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„Enemy“: Was bedeutet das Ende und die Spinne?


In „Enemy“ überzeugt Jake Gyllenhaal in einer anspruchsvollen Doppelrolle. Doch wie ist das Ende des Mystery-Thrillers zu verstehen? Kleiner Spoiler vorab: Die Spinnen sind womöglich nicht das Schauderhafteste daran.

An der Oberfläche ist „Enemy“ ein Film, der ergründet, was passieren könnte, wenn sich herausstellen würde, dass es uns nicht nur einmal auf der Welt gibt. Und wie plötzlich unser Leben auf den Kopf gestellt werden würde, wenn wir mit besagten Doppelgänger*innen in Kontakt treten könnten. Adam und Anthony, beide gespielt von Jake Gyllenhaal, erfahren das am eigenen Leib. Natürlich steckt mehr dahinter, wie spätestens das Ende verrät. Doch um das zu verstehen, ist es notwendig, sich anzusehen, was bis dahin überhaupt geschieht.

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Anthony und/oder Adam?

Adam hält als Geschichtsprofessor immer wieder die gleichen Vorlesungen und hat abends mit seiner Freundin Mary (Mélanie Laurent) den immer gleichen Sex. Sein Leben verläuft absolut routiniert, ist regelrecht freudlos. Als er aber durch einen Kollegen auf den Film „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ aufmerksam wird, stellt er fest, dass darin ein Nebendarsteller vorkommt, der ihm bis ins kleinste Detail ähnelt. Vollkommen verwirrt macht er sich auf den Weg zur Agentur von dem Schauspieler Daniel Saint Claire, der mit bürgerlichem Namen Anthony Claire heißt.

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Wie frappierend ihre Ähnlichkeit ist, fällt auch anderen auf: Der Sicherheitsangestellte hält Adam für Anthony und dessen Frau Helen (Sarah Gadon) denkt, sie würde mit ihrem Mann sprechen als Adam versucht, bei Anthony anzurufen. Helen, die übrigens schwanger ist, zweifelt gleichsam an der Treue ihres Mannes Anthony, spürt seinen Kontakten nach und trifft so auf Adam, gibt sich allerdings nicht zu erkennen. Als Anthony sich zu einem Treffen mit Adam, den er zunächst für einen verwirrten Stalker hält, durchringt, ist auch er perplex angesichts ihrer Ähnlichkeit. Sogar die gleiche Narbe auf dem Brustkorb teilen sie.

Kurz darauf nötigt Schauspieler Anthony seinen Doppelgänger dazu, mit Mary auf ein romantisches Wochenende gehen zu dürfen. Er behauptet, Adam hätte bereits mit Helen geschlafen und gibt vor, so eine krude Form von Gerechtigkeit wieder herstellen zu wollen. Während Anthony mit Mary unterwegs ist, fährt Adam zu Helen. Die bemerkt zwar, dass es sich nicht um ihren Ehemann handelt, nähert sich Adam aber trotzdem an. Mary hingegen fällt der Abdruck auf Anthonys Ringfinger auf – ihr wird klar, dass es sich nicht um ihren Partner handelt. Streitend, geraten sie auf der Rückfahrt in einen Unfall. Beide sterben.

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Am Anfang heißt es: „Chaos ist Ordnung, jedoch unentschlüsselt“

Wäre das die alleinige Handlung des Films, gäbe es keine weiteren Symbole zu deuten. Dann wäre „Enemy“ zwar immer noch ein verwirrender Mystery-Thriller ohne abschließende Erklärung zur Tatsache, dass bei Denis Villeneuves zwei exakte Jake-Gyllenhaal-Kopien existieren, ansonsten wäre aber alles geklärt und Adam und Helen, die ohnehin viel besser zueinander zu passen scheinen, wären zusammen. Friede, Freude, Eierkuchen sozusagen. Wären da nicht die Spinnen.

Die fiese Vogelspinne begegnet uns gleich in der ersten Szene. Anthony (wahrscheinlich) ist in einem szenigen Nachtclub. Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und masturbiert, eine andere serviert eine Vogelspinne auf dem Silbertablett, nur um sie mit ihrem riesigen Absatz zu zertreten. Später sieht Adam sie in seinen Träumen, einmal kriecht ein Riesenexemplar über Toronto hinweg – und schließlich verwandelt sich Helen, ganz am Ende, plötzlich in eine verängstigte Vogelspinne. Und zwar genau nachdem Adam den Brief mit dem neuen Schlüssel zum exklusiven Club aus der ersten Szene geöffnet hat.

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Freud lässt grüßen

Dieses surreale Element macht klar, dass sich „Enemy“ jenseits der Grenzen des Tatsächlichen bewegt. Der kanadische Filmemacher Villeneuve spricht selbst davon, dass es nur den einen „Jake Gyllenhaal“ gibt. Es sei die Geschichte eines verheirateten Mannes, der nach einer Affäre zu seiner Ehefrau zurückkehre, erklärt er. Damit spielt der Film mit dem Unterbewussten, liebäugelt mit Stichworten aus Sigmund Freuds und C.G. Jungs Theorien und verweist auf unerfüllte Wünsche und unterbewusste Begierden.

Zunächst dreht sich alles um Adam und seinen Wunsch, aus seinem langweiligen Leben auszubrechen. Nicht nur seine Vorlesung wiederholt sich ständig – sie handelt auch davon, dass sich Diktaturen und ihre Mittel der absoluten Kontrolle immer wieder repetieren würden. Der alles verändernde Film, der ihn auf Anthony aufmerksam macht, trägt nicht zufällig den beinahe prophetischen Titel „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Anthony hingegen versucht(e) genau dieser Routine und der Angst vor der endgültigen Bindung an seine schwangere Ehefrau durch sexuelle Abenteuer – in Form von Affären oder Besuchen in möglichst abgefahrenen Sex-Clubs – zu entgehen. Tatsächlich sind Adam und Anthony aber zwei Facetten eines Mannes, der mit sich selbst hadert. Die sonderbare Narbe, die beide tragen, lässt sich übrigens als Verweis an Adam aus der Bibel lesen, aus dessen Rippe Eva geformt wurde. Demnach würde „Enemy“ nahelegen, dass Anthony/Adams innerer Kampf ein archetypischer ist, den „alle Männer“ teilen. Bruh. Das klingt mindestens antiquiert.

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In den Fängen der Frauen oder was?

Weshalb ausgerechnet Spinnen? Regisseur Villeneuve legt offen, dass es dieses Element in der Romanvorlage „Der Doppelgänger“ von José Saramago gar nicht gibt. Er habe einfach nach einem möglichst starken Symbol für Weiblichkeit gesucht. Oder besser für die Angst vor Weiblichkeit und ihrer vermeintlich vereinnahmenden Natur, die einem Spinnennetz gleicht. Und schon sind die Spinnen gar nicht mehr das Schaurigste an diesem Film, sondern Villeneuves Erklärung der Symbolik darin.

Am Ende lässt sich „Enemy“ natürlich nicht bis ins letzte Detail aufschlüsseln, nicht jede Szene fügt sich in die Vision des Regisseurs – erst recht nicht in die Realität. Letztlich wird sich mehr für die Metapher als für die Auflösung interessiert. Auch Villeneuve sagt, es mache mehr Spaß, das Werk nicht zu erklären. Das stimmt wohl, denn dann bleiben einem wenigstens überkommene Vorstellungen von „Mann“ und „Frau“ erspart.

„Enemy“ läuft am Mittwoch, den 14. Oktober um 20:15 auf Arte. Danach gibt es den Film noch bis zum 20. Oktober in der Mediathek zu sehen.

Capelight Pictures
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