Interview

Die Ärzte streamen nun doch: Rod González erklärt, warum


„Es geht uns definitiv nicht ums Geld“: Die Ärzte gehörten zu den Bands, die Spotify & Co. jahrelang boykottierten. Dann haben sie ihren Widerstand plötzlich doch aufgegeben. Rod González erklärt, warum – und was ihn daran trotzdem ärgert.

Die Ärzte brachten 2018 auf der Monster-CD-Box SEITENHIRSCH ihr komplettes Werk aus knapp 40 Jahren noch einmal heraus – nicht von ungefähr auf dem Label der Bear-Family-Legende Richard Weize, der sich mit seinen Boxsets mit Größen wie Johnny Cash international einen Namen gemacht hat. Aber braucht man das – eine Wiederveröffentlichung des Gesamtwerks der Ärzte? Jawohl, und wenn es nur hilft, uns noch einmal vor Augen zu führen, welch wichtigen Einfluss diese drei „Bravopunks“ auf die ziemlich dröge Popgeschichte unserer Republik haben. Und nicht nur darauf: Das gesamte Wirken dieser in Wahrheit von Anfang an politischen Band ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man sich gegen Fremdbestimmung, Fantasie- und Alternativlosigkeit wehren kann, wenn man konsequent in seiner Haltung bleibt und sich und den Rest der Welt nicht zu ernst nimmt.

Für den Musikexpress 12/18 (mit Sammelcover!) sprach ME-Redakteur Oliver Götz mit Bassist Rod González über Spotify & Co. – und warum Die Ärzte ihren Widerstand gegen den Fortschritt aufgegeben haben.

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Vor drei Jahren sprach sich Farin Urlaub in einem Interview mit den „Westfälischen Nachrichten“ noch einmal vehement gegen das Streaming auf Spotify aus. Nicht zuletzt wegen der sehr bescheidenen Bezahlung für die Künstler. Was hat euch jetzt dazu bewogen, es euch anders zu überlegen?

Rod González: Wir wollten, dass auch mal gute Musik in den Streamingportalen läuft, und da sich das Hörverhalten unserer jüngeren Zuhörer in den vergangenen acht Jahren erheblich geändert hat – sie kaufen keine physischen Tonträger mehr, geschweige denn gehen sie in einen Plattenladen – sahen wir uns zu diesem Schritt genötigt.

Also geht es nicht ums Geld?

Definitiv nicht ums Geld. Ich schätze, dass von diesen gigantischen Erlösen am Ende des Jahres ein Abendessen für die Band übrig bleiben wird. Um ehrlich zu sein: Wir haben keinen blassen Schimmer, wie unser Katalog im Stream laufen wird, uns ging es hauptsächlich darum, auch bei Leuten stattzufinden, die kein Abspielgerät mehr besitzen neben ihrem Smartphone.

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Wie ist deine persönliche Haltung zu dieser Entwicklung, die trotz kleinem Vinyl-Revival ja immer weiter wegführt von haptischen Tonträgern? Wie siehst du das auch als Labelmacher, Musiker und Produzent, der viel in kleineren Nischen arbeitet?

Ich finde das traurig. Nicht nur, dass es für mich als User die Musik restlos entwertet. Als Labelmacher wird einem auch die letzte Kontrolle aus der Hand genommen. Tatsächlich verkaufte Tonträger lassen sich dank der Zahlen aus dem Presswerk und der GEMA ja noch irgendwie gegenrechnen, aber bei den Streaminganbietern kann man nur darauf vertrauen, dass ihre Auswertungen korrekt sind. Was mich als Nutzer außerdem extrem nervt, ist das Fehlen von Informationen zur Musik. Die Metatags eines Streams sind oft unvollständig und wenig aussagekräftig. Wann und wo wurde ein Song aufgenommen, wer hat mitgespielt, wer gemastert …? Alles Sachen, über die einem auf Plattencovern die Credits Auskunft geben, das fehlt hier vollständig, und macht somit ganze Bereiche einer Musikproduktion unsichtbar, die mich als Fan und Nerd aber interessieren. Beim Film gibt’s ja wenigstens den Abspann, in dem selbst die Caterer erwähnt werden. Bei Musik nicht.

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Welche Folgen hat das deiner Meinung nach für die Musik als solche, wenn sie bald nur noch über Streaming-Dienste angehört wird?

Es befördert noch die Entwertung von Musik, und das Konzept, das vielleicht ursprünglich einmal dahintersteckte. Musik ist nicht mal mehr eine Datei, die man irgendwo ablegt, sondern flüchtig im Cache, in einer Folge von anderen unzusammenhängenden Titeln, die vielleicht auch noch irgendein Algorithmus zusammengestellt hat. Ein eher düsteres Szenario für die Musik und die Kunstform Album

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Streaming-Dienste versorgen Labels und Künstler auch mit vielen Informationen über das Nutzerverhalten ihrer Hörer. Interessieren euch solche Auskünfte?

Wenn wir eine Werbeagentur wären, wäre so was interessant. Aber wir sind das Gegenteil. Wir machen die Musik zuerst für uns, der Gedanke, wer was wo wann warum hört, interessiert uns im Schaffensprozess gar nicht.

Glaubst du, dass sich diese ganzen Veränderungen in den Hör- und vor allem Konsumgewohnheiten auch auf eure kommenden Veröffentlichungen auswirken könnten?

Wir werden immer physische Tonträger machen, da sind wir stur und unbelehrbar.

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