ME-Gespräch

Dirk von Lowtzow: „Ich hab’ hier meine drei Gleichgesinnten und ganz woanders ist auch noch Morrissey“


Der Tocotronic-Sänger hat mit uns über Morrissey, Albernheit und Widersprüche gesprochen. Und wir klären die Frage: Wieso singt Dirk plötzlich über sein Leben?

Erinnerst du dich an den Moment, als du Jan und Arne zum ersten Mal gesehen hast? 

 Ich habe Jan während der Orientierungseinheit in der Uni Hamburg kennengelernt, wo wir beiden ziemlich desorientiert herumgelaufen sind. Wir hatten beide eine Plastiktüte in der Hand, in der unsere Unterlagen waren. Es war Liebe auf den ersten Blick. Jan hat mir dann Arne vorgestellt, das war auf einem Konzert von Bernd Begemann in der „Zinnschmelze“ in Hamburg-Barmbek. Da habe ich Arne das erste Mal gesehen und mir gedacht: „Das ist ja ein geiler Style. Brille, Trainingsjacke, Cordhose.“

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Der so oft kopierte Tocotronic-Style kommt also von Arne? 

 Jan und Arne trugen ihn relativ ähnlich, aber Arne hatte ihn schon perfektioniert.

Und welchen Style hattest du? 

Ich habe mich relativ schnell angepasst. Zunächst sah ich noch etwas provinzieller aus. Wahrscheinlich mit Jeans, so einer schwarzen Lederjacke im 70er-Jahre-Stil und dazu irgendein T-Shirt. Aber bei dem Konzert dachte ich: „Das ist ja modisch ganz weit vorne.“ Ich weiß noch, wie ich nach Hause lief und dachte: „Ach, ich hab’ alles falsch gemacht bisher! Die sind so cool!“ Und dann dieses Bernd-Begemann-Konzert! Ich hatte bis dahin nur auf Englisch geschrieben, um an meine Vorbilder ranzukommen. Danach habe ich angefangen, meine Stücke ins Deutsche zu übersetzen.

Was war eigentlich der erste Tocotronic-Song? 

Ich glaube, „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“.

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Das ist ein sehr schöner Song!

 Ja, danach hätte man gleich aufhören können. (lacht)

Ihr wirktet auch nie so, als würde der Status quo der Anfangsjahre etwas Angenehmes für euch sein: Irgendwelche Leute in Trainingsjacken kommen auf die Bühne und legen den Arm um dich. Empfandet ihr diese Popularität auch als Problem? 

Bei Popmusik setzt ja immer – und das muss auch so sein – eine Vereinnahmung ein. Das hat uns einfach überfordert.

Guck mal, du darfst nicht vergessen, ­DIGITAL IST ­BESSER kam 1995. Das sind vier Jahre bis zu KOOK, das ein Bruch war. In der Zeit haben wir vier Platten gemacht. Da ist irre viel passiert. Man musste erst lernen, damit umzugehen. Das konnte man nicht vorm Spiegel üben.

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Ganz interessant fand ich, dass in „Electric Guitar“ und „Hey Du“ dieses Rebellische im Rock’n’Roll eine große Rolle spielt. Das ist ja heute vorbei. Ist das ein komisches Gefühl, festzustellen, dass man jetzt erwachsen und vielleicht sogar kanonisiert ist? 

Ich glaube, der Kanonisierung kann man nicht entgehen. Du kannst der staatsfeindlichste Schriftsteller sein wie Thomas Bernhard in Österreich und du wirst kanonisiert. Das Rebellische fand ich an Rockmusik aber nie interessant. Unser Rebellentum war immer subtil.

Wir haben uns nie an diesen klassischen Rock-Posen abgearbeitet. Wir sind in der Postmoderne aufgewachsen, und deswegen konnten wir diese Gesten schon ironisieren.

Ich fand immer Leute interessant, die mit ihrem Dilettantismus offen umgingen und sich ein eher zartes Image gaben. Pavement, oder noch früher The Pastels. Ich finde, mit dieser Einstellung kann man ganz gut älter werden.

 Wie hat sich euer Umgang mit der Musik über die Jahre verändert?

Was jetzt anders ist als früher: Dadurch, dass wir vom Trio zum Quartett geworden sind, macht das Musizieren einfach viel mehr Spaß, auch weil wir es besser können.

Dieses Aufgehobensein in Sound, das finde ich als angenehm freudvoll. In den Anfangsjahren sah ich all das eher als lästige Begleiterscheinung.

Es gibt auf DIE UNENDLICHKEIT diese tolle Zeile „Alles was ich immer wollte, war alles“. Früher hieß es bei euch: „Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“. Wie hat sich euer Umgang mit dem eigenen Erfolg über die Jahre verändert? 

Unsere Karriere hat einen recht eigenartigen Verlauf, weil wir schon mit der ersten Platte so ziemlich ein Level erreicht haben, das sich seitdem nicht mehr groß verändert hat. Von 1997 bis heute ist das eigentlich ziemlich gleich geblieben. Es gibt offenbar soundso viele Leute, die uns mögen.

Um noch mehr Leute zu erreichen, müssten wir wahrscheinlich über Fußball singen.

Das ist unausweichlich! Da wir das nichtkönnen und wollen, bleibt alles so, wie es ist.

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