Popkolumne, Folge 224

„Du fängst dir gleich eine!“: Sieben verstörende Begegnungen mit Musikern


Lest diese gesammelten Indiskretionen, bevor wir alles schwärzen müssen. Mit Pete Doherty, Moses P. und Tom Liwa.

Eine Kolumne namens Ärger. Gegen all die Wohlfühl-Nostalgie im stets gern zurückschauenden Pop empfiehlt Linus Volkmann einen Realitäts-Check. Sieben Storys, die zu rufen scheinen: „Never meet your idols!“ Lest diese gesammelten Indiskretionen, bevor wir alles schwärzen müssen. Mit u.a. Pete Doherty, Moses P. und Tom Liwa.

Zur Abschreckung

Zwei Kolumnen-Episoden der vergangenen Jahre habe ich der Erinnerung gewidmet, sie erzählen legendäre Begegnungen mit Künstler:innen nach, die mir im Laufe der Zeit geschehen sind: „Wenn Doro Pesch plötzlich abspült“ und „Kelly Osbournes Lippenabdruck“. Hier nun aber auch mal die verstörende Seite meiner Indie-Pop-Journo-Anekdoten: Sieben Ereignisse jenseits der Komfortzone. Gibt’s eben auch, friends. Aber sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt …

Gegen die Wand

Meine Begeisterung, eines der raren Interviews mit Jens Rachut (von u.a. Dackelblut, Blumen am Arsch der Hölle, Oma Hans) ergattert zu haben, weicht schnell einer konkreten Sorge. Was wenn der Typ wirklich dermaßen wenig Bock auf‘s Musikjourno-Labern hat, wie man so hört? Egal, beruhige ich mich, Hauptsache erstmal am Rocksaum eines der größten Punk-Songwriters auflaufen – der Rest wird sich schon weisen. Boy, was I wrong!

Jens Rachut und ich treffen uns in einem Restaurant mit schwäbischer Küche auf dem Kiez in Hamburg – und meine Rolle soll offensichtlich die sein, durch die dreifachverplombte Mauer des misslaunigen Mannes irgendwie zu ihm vorzudringen. Nun, wenn es so sein soll. Linkisch renne ich also – um in diesem Bild zu bleiben – mit jeder Frage aufs Neue gegen die abweisende Wand. Vergebens. Jedes von mir angebotene Thema scheint seine Verachtung für die Kulturpraxis Interview im Allgemeinen und die für mich im Besonderen eher noch weiter anzufachen. Lediglich wenn er vom Angeln in einer Hütte in Norwegen oder so erzählen kann, gerät er ins Plaudern. Schade! Denn diesen archaischen Tiertöterkult kann ich aufgrund persönlicher Überzeugung einfach nicht romantisieren – und verpasse so die einzige Bonding-Nische, die sich in der quälenden Stunde auftut.

Einmal wird es dann aber doch noch lebendig. Ich spreche den ehrfurchtgebietenden Allzeit-Punk darauf an, wie sich das mit dem Band-Ding jenseits der 50 so verhalte. Er quittiert diesen Exkurs auf sein Alter mit einem gleichsam erfrischenden wie ohne ein Lächeln abgefederten: „Du fängst dir gleich eine!“

Tja, wenn man schon seine Idole trifft, dann aber richtig. Dieses „Du fängst dir gleich eine!“ von Jens Rachut halte ich seit dieser Begegnung in Ehren. Hätte zwar lieber ein Selfie oder gar Autogramm bekommen, aber man kann es sich halt nicht immer aussuchen.

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Angeschissen: Warum Jens Rachut keine Kompromisse eingehen kann und will

Aufs Klo

Hausbesuch bei Moses Pelham. Wir schreiben die frühen Nullerjahre, der streitbare Guru von Rödelheim Hartreim scheint schon etwas befriedet, gerade ist sein Album GETEILTES LEID II erschienen – der Schlüsseltrack „Ein schöner Tag“ klingt fast ein wenig arg nach schunkeliger Bierwerbung.

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Doch ganz wegpusten kann das seinen damaligen Ruf nicht. Immerhin handelt es sich um den Typen, der erst ein paar Jahre zuvor Stefan Raab das Nasenbein brach. Als Antwort auf dessen Frotzeleien on air. Ziemlich gangsta, also das mit der Nase – wenn man es mal euphemistisch ausdrücken will. Vor allem für eine Deutschrap-Zeit noch vor Aggro Berlin und den Folgen. Doch als ich mit meinem Kollegen und einem Fotografen seine riesige Frankfurter Wohnung, die eine komplette Etage einnimmt und einen rundläufigen Balkon besitzt, besuche, wirkt Moses Pelham eher entspannt. Wir haben verabredet, dass es eines dieser Gespräche werden soll, bei dem nebenher auch gekocht wird. Das war zu jener Zeit so unser Ding.

Moses Pelham hat sich dafür sein Leibgericht ausgesucht: Macaroni and Cheese. Die Zutatenliste liest sich entwaffnend simpel: 500 Gramm Nudeln und 500 Gramm Käse. Genial! Dazu noch paar Eier und Sahne.

Als Moses mit der großen Pfeffermühle auf sein Werk pfeffert, tropft ihm Schweiß auf die Nudeln. Auch schon wieder irgendwie geil, denke ich überraschend in dem Moment – warum sollte ich das heute leugnen? Später auf dem kleinen Gästeklo ergibt sich noch ein weiterer intimer Einblick, den ich bin heute nicht vergessen habe: Dort hängt eine Goldene Schallplatte von Xavier Naidoos Erstlings NICHT VON DIESER WELT. Mit jenem lagen Moses Pelham und seine Plattenfirma 3p seinerzeit in einem Rechtsstreit wegen der Rechte bezüglich Naidoos Frühwerk. Die Platte des in Ungnade gefallenen Freunds auf dem Klo – ein unmissverständliches Statement.

Fotos: Rainer Holz
Moses Pelham: „Vor drei Jahren noch hätte ich eine Platte wie NOSTALGIE TAPE nicht gemacht“

Im Scheißheft

Für das Verlagshaus, für das ich einst tätig war, muss ich noch ein Foto besorgen. Ein Foto zu einem Artikel über den Musiker Tom Liwa. Da jener damals irgendwie gerade kein Label oder Management hat, rufe ich die Nummer auf einer seiner Platten an. Zu meiner Verwunderung meldet er sich tatsächlich selbst. Ich schildere mein – vermeintlich – banales Anliegen, komme aber nicht wirklich weit, denn unmittelbar beginnt Tom Liwa nun ausladend auf mich einzuteufeln. Wie es sein könne, dass unser Scheißheft ihn denn immer nur ignorieren würde. Das Argument, dass ich ihn aber doch anrufe, weil eine Story über ihn erscheint, lässt er aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen nicht gelten. Als dieser wütende Vorwurfsflashmob endlich ein Ende findet, schwöre ich mir, nie mehr bei diesem Mann vorzusprechen.

PS: Mit anderthalb Jahrzehnten Verspätung vollzog sich im vergangenen Jahr hier noch mal ein Plot-Twist. Als eine Kollegin mich fragte, ob ich anlässlich seines neuen Albums nicht mal mit Tom Liwa ein Interview führen wolle, verwies ich auf diese alte Geschichte. Sie sei für mich der Auslöser dafür, dass ich nicht wirklich mehr mit Liwas Werk vertraut bin.

Nach ein paar Wochen staune ich nicht schlecht. In meinem Privatpostfach findet sich überraschend eine Mail – Absender Tom Liwa. Er könne sich an besagten Rant zwar nicht mehr erinnern, hielte es allerdings nicht für unwahrscheinlich, dass dieser in jener Phase stattgefunden habe. Glaubwürdig und wertschätzend drückte er sein Bedauern aus. Ob ich vielleicht doch noch mal bei diesem Mann anrufen sollte? Ich wär‘ fast schon soweit!

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Mit Nägeln versehen

Kennt ihr EA80? Ich hoffe doch! Falls nicht: Bitte Zeitmaschine erfinden und noch mal paar Jahrzehnte zurückreisen, um die düsterste und intensivste Wave-Punk-Band überhaupt nachzuholen. Ich verspreche euch Schwermut, Hass und Gefrierbrand. Noch mehr (!) als Jens Rachut gilt der EA80-Sänger, genannt Junge, als Interviewverächter. Doch zu einer Gedenkveranstaltung des verstorbenen Autors Martin Büsser sind sowohl er als auch ich in Köln geladen. Endlich mal an dem Autor der legendär angepisst wirkenden Ikone EA80 schnuppern.

Denn die Reste der All-Star-Band Pechsaftha, in der Junge einst unter anderem mit Büsser spielte, sind vor mir dran. Pechsaftha performen mit Masken aus Pizza die Texte des Verstorbenen, ich soll mit anderen gemeinsam etwas aus Büssers Büchern lesen. Doch als wir den Platz am Pult einnehmen, staunen wir: Junge hat seine großen Nägel durch unser Buch getrieben und sie auf Bretter gehämmert. Später erfahre ich, das sei ein Zeichen gewesen, dass man gegen eine allzu gefällige Beschäftigung mit dem Werk Büssers setzen wollte.

Von meinem Traum, irgendwann doch einmal EA80 zu interviewen, bin ich seitdem kuriert.

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Zurecht gefeuert

Doch nicht nur Künstler:innen sind schräg im Umgang. In meinem ersten Job als Kolumnist bei einer längst verblichenen Stadtzeitung fiel mir die Aufgabe zu, regelmäßig die lokale Bandszene zu beleuchten. Da zu jener Zeit (kurz nach Bismarck) das Meiste über Fernsprecher lief, hatte ich eine „originelle“ Idee gefasst: Ich rief diverse bekanntere Regionalbands der Stadt Sonntagmorgens um sieben Uhr an. In dem dazugehörigen Text später lese ich heute, dass ich diese Aktion als eine Art „Tätigkeitsrolle“ inszenierte. Also in der Richtung: Wieso arbeitet ihr nicht an neuen Songs, sondern liegt im Bett? In der Rückschau wirkt es allerdings wie ein Telefonstreich aus der Mülltonne von Studio Braun (also jenem dagegen sehr unterhaltsamen Anrufterrorismus von Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk). Meine morgendlichen Gesprächsprotokolle entbehren leider jeden Sinn (nicht so schlimm) wie auch Humor (das tut weh). Dass ich diesen Job damals nicht lange halten konnte, hat heute mein vollstes Verständnis.

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10 Fakten über… Studio Braun

Unter Drogen

Okay, dann zum Abschluss noch zwei Storys, in denen Drogen eine entscheidende Rolle spielen. Bitte seid allerdings nicht enttäuscht, wenn ich sie beim Verhör auf der Wache verleugnen werde. Aber ich schwöre euch hier, es ist alles wahr.

Also … es war einmal ein Festival im Osten der Republik – vor genau zehn Jahren. Pete Doherty (damals noch ohne „r“) ist Headliner – und der boulevardeske Voyeurismus hat auch vor den Indie-Fans nicht Halt gemacht. Was soviel bedeuten soll wie, dass das immense Interesse an seinem Auftritt sich größtenteils darin erschöpft, ob der ehemalige Sänger der Libertines überhaupt aufläuft. Zu jener Zeit nämlich ist Doherty berüchtigt für Absagen und einen selbstzerstörerischen Rock’n’Roll-Lifestyle, der zwar viel Aufregung aber wenig Verbindlichkeit verspricht. Und tatsächlich platzt wegen Drogen zwar nicht Dohertys Auftritt, aber doch das vorher ausgemachte Interview mit dem Magazin, für das ich damals tätig bin. Allerdings nicht in der Form, wie man jetzt denken mag.

Stattdessen geschieht es, dass ich kurz vor dem Interviewtermin, welches nach Dohertys Auftritt stattfinden soll, einen Anruf erhalte. Der für den Talk vorgesehene Autor ist dran und gibt mir, dem zuständigem Redakteur, zu verstehen, dass er Farben sehen könne, sich ausziehen möchte und gerade durch die Nase gekotzt hätte. Alles in allem sei das eine sehr wichtige Erfahrung für ihn. Lediglich für ein Interview fühle er sich auf seinem allerersten LSD-Trip nun doch nicht so recht gewappnet. Tschüss, er gehe jetzt ins Licht, oder so irgendwas. Dann Stille am Handy.

Jetzt liegt es also an mir, das wertvolle Interview mit dem Headliner, das gleich stattfinden soll, noch zu retten. Doch auweia! Habe ich mich selbst doch seit geraumer Zeit im verwunschenen Unterholz neben dem Festivalgelände verlaufen, höre nur entfernt Bässe und schätze meine Chancen, von einem ostdeutschen Wolf angefallen zu werden, weit größer als die, den Artist-Bereich in absehbarer Zeit wiederzufinden. Mein Zustand ist zudem ähnlich aufgeschäumt wie der des ausgefallenen Autors. So kommen weder jener noch ich rechtzeitig beziehungsweise überhaupt bei dem Bungalow von Pete Doherty an. Mehr als peinlich, wenn ihr mich fragt.

Doch Glück im Unglück: Der Ruf von Doherty und der Wille der Leute, lieber am Mythos als an der Realität festzuhalten, nehmen nachträglich Einfluss auf die Geschichte. Niemand glaubt, dass die Journalisten zu drüber waren – nein, der Talk MUSS an Pete gescheitert sein. Zehn Jahre später möchte ich mich bei jenem Musiker dafür entschuldigen, dass ich dieser Lesart meist nur höchst halbherzig widersprach …

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Peter Doherty: „Ich bin seit Jahren die Speerspitze des Indie-Sleaze!“

Unter Drogen II

Noch einmal zehn Jahre früher. Anfang des neuen Jahrtausends arbeitete ich in einem umtriebigen Laden, der regelmäßig größere Pop-Events realisierte. Bei einer dieser Veranstaltungen geschah Erstaunliches hinsichtlich einer damals sehr angesagten Band, die bis heute noch aktiv ist. Aus Gründen, die sich im Laufe der Zeilen von selbst erklären, verzichte ich hier auf die Namensnennung.

Und der Abend zur Geschichte geht so: Die Show – ausgestattet mit diversen Acts – läuft bereits auf Hochtouren, da erreicht mich und andere Mitarbeiter:innen ein Krisen-Call aus dem Produktions-Office: Der erwähnte Co-Headliner sei zwar vor Ort, langweile sich gar im Nightliner auf dem Artist-Parkplatz, doch wolle erst auftreten, wenn eine bestimmte Menge an Kokain in den Bus reingereicht würde. Bitte was? Meine Kolleg:innen und ich halten das erst für einen Scherz der Marke „Man kann’s ja mal versuchen“, doch schnell verdichtet sich diese Erpressung – und ich und einige andere schwärmen ziel- und hilflos über das Gelände. Woher soll man um Himmels Willen derartige Drogen bekommen?

Für Insider:innen des Musik- und gerade auch Festival-Geschäfts mag das jetzt naiv klingen, denn solche Bedürfnisse stellen im Live-Zirkus nicht wirklich eine Seltenheit dar. Wie man darauf reagieren will (oder auch nicht), das wissen Veranstalter:innen gemeinhin im Vorhinein. Auch wenn man über eine solche Verfahrenspraxis natürlich nichts in der jährlichen Festivalchronik erfährt, ist auch das ein Teil der ganzen Live-Industrie.

Uns trifft es allerdings an diesem Abend erstmalig – und damit völlig unvorbereitet. Der Wunsch, die coole Band zu pleasen, ist mindestens so groß wie die Sorge, sie könnte wirklich im Bus verharren. Also los, Aktionismus, rette uns! So spreche auch ich auf und vor dem Klo Leute an, die mir irgendwie besonders aktiviert vorkommen – und bitte um Hinweise oder gleich einen Anteil ihres Vorrats. Schließlich geht es um alles, meine neuen Toilettenfriends!

Ich denke, es liegt vor allem auch an dem Gossip’n’Fan-Momentum, dass wir tatsächlich von Freund:innen und Fremden schnell genug Class-A-Drugs zusammenraffen können. Auf Diskretion legt dabei keiner von uns viel wert. Bereitwillig bis aufgeregt schildern wir die Story des Busses mit dem auf die Besucher:innendrogen schmachtenden Co-Headliner. Wer findet das denn auch nicht interessant! Wir versprechen Autogramme und die ewige Dankbarkeit des Acts.

Habe ich mich in dieser Nacht strafbar gemacht? Möglicherweise! Das wäre allerdings nach §29 des BtMG nach fünf Jahren verfährt. Die Hauptsache ist aber ohnehin, das Band und Publikum zufrieden waren, der Gig stattfinden konnte – und alle was zu Tuscheln gehabt haben.

Bis heute muss ich jedes Mal, wenn besagte Band in meiner Wahrnehmung auftaucht, an diese Story denken. Mal verklärt, mal nachträglich empört über ihre Dreistigkeit…

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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