Wer gut gekleidet ist, entscheidet Wäis Kiani. Heute vor dem Stilgericht: Pete Doherty


Welcher Gedanke sollte einem bei Anblick eines jungen Mannes, der am Arm eines Polizisten aus dem Gerichtsgebäude geführt wird, als erstes durch den Kopf schießen? Was für ein schöner Anzug, sollte man natürlich denken, wie liebevoll darauf abgestimmt die elegante Farbe der Krawatte! Und auch: sehr gute Schuhe, sicher handgenäht und selbstverständlich braun, denn es ist Tag und wir sind in England wo gilt: No browns after six! Wer so gekleidet zu einem Gerichtstermin erscheint, muss ein Gentleman sein! Genau das sollte man denken. Dass diesem dunkelblauen Mantel einige Nächte als Schlafsack auf einem fremden Sofa eindeutig anzusehen sind, spielt irgendwie plötzlich keine Rolle, denn wozu hat man einen guten Mantel? Um sich in ihn zu wickeln, wenn man fröstelt und zu breit ist, um ein Sofa zu verlassen, ganz klar. Was sicher öfters vorkommt, da es sich bei dem jungen Gentleman um keinen Banker, sondern einen berühmten Rockstar mit verbotenem Lebenswandel handelt.

Pete Doherty weiß: Nichts macht eine Persönlichkeit begehrenswerter als ein Bruch innerhalb eines ungewöhnlichen Lebenswandels. Und so erfreut er uns immer wieder in allen Lebenslagen mit seinem lässigen, aber dennoch bis in die Fingerspitzen durchdachten Look, von dem jeder schwule GQ-Stylist nur sehnsüchtigst träumen, den er aber niemals hinkriegen kann. Pete trägt jedes verwaschene Ringelshirt, jeden Desert Boot oder auch nur einen Fransenschal um seinen verschwitzen Hals so selbstverständlich zielsicher und haarscharf auf den Punkt, dass man sich wundert, wie jemand, der die meiste Zeit damit beschäftigt ist, harte Drogen zu nehmen und verhaftet zu werden, noch soviel Zeit hat, sich seiner Garderobe zu widmen, um wie zufällig immer dandyhaft perfekt auszusehen, als käme er direkt von einem Cover-Shooting der Vogue Homme, und das schmierige Glänzen seiner Stirnfransen wären das Ergebnis einer Riesenladung Aveda Lotion Lissante und hätte nichts mit Ungewaschenheit und kaltem Drogenschweiß zu tun. Das ist unübertrefflich, und zwar so sehr, dass der arme Dior-Designer Hedi Slimane keinen anderen Ausweg sah, als sich mit Pete zu befreunden, um die Bühnengarderobe der Babyshambles entwerfen zu dürfen und Pete in allen Lebenslagen mit seiner Kamera zu dokumentieren. Denn wenn es Männer gibt, die einfach alles an ihrem Arm tragen können, und es sieht großartig aus, egal ob ein Top-Model, eine Gitarre oder auch nur einen uniformierten Bullen, dann ist Pete sicher ihr Anführer.

Wäis Kiani

Die Mode-Kolumnistin und Bestseller-Autorin („Stirb, Susi!“) schreibt und lebt in Zürich.