger. Das Geheimnis hervorragender Debütalben liegt oft in der Zeit, die ihnen zur Entstehung gegeben wird. Employment wurde vom Sommer 2004 bis zum Ende des Jahres aufgenommen. Viele der Songs stammen noch aus der Zeit, in der die Band ohne Plattenvertrag war. Yours Truly, Angry Mob vom Februar 2007 klang dann genau so wie die Bedingungen seiner Entstehung es vermuten ließen. „Der Markt“ verlangte nach einem zweiten Album, also wurde es in zwei Monaten im Herbst 2006 zusammengeschustert – mit Songs, die nebenbei auf einer Neverending-Tour entstanden waren. Auf dieser Post-Employment-Tournee spielten die Kaiser Chiefs auch noch den letzten von Mobilfunkanbietern gesponserten Gig. Aber Album Nummer zwei war immer noch einen Hauch besser als die Vollkatastrophe Off With Their Heads von 2008.

Und jetzt Album Nummer vier. Ich begebe mich also auf die Website der Kaiser Chiefs ohne allzu große Erwartungen und höre mir die 20 Songs an. Befürchtungen, aus dem Album würde vielleicht nur eine 5-Track-EP werden, lösen sich in Luft auf. Nach dem ersten Durchgang habe ich zwölf Tracks auf meinem imaginären Wunschzettel. Ich muss mich von zweien trennen um zu meinem finalen Tracklisting zu kommen (siehe unten).

Das Ergebnis ist zumindest nicht ärgerlich, was nach den letzten beiden Alben der Kaiser Chiefs zu befürchten war. Der Song „Little Shocks“ ist sogar eine Überraschung, er erinnert in seiner Refrainfreiheit und Struktur an nichts, was diese Band vorher gemacht hat. Manche Songs sind mit einem hübschen Sixties-Gitarren-Twang ausgestattet („Child Of The Jago“), andere mit einem funky Groove, den man diesen Biertrinkern aus Leeds gar nicht mehr zugetraut hätte („Fly On The Fall“). Aber bis auf „Little Shocks“ ruft jeder Song auf „meinem“ Kaiser-Chiefs-Album die Erinnerung an bereits bekannte wach. Aber wer bin ich, das zu kritisieren? Ich war es ja schließlich, der diese Lieder in den virtuellen Einkaufswagen gelegt hat?

The Future Is Medieval ist wie die Wahlen zur Volkskammer in der DDR. Es ist die Scheindemokratisierung eines nichtdemokratischen Prozesses – in diesem Fall: die Albumproduktion. Die Kaiser Chiefs wollen, dass du ihr neues Album produzierst! Nein, sie wälzen die Verantwortung für das Album auf den Käufer ab. Nicht vergessen: Die 20 Songs, aus denen der Käufer „sein“ Album zusammenstellen kann, wurden von den Kaiser Chiefs aufgenommen und zur Auswahl gestellt. Die Frage „Wie findest du die letzte Kaiser Chiefs?“ wird man sich in Zukunft sparen können, oder mit der Gegenfrage „Welche der 184 756 meinst du?“ rechnen müssen.

Diese Marketing-Aktion wird dadurch ad absurdum geführt, dass die Plattenfirma der Kaiser Chiefs am 1. Juli dann doch noch eine „offizielle“ Version des Albums veröffentlicht hat. Die 13er-Tracklist führt einen Song auf, der nicht in der ursprünglichen 20er-Auswahl enthalten war. Nichts Böses dabei denken.

Persönliche Tracklist: 1. „Back In December“ 2. „Can’t Mind My Own Business“ 3. „Child Of The Jago“ 4. „Fly On The Wall“ 5. „Heard It Break“ 6. „If You Will Have Me“ 7. „Little Shocks“ 8. „Long Way From Celebrating“ 9. „Out Of Focus“ 10. „Things Change“

Key Tracks: „Little Shocks“, „Child Of The Jago“, „Fly On The Wall“

Artverwandtes: The Wombats This Modern Glitch (2011) Arctic Monkeys Suck It And See (2011)