Gedanken zum Gegenwärtig*innen

Barbenheimer Days: Wie Beige Influencer:innen den Alltag romantisieren


In Folge 30 ihrer Kolumne erklärt Julia Friese, was es mit den Begriffen „Beige Influencer“ und „Algo-Sprech“ auf sich hat.

Drei Beobachtungen:

1. neutrale erdtöne

Das Wort „Sommer“ kann nun verwegen gelesen werden. Die Sonne gefällt uns. Noch. Solange man eben nicht darüber nachdenkt, welche Brände sie auslöst, und dass die jedes Jahr früher stattfinden, dass alles immer heißer werden wird, bis es eines Tages „Ewig Sommer“ (Franziska Gänsler. 2022) ist. Ohne diesen Kontext aber kann „Sommer“ noch positiv verstanden werden. Es verhält sich mit dem Begriff augenblicklich wie mit „Why Am I Alive“ von ANOHNI and the Johnsons. Ein Song so soulful, hört man nicht genau hin, merkt man nicht, dass man gerade zu Zeilen wie „Watching nature swoon and sigh / Watching all the water dry“ tanzt.

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Sarah Manavis schreibt im „Guardian“, dass die unter 30-Jährigen im Eindruck glutheißer Endzeitstimmung sogenannten Beige Influencer:innen anheim gefallen seien. Molly-Mae Hague und Matilda Djerf würden ihre Millionen von Follower:innen dazu verleiten, einen einfachen Alltag zu romantisieren. Ihn in Routinen zu gliedern, die aus Kerzen anzünden und Heimsport bestünden. Sie leben es vor, sich in neutralen Farbtönen sowie langfristigen, monogamen Beziehungen einzurichten, innerhalb derer man öfter lieber daheim bleibe als auszugehen. Manavis kritisiert diese jungen Menschen. Sie sind ihr zu langweilig. Zu konventionell.

2. sexneutraler algo-sprech

Die Auslassung der Ausschweifung findet sich auch in der Sprache. In den Sozialen Medien ist Sex schon länger nicht mehr Sex. Man hat dort s*x. Und ist le$bian. Ein TikTok über sexuelle Gewalt klingt mitunter so: „Es gab eine Zeit, in der ich gezwungen war, Mascara zu tragen und das hat mich wirklich traurig gemacht. Danach habe viele verschiedene Mascaras ausprobiert, aber ich habe jede einzelne gehasst. Dann habe ich einfach aufgehört, Mascara zu tragen – und ehrlich gesagt bin ich jetzt glücklicher. (Hier geht es nicht um Mascara)“

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Es ist eine Sprache, die an das Sprechen in Gegenwart von Kindern erinnert. Als diese in die Welt von „S*x And Te City“ einbrachen, hieß es mal „Mr. Big male aus, male über den Rand“ – also mit seiner Mascara. Nun ist der „Algo“ das Kind, in dessen Gegenwart man spricht. Die Exzesse, also all das, was vom Algorithmus als zu heiß, als zu unanständig ausgefiltert werden könnte, werden in Fantasiesprache umgemünzt – ja, quasi in neutrale Erdtöne umgeschrieben.

3. sich selbst neutralisierende schriftstellerin

„Schlechte Wörter“ war das Thema des diesjährigen prosanova-Festivals für junge Literatur in Hildesheim. Beim Bachmannpreis in Klagenfurt gewann Valeria Gordeevs Text über das minutiöse Putzen einer Wohnung als Bewältigung von allem Kriegerischen, von allem Schlechten. Eindrücklich war die Eröffnungsrede der in der Ukraine geborenen und nach Wien emigrierten Autorin Tanja Maljartschuk, die sich selbst „als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die die Sprache verloren hat“ versteht.

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Sie habe Angst bekommen vor Sprache, könne die doch Millionen von Bürgern davon überzeugen, andere zu ermorden. Ihr erscheint es nun widersinnig, aus echtem Leid schöne, preiswürdige Texte zu machen. Sei es nicht wichtiger, sich zu fragen „wie man es verhindern kann, dass das Grauen sich vollzieht, als zu fragen, ob man danach noch dichten könne“? Einer der häufigsten Kritikpunkte der Jury wiederum war, dass die Texte des Jahrgangs zu konventionell seien, also zu sehr Algo-Sprech, zu beige, zu Matilda Djerf.

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Vielleicht ist die Jury eben im Mittel zu alt, hat schon zu viele konventionelle Jahre leben dürfen, um die Sehnsucht nach dem Konventionellen – dem „Midcult“ (Moritz Baßler, 2022) – zu verstehen. Es ist, ganz allgemein gesprochen, die Sehnsucht nach einem Leben, in dem „Sommer“ kein schlechtes Wort ist.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 09/2023.