Anne Haigis, Maniacs & Co.: Diese Musiker:innen kommen aus Rottweil
Rock in Rottweil an einem Donnerstag – für Jan Müller kein Grund zum Klagen.

15. Mai 2023: Ich bin wieder unterwegs. Es ist 23:30. Eben habe ich mit meiner Band Tocotronic in Rottweil gespielt. Obwohl wir uns im 33. Jahr unseres Bestehens befinden, sind wir hier noch nie gewesen. Auch abseits von Tocotronic habe ich Rottweil zuvor noch nicht besucht. Deshalb war ich im Vorfeld fast schon aufgeregt. Ich habe sogar im Freundeskreis nach Reisetipps gefragt.

Allerdings ohne Erfolg. Und dann habe ich die Experten unter meinen Freunden außerdem gefragt, ob sie Bands und Musiker:innen aus Rottweil kennen. Fast niemand konnte mir weiterhelfen. Der Enzyklop Rasmus Engler kannte was: Riff Randel (nicht zu verwechseln mit Riff Randall); die haben 1999 ein Album herausgebracht. Der Name lässt vermuten, dass sie nach den Ramones klingen.
Mille Petrozza nennt mir noch Dark Sky und Sirius Curse. Metal gibt es einfach überall. Und natürlich kannte der sachkundige Kolja Podkowik auch was: Ein Rap-Duo Namens Morbid. Kolja hatte mal ein Feature auf einem ihrer Tracks. Der eine von denen verdient seine Taler wohl auch damit, dass er Texte für Kollegah schreibt. Wie es wohl ist, in Rottweil zu leben und Texte für Kollegah zu schreiben? Außerdem habe ich selbst herausgefunden, dass Anne Haigis in Rottweil geboren wurde. „Nicht der Ort für einen großen Traum“, singt sie in ihrem Hit „Abgehau’n“. Bestimmt beziehen sich diese Zeilen auf ihre Heimat Rottweil. Anne Haigis „kommt vom Jazz“, wie man sagt. Und auch sonst stammen größtenteils Jazzmusiker aus Rottweil. Der Trompeter Bernd Marquart, der Bassist German Kleiber und die Jazz-Komponistenbrüder Ferenc und Magnus Mehl.
Blattgold, Kreuze und Hörgeräteakustiker allerorten
Folgerichtig wurden wir als Tocotronic für unser erstes Gastspiel in Rottweil für das Jazzfest angefragt. Bevor es losging, wollte ich mir aber noch die Stadt anschauen. Immerhin ist Rottweil die älteste Stadt Baden-Württembergs. Unsere Spielstätte, die alte Stallhalle, ist nicht weit von der historischen Altstadt entfernt. Was ich dort sah, beruhigte mich: Blattgold, Kreuze und Hörgeräteakustiker allerorten. Der Redlight-District von Rottweil ist zwölf Meter lang und besteht aus dem „Lido Bar – Nightclub“ und der „Halligalli Bar“. Ich lief dran vorbei und genehmigte mir im Anschluss eine Kugel Eis (Yogurette) im Eis-Café „Pinocchio“. Währenddessen dachte ich: Rottweil, warum denn auch nicht? Es ist doch schön hier! Und vermutlich gibt es auch nicht unbedingt einen Anlass, einen Band zu gründen, wenn man hier lebt. Die Leute haben ja genug damit zu tun, den Glanz der Altbauten zu genießen.
Während ich die schönen Fassaden betrachtete, erinnerte ich mich daran, wie seltsam ich es seinerzeit gefunden hatte, dass die Punk-Band Maniacs aus Rothenburg kam. Die Musik der Maniacs hatte ich im Jahr 1986 das erste Mal gehört. Und ein paar Wochen später hatte ich mit meiner Familie das malerische Rothenburg ob der Tauber besucht. Als ich mit meinen Eltern, meinem Bruder und sehr vielen Japanern die Altstadtgassen entlang spaziert war, hatte ich es mir einfach nicht vorstellen können, dass die Nietenpunks der Maniacs mit ihren zottigen Mähnen in dieser Beschaulichkeit ihr Punk-Dasein fristeten.
Hatten sie ihren Proberaum in einem dieser mittelalterlichen Häuschen? Vielleicht sogar ausgestattet mit einem hängenden Metallschildchen über der Tür? Versehen mit einer verzierten Goldbuchstaben-Aufschrift: „Proberaum Maniacs“? Natürlich war es nicht so. Ich hatte mich nämlich geirrt. Die Maniacs kamen nicht aus Rothenburg ob der Tauber, sondern aus Rotenburg an der Fulda. Das ist vermutlich einfach eine vollkommen normale Kleinstadt, wo eine vollkommen normale Punkband wie die Maniacs hingehörte.
Barock vom Feinsten
Aber zurück nach Rottweil. Ich schaute mir dann noch ein paar Kirchen an. Die evangelische Predigerkirche ist nicht übel. Barock vom Feinsten. Aber selbstverständlich beeindruckte mich das katholische Heilig-Kreuz-Münster mehr. Gotik sticht Barock eben immer. Als ich schließlich in der alten Stallhalle, unserer Spielstätte, auf der Bühne stand, dachte ich für einen Moment: Das sieht hier weder katholisch noch evangelisch, sondern geradezu freikirchlich aus, in seiner Schlichtheit. Die Tatsache, dass im hinteren Teil der Halle Stühle aufgebaut waren und die Hälfte der Leute saßen, verstärkte den Eindruck.
Ich ließ jedoch meinen Missmut fallen. Wann spielt man denn heutzutage noch in einer so schönen, von alten Holzbalken bestimmten Halle? Und außerdem schauten uns die Leute allesamt so freundlich an. Auch diejenigen, die saßen. Und ich dachte mir: „Schade eigentlich, dass ich nie in einer Kleinstadt gelebt habe.“ Und natürlich wurde es dann ein ganz tolles und außerordentliches Konzert. Rock in Rottweil an einem Donnerstag. Warum denn auch nicht? Was für ein Glück. Ich habe absolut keinen Grund, über meine Situation zu klagen.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 7/2025.