Kritik

„Bushido’s Wahrheit“ auf Amazon Prime: Familie Ferchichis groĂźe Abrechnung mit Arafat Abou-Chaker

Zwischen Realtalk und PR, Gangsterrap und Vorstadtspießigkeit: In der sechsteiligen Doku „Unzensiert: Bushido's Wahrheit“ stilisiert sich Anis Ferchichi als sorgender Vater und Opfer, der nicht länger die Klappe halten will. Unser erster Eindruck.

Die gute Nachricht vor drei schlechten zuerst: Die am 26. November 2021 und unter Fans und mutmaĂźlich Clans mit Spannung erwartete sechsteilige Miniserie „Unzensiert: Bushido’s Wahrheit“ (ja, mit Deppenapostroph) ist tatsächlich eine Dokumentation geworden. Da Anis Ferchichi, wie Bushido mit bĂĽrgerlichem Namen heiĂźt, sich und seine Familie zwei Jahre von Kameras begleiten lieĂź, stand zu befĂĽrchten, dass wir hier nichts weiter als eine vom Protagonisten abgesegnete Heile-Welt-Homestory zu sehen kriegen wĂĽrden. Eine wie die mit Frauke Ludowig, ĂĽber die Kurt Krömer neulich scherzte, als Bushido in seiner Talkshow „Chez Krömer“ zu Gast war. In Teilen stimmt das auch: Bushido inszeniert sich als sorgender Vater, geläuterter Rapper und Opfer eines kriminellen Clans. Die mutmaĂźliche Zwangsehe zwischen ihm und Arafat Abou-Chaker nimmt aber einen GroĂźteil der Doku ein – und Bushido teilt seiner „Vaterfigur“ gegenĂĽber plötzlich ĂĽberraschend eindeutig aus ĂĽbt sich in Selbstkritik dahingehend, dies nicht frĂĽher getan zu haben.

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Bushidos Connection mit dem Abou-Chaker-Clan fußt auf kriminellen Machenschaften und Drohgebärden – Oberhaupt Arafat boxte Bushido fast buchstäblich aus seinem Vertrag bei Aggro Berlin raus und ebnete so den Weg hin zu einem Majorlabel, der Gründung von Bushidos Plattenfirma und einer, nun ja, „langfristigen Zusammenarbeit“. Ein ranghoher Universal-Mitarbeiter berichtet, dass er nicht weiter hinterfragte, warum Bushido plötzlich zur Verfügung stand, obwohl er die Gründe erahnte. Für Bushido und Arafat Abou-Chaker war ihre neue Beziehung auch darüber hinaus eine Win-Win-Situation. Arafat stieg durch die Akquise des Rapstars im Familienansehen auf und brachte enorme Geldsummen mit nach Hause, Bushido selbst wurde glaubwürdiger: Er war plötzlich wirklich Teil eines Gangstermillieus, über das er vorher bloß rappte, und er konnte in seinen Texten und in Interviews noch deutlicher austeilen als zuvor. An ihn traute sich ja nun wegen seiner neuen Schutzpatronen wirklich niemand mehr ran. Dies bestätigen für die Doku interviewte LKA-Mitarbeiter und Journalisten, während Rapper und Schauspieler Massiv den „Verdienst“ von Bushido und Arafat Abou-Chaker betont: Bis dahin habe kein Araber auch nur im Traum daran gedacht, mit Musik, dazu Rap, Geld verdienen zu können. Plötzlich sei nicht nur das möglich geworden, sondern es sei auch ein neues Geschäftsmodell für Clans entstanden.

„Psychisch ging es bei mir gar nicht mehr“: Bushido spricht über Kindererziehung, Polizeischutz und Therapie

Abrechnung ohne Antagonisten

Nun zur schlechten Nachricht: „Bushido’s Wahrheit“ ist zu einseitig. Die Antagonisten sprechen nicht. Weder Arafat Abou-Chaker oder andere Familienmitglieder, die stets „wie Affen auftraten“ (Marcus Staiger), noch damalige Mitarbeiter von Aggro Berlin wollten offenbar vor die Kamera treten. Nicht, dass man als Zuschauer*in den Wunsch hegen sollte, die ja ohnehin offenkundigen Motive eines sich mutmaĂźlich hochgradig mafiös verhaltenden Clans detaillierter zu erfahren oder gar nachvollziehen zu wollen. Aber doch: Je mehr Bushido ĂĽber seine wachsende Abneigung gegenĂĽber und das Geschäftsgebahren von Arafat Abou-Chaker erzählt, desto öfter wĂĽrde man schon gerne wissen, was der Bösewicht der Doku wohl gerade denkt oder gar plant, während er die Doku selbst sieht. Wenn es fĂĽr Bushido schlecht läuft, werden wir davon erfahren.

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Die zweite schlechte Nachricht lautet: Um ĂĽbliche Biopic-Klischees kommt „Bushido’s Wahrheit“ trotzdem nicht herum. Anis war ein armer Junge mit harter Kindheit. Diplomatensohn zwar, aber Papa schlug die Mama, zog aus, Sohnemann wuchs mit einer alleinerziehenden Putzfrau in Berlin-Tempelhof auf, vertickte später Gras, baute Beats und ebnete sich so selbst den Weg von der Szenegröße zum ersten richtigen Popstar unter den Deutschrappern. Umso erstaunlicher (und eigentlich unglaubwĂĽrdiger), wie sehr Bushido in seiner frĂĽhen Karriere ĂĽber Frauen herzog.

Anna-Maria Ferchichi als Heldin in „Bushido’s Wahrheit“

Apropos Frauen: Die wahre und einzige Halbheldin der Doku ist Bushidos Frau Anna-Maria: Die Schwester von Sarah Connor war laut ihrer eigenen Erzählung in „Bushido’s Wahrheit“ wohl die erste und lange einzige Person, die sich gegen Arafat aussprach. Die ihm die Stirn bot. Die ihm Widerworte gab, wenn Bushido einmal mehr aus Angst zu allem „Ja“ und „Amen“ sagte. Arafat verachtete sie deswegen (und weil sie eine Frau war), drängte Bushido zur Trennung, nach der Hochzeit, deren Trauzeuge er war, zur Scheidung. Sie war es auch, die deswegen und nach einem Ausraster Bushidos schwanger und mit Kind und Kegel auszog, zurĂĽck zu ihren Eltern, und ihr Mann Anis ĂĽber diesen Einschnitt, der fast das Ende ihrer Ehe bedeutet hätte, sagt: „Als sie mich nach längerer Funkstille anrief und sagte, ich solle bitte nach Kindergartenplätzen suchen, war das der schönste Tag in meinem Leben.“ Bushido sagt an dieser Stelle der Doku auch, dass er spätestens dann gemerkt habe, was fĂĽr ein niederträchtiger Mensch sein zum Manager aufgestiegener „Geschäftspartner“ sei. Dass die trotzdem ein gemeinsames GrundstĂĽck in Kleinmachnow erwarben und Nachbarn werden wollten stellt einerseits infrage, wie viel oder wenig sich Familie Ferchichi von ihrem immer anwesenden Zuhälter wirklich lossagen wollte und belegt andererseits, wie abhängig sich Bushido wirklich von Arafat fĂĽhlte. Die schiere Möglichkeit einer anhaltenden Karriere ohne ihn kam ihm ĂĽber Jahre hinweg gar nicht in den Sinn. Aus den Schlagzeilen der vergangenen Jahre und aus Schilderungen Bushidos in der Doku wissen wir: Es kam mindestens bis auf Weiteres anders.

Die dritte schlechte Nachricht: Sido kommt zu Wort, Produzenten kommen zu Wort, MC Bogy, Frauenarzt und King Orgasmus One kommen zu Wort. Bushido schwärmt von befreienden Japan-Videodreh zur Single „Hades“, ein Feature mit einem gewissen Samra, von seinem ersten Album ohne Arafat an Bord, MEPHISTO aus dem Jahr 2018. Reflektionen über Sexismus, Homophobie oder Verherrlichung von Gewalt hören wir nicht.

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Die vierte schlechte Nachricht: Gleich zu Beginn von „Bushido’s Wahrheit“ sehen wir seine Kinder. Wie sie mit Papa zuhause spielen, wie sie sich anziehen, wie sie inklusive Polizeischutz zur Schule gehen. Warum entschied sich Familie Ferchichi dazu? Sollte ein Gangsterrapper, der wohl auch abseits krimineller Clans nicht nur Freunde hat, seine Kinder nicht schĂĽtzen, anstatt sie mutmaĂźlich so einer noch größeren Gefahr auszusetzen und ihre Privatsphäre zu ĂĽbergehen? Oder soll gerade dies eine SchutzmaĂźnahme darstellen? So nach dem Motto: Arafat kennt meine Kinder eh, und je mehr Menschen ihre Gesichter nun ebenfalls kennen, desto unwahrscheinlicher wird eine Bedrohung oder gar EntfĂĽhrung? Und wie gut kann es ihnen getan haben, neben Polizeischutz auch noch zwei Jahre lang täglich Kameras um sich zu sehen, in der KĂĽche, in Thailand, im Skiurlaub, beim Einschulungsfest? Zumindest denkbar, dass Familie Ferchichi sich auch als zusätzlichen Schutz so lange so privat hat begleiten lassen.

Nach Doku und Album: Neue Bushido-Biografie „Anis“ erscheint bald

Die ĂĽber allem schwebende Frage im Raum war und ist ja ohnehin, was Bushido mit der Message als geläuterter Vater bezwecken will. WĂĽrden die Kids ihn nicht uncool finden? Wenn er, der Vater, jungen Fans zeigen will, dass Gepose und Gelaber ĂĽber Drugs, Bitches und Guns doch nicht so geil ist, wie er selbst frĂĽher dachte oder vermittelte, wäre ein Bildungsauftrag trotz Einseitigkeit bereits erfĂĽllt. Es bleibt der Eindruck, dass trotz oder wegen der Behauptung, Bushido erzähle hier seine Wahrheit, „Bushido’s Wahrheit“ natĂĽrlich auch das größtmögliche PR-Tool ist, dass ein Rap- und Boulevardstar wie er wählen kann, um die Message in der Hand zu halten: Sogar die Geburt der Drillinge von ihm und seiner Frau Anna-Maria fiel fast zeitgleich auf den Tag der Veröffentlichung der Doku. Familie Ferchichi zog aus der Vorstadt in eine Dachgeschosswohnung am Potsdamer Platz, ständig bewacht vom Personenschutz, danach in ein neues Haus, der Prozess gegen Arafat Abou-Chaker läuft noch. Das Haus in Kleinmachnow muss wohl zwangsversteigert werden. Wer will schon neben einem Clanoberhaupt wohnen?

„Familie“: Bushido veröffentlicht Song mit Tochter Aaliyah

„Unzensiert: Bushido’s Wahrheit“ ist auf Amazon Prime Video im Stream zu sehen.