ME-Gespräch

Dirk von Lowtzow: „Ich hab’ hier meine drei Gleichgesinnten und ganz woanders ist auch noch Morrissey“


Der Tocotronic-Sänger hat mit uns über Morrissey, Albernheit und Widersprüche gesprochen. Und wir klären die Frage: Wieso singt Dirk plötzlich über sein Leben?

Das kann man ja gar nicht über so viele Künstler sagen: Tocotronic waren immer eine interessante Band. Die Wirkprinzipien ihrer Alben veränderten sie häufig, fanden über die Jahre einen ganz eigenen Umgang mit Sprache. Der Parolenhaftigkeit der ersten Platten setzten sie ab der Jahrtausendwende verschlungene, bildreiche Alben entgegen, die meist einer Art von Konzept folgten. DIE UNENDLICHKEIT, das zwölfte Album von Dirk von ­Lowtzow, Jan Müller, Rick McPhail und Arne Zank, schlägt nun eine Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

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ME: DIE UNENDLICHKEIT ist euer erstes Album, das dezidiert autobiografisch ist. Ist es angenehmer, über die eigene Vergangenheit zu sprechen?

Dirk von Lowtzow: Nicht angenehmer. Aber es ist einfacher, darüber zu sprechen als über unsere ­abstrakteren Texte. Da haben alle immer nachgefragt, aber oft haben die unter der Erklärung eher gelitten. Manchmal war das so, wie wenn man versucht, einen Witz zu erklären. Bei dieser Platte schadet es nicht, zu den einzelnen Stücken ein bisschen Hintergrundinformation zu geben.

Wir waren über das Album erstaunt. Autobiografisches war etwas, das man von dir bisher nicht gewohnt war.

Ich habe früher versucht, möglichst wenig von mir preiszugeben.

Vor allem nach den ersten ungefähr vier Alben, das war fast wie manisches Tagebuchschreiben. Alles musste festgehalten werden, was in diesen zwei, drei Jahren passierte.

Vielleicht habe ich ab 1999, ab KOOK, versucht, in meinen Texten Umwege zu finden – es war ja nie so, dass es unpersönlich wurde oder sachlich oder objektiv oder vollkommen abstrakt. Aber wir haben dann schon abwegige Konstruktionen verwendet unter Zuhilfenahme von theoretischen Texten oder Sprachspielen. Bei diesem Album – und eigentlich auch schon bei dem davor – gab es einen Wechsel in der Methodik. Ich kam an den Punkt, an dem ich merkte, dass ich diese Konstruktionen gar nicht brauche, um zu erzählen, wie es mir so geht oder was ich so mitteilen möchte.

 Wie darf man sich diesen Prozess vorstellen? Hast du an einem bestimmten Moment gemerkt: So, das wird jetzt eine musikalische Autobiografie …

Während der Tour zum ersten Album kamen mir die ersten Ideen, die ersten Lieder.

Ich habe die aber zunächst für mich behalten, weil ich gemerkt habe: Die Songs sind sehr persönlich. Ich sagte mir: Das ist jetzt ein Geheimprojekt.

Ich wusste auch gar nicht, ob das für die Band überhaupt relevant ist. Vielleicht war ein Ausgangspunkt schon der Hidden Track vom letzten Album, „Date mit Dirk“, der ja schon vom Titel her ganz klargemacht hat, dass das autofiktional ist und es hier um eine Begegnung mit mir selbst geht. Das war das letzte Stück, was ich für das „Rote Album“ geschrieben habe. Das hat sich als verbindendes Element herausgestellt. Als sich die ersten Songs angesammelt hatten, habe ich mich mit Jan getroffen, der in der Vergangenheit – vor allem bei den letzten drei Alben – die Texte lektoriert hatte. Und dann gab es ein Treffen von uns vieren, so eine Art Kaffeetrinken bei mir.

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Ein intimer Rahmen …

Das habe ich bewusst so gehalten. Ich habe die Songs auf der Akustikgitarre vorgespielt. Extra nicht im Proberaum oder im Studio, sondern so, dass ich gleich ein bisschen was dazu erzählen konnte. Wir haben schnell festgestellt, dass sich unsere Erlebnisse und Erfahrungen gleichen. Da gibt es ganz viele Anknüpfungspunkte.

Wie war das denn für Rick? Es ist ja doch die Geschichte einer sehr deutschen Jugend, die auf der Platte erzählt wird …

Auch er konnte sich da gut wiederfinden, obwohl er ja auf einen anderen Kontinent aufgewachsen ist, im US-Bundesstaat Maine. Es ist schon für Arne und Jan anders als für mich, die beide in Hamburg geboren und aufgewachsen sind. Aber natürlich gibt es bestimmte Situationen, die man sehr ähnlich erlebt hat. Zum Beispiel die Drohungen und Beleidigungen, die ich in „Hey Du“ beschreibe.

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