Eric Clapton: Slowhand: Gitarren-Gott seit dreißig Jahren


ME/Sounds läßt die Höhen und Tiefen seiner Karriere Revue passieren.

Im Dezember 1974 betrat Eric Clapton die Bühne des Londoner Hammersmith Odeons. Ein Zuschauer rief „Clapton ist Gott!“, und die Menge applaudierte. Dann wurde es still. Clapton trat an den Bühnenrand, breitete die Arme aus und sagte: „Ich bin nicht Gott, ich bin nur der weltbeste Gitarrist.“

Man schrieb das Jahr 1965, als das Graffiti „Clapton is God!“ an Häuserwänden und in den U-Bahn-Stationen Londons auftauchte. Der Vergötterte war damals gerade 20 Jahre alt und Gitarrist bei John Mayalls Bluesbreakers. In einem Leserbrief an das Magazin „Guitar Player“ behauptete Jahre später ein Witzbold, er sei Erfinder dieses Slogans gewesen, wenn auch nur aus purem Zufall: Ursprünglich habe er den Satz „Clapton Is Good“ auf die Hauswand sprühen wollen, allerdings habe er aus lauter Hast und Angst vorm Erwischtwerden ein „0“ vergessen. Wie dem auch sei, der Slogan war geboren und er sollte sich für Eric Clapton als Fluch und Segen gleichermaßen erweisen.

Eric Patrick Clapton, geboren am 30.3.45 in Ripley, wuchs bei seinen Großeltern auf und gehörte als Schüler zu den dürren, unsportlichen Außenseitern, die zwar wenig Freunde, aber dafür als erste Buddy Holly-Platten im Schrank stehen hatten. Zum 15. Geburtstag bekam er eine 14 Pfund teure Höfner-Gitarre, auf der er sich die Finger blutig übte. Ein Jahr später begann er, am Kingston Art College Grafikdesign zu studieren. Doch er war längst der Musik verfallen, vernachlässigte sein Studium und flog bereits nach einem halben Jahr raus. Von da an mußte er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Zu dieser Zeit entwickelte sich seine Leidenschaft für den Blues. Eric: „Ich entdeckte Blueskünstler wie Blind Lemon Jefferson, Son House und Skip James. Dann fing ich an, Robert Johnson und Blind Boy Fuller zu hören. Damals war ich der totale Purist und lehnte alles ab, was nach Kommerz klang. „

1963 war das Jahr, in dem alles seinen Anfang nahm: Die Rhythm’n’Blues-Szene brodelte, eine Vielzahl junger, talentierter Musiker stand in den Startlöchern. Auch Clapton hielt sich in Szene-Treffs wie dem Ealing Club und dem Railway Hotel auf, wo er eines Abends Tom McGuiness begegnete. Eine kurze Unterhaltung, und die beiden beschlossen, eine Band namens The Roosters zu gründen. Clapton spielte erstmals E-Gitarre, eine „teure und protzige“ Kay. Die Großeltern hatten dafür gut 100 Pfund hingeblättert, „also war völlig klar, daß ich damit Erfolg haben mußte“, witzelte Clapton Jahre später.

Die Roosters erreichten zwar regionalen Bekanntheitsgrad, doch der Durchbruch blieb aus. Als die Band schließlich das Handtuch warf, fanden Eric und Tom Unterschlupf bei Casey Jones & The Engineers. Clapton hatte rasch genug vom großkotzigen Entertainment-Pop dieses Liverpooler Acts, weshalb er sich kurz darauf den Yardbirds anschloß. Die Art, wie er sich dort einführte, war für ihn damals typisch. Nach einem Yardbirds-Gig riet er dem damaligen Gitarristen Tony Topham: „Hör auf, Leadgitarre zu spielen.“ Mit Clapton als Sologitarrist gewann die Karriere der Yardbirds an Schwung.

Schlagzeuger Jim McCarty: „Er schien von Anfang an eine Aura zu haben, eine Art Magnetismus, und das lag nicht nur daran, wie er spielte, sondern auch an seinem Äußeren.“ In dieser Zeit entstand der Spitzname „Slowhand“, der Erics schnelles, aggressives Gitarrenspiel ironisch konterkarierte. Gleichzeitig war es ein Wortspiel aus dem Namen Clapton und dem „Slowhand Clap“, wie man einen freundlichen, langsamen Applaus in England nennt. Dem Manager der Yardbirds, Giorgio Gomelsky, gelang es, sie als Hausband im Crawdaddy-Club zu etablieren. Ihre Vorgänger standen gerade am Beginn einer Riesen-Karriere – die Rolling Stones.

Die Erfolgskurve der Yardbirds stieg steil an, als sie durch Gomelskys Geschick zu Sonny Boy Williamsons Begleitband wurden. Williamson war ein legendärer amerikanischer Blueser, der gerade für ein halbes Jahr in Europa weilte. Ein gemeinsames Konzert im Crawdaddy war Grundlage für das Live-Album „Sonny Boy Williamson And The Yardbirds“, auf dem man Claptons Gitarrenarbeit schon deutlich heraushören konnte. Trotz aller Publicity gab es bald Streit um die musikalische Richtung. Bassist Paul Samwell-Smith wollte kommerziellere Songs, Eric Clapton war zu sehr Blues-Purist, um sich in die Zwangsjacke des Pop-Business stecken zu lassen – und stieg folglich aus. Aber schon einen Monat später, im April 1965, hatte er einen neuen Job: Lead-Gitarrist bei John Mayalls Bluesbreakers.

Innerhalb der nächsten Monate erfolgte eine Leistungsexplosion bei Clapton. Mit einem Mal hatte er sich aus dem Heer durchschnittlicher Bluesgitarristen freigeschwommen, seine Soli gewannen an Prägnanz und Dynamik. Claptons wachsende Prominenz vollzog den Quantensprung ins Hysterische, als die ersten „God“-Graffitis auftauchten. Als Bassist Jack Bruce bei Mayall anheuerte, fand Eric endlich einen kongenialen Partner, mit dem er sich auf Anhieb hervorragend verstand. Der schottische Basser spielte Bluesklassiker nie stur nach, sondern improvisierte und brach verkrustete Schemata auf. Für Clapton ein Grund mehr, über seine musikalische Zukunft nachzudenken.

Mitte 1966 fühlte er sich bei den Bluesbreakers immer eingeschränkter und folgte deshalb gerne dem Vorschlag Ginger Bakers – seines Zeichens Drummer bei der Graham Bond Organization – eine neue Band zu gründen. Einzige Bedingung: Jack Bruce sollte der Bassist werden. Ein Name war rasch gefunden: Cream. Das Debüt „Fresh Cream“ sorgte für Furore, es eröffnete dem Blues neue Spielräume und ein neues Publikum. Zu dieser Zeit lernte Clapton einen anderen Gitarrengott kennen – Jimi Hendrix. Dessen atemberaubende Virtuosität und seine unkopierbare Technik hauten ihn schlichtweg vom Hocker. Aber er lernte schnell und gewann eine Reihe neuer Ausdrucksmöglichkeiten hinzu.

Mit dem in New York eingespielten Album „Disreali Gears“ erreichten Cream ihren künstlerischen Zenit: Bakers polyphone Afro-Rhythmik, das Improvisationstalent und die Songwriterqualitäten von Bruce, und nicht zuletzt Claptons filigrane Soli waren richtungsweisend. Das Supergruppen-Image ließ ihre Egos jedoch bedenklich anwachsen, die musikalische Weiterentwicklung blieb auf der Strecke, ihre Auftritte wurden immer schlampiger. Im Sommer 1968 merkten die Drei, daß sie ausgebrannt waren. Sie veröffentlichten ein Abschiedsalbum sinnigerweise „Goodbye“ betitelt und gaben eine letzte Tournee, die in Londons Royal Albert Hall endete.

Nach dem Kapitel Cream hing Clapton desillusioniert und ohne konkrete Pläne herum. Ebenso erging es einem anderen Superstar, dessen Band Traffic gerade Schiffbruch erlitten hatte: Steve Winwood. Im Februar 1969 jammten die beiden erstmals zusammen und der Plan reifte, eine Band zu gründen. Manager und Plattenbosse witterten das große Geld, dabei war Blind Faith – so nannte sich die Band – von Anfang an eine kreative Totgeburt. Bevor man sich überhaupt gefunden hatte, stand man bereits unter unglaublichem Erfolgsdruck. Blind Faith wurde ein Riesen-Hype, und Clapton hatte schon das Interesse daran verloren, als man in Amerika auf Tour ging: „Ich sah mich nach etwas Neuem um, da erschienen Delaney und Bonnie wie ein Geschenk des Himmels.“

Die Band um das Ehepaar Delaney und Bonnie Bramlett war einer der Support-Acts der Blind Faith-Tour. Delaney ermunterte ihn zum Singen und Schreiben, doch mit der Zeit merkte Eric, daß das Paar allzusehr von ihm abhängig war, was ihn in seiner Bewegungsfreiheit störte. Im März 1970 kehrte Clapton nach England zurück, wo ihn kurze Zeit später Bassist Carl Radle und Drummer Jim Gordon anriefen, die zusammen mit Keyboarder Bobby Whitlock aus der Delaney & Bonnie-Band gefeuert worden waren. Ihre erste gemeinsame Arbeit war die Mithilfe an George Harrisons phänomenalem Studio-Album „All Things Must Pass“. Während der Aufnahmen verliebte sich Clapton in Georges schöne Frau, Ex-Fotomodell Patti Boyd. Eine Liebe, die zunächst unerwidert blieb.

Eric und seine neue Truppe nannten sich Derek & The Dominoes, im August 1970 ging’s nach Miami zu den Aufnahmen des Albums „Layla And Other Assorted Songs“. Produzent Tom Dowd machte Eric mit dem Gitarristen Duane Allman bekannt. Die beiden verstanden sich sofort glänzend, die Stimmung im Studio war einzigartig, tagsüber ging man in die Sauna und zum Schwimmen, nachts war man im Studio und dröhnte sich mit Drogen zu. Nach der anschließenden Tour folgte jedoch die Ernüchterung: wie es mit Drogen so ist, „sie holen dich irgendwann ein“ (Clapton). Im Frühjahr 1971 war die Band ausgelaugt und kaputt, nach einem heftigen Streit waren Derek & The Dominoes Geschichte.

Eric tauchte ab und verbrachte Monate damit, sich mit Heroin vollzupumpen. Nur enge Freunde wie George Harrison und Pete Townshend hatten Zugang zu ihm. Seine Auftritte zu dieser Zeit lassen sich an einer Hand abzählen – interessant geriet die All Star-Show im Londoner „Rainbow Theatre“, organisiert von Pete Townshend, der seinen Freund Eric ins öffentliche Bewußtsein zurückholen wollte. In einem seiner offensten Interviews sagte Clapton über jene Ära: „Ich war sauer, daß Jimi Hendrix mich nicht mitgenommen hatte und mich einfach im Stich ließ!“

1000 Pfund pro Woche gab Eric für Heroin aus, er begann sogar, seine wertvollen Gitarren für die Sucht zu verhökern. Trotz aller Bemühungen seiner Freunde erklärte er sich erst Anfang 1974 zu einer Entziehungskur bereit. Die Elektro-Akupunktur schlug an, und nach einem Erholungsurlaub war er fit genug, Zukunftspläne zu schmieden. Im April ging er in die Criteria-Studios von Miami, um die Comeback-LP „461 Ocean Boulevard“ aufzunehmen, die mit „I Shot The Sheriff“ einen kapitalen Hit abwarf. Auch privat befand sich Clapton im Aufwind: Während der 75er-US-Tour tauchte plötzlich Patti Harrison auf, die ihren Mann endgültig verlassen hatte.

In den folgenden Jahren spielte Eric eine Reihe mehr oder minder hochwertiger Alben ein – herausragend geriet „Slowhand“ (1977) mit den Hits „Cocaine“, „Wonderful Tonight“ und „Lay Down Sally“. Superbe Live-Auftritte untermauerten seine musikalische Konsolidierung, doch während einer US-Tour brach Clapton im März 1981 plötzlich zusammen. Ein durchgebrochenes Magengeschwür, Folge seines jahrelangen Alkoholkonsums, erforderte eine Notoperation. Clapton unterzog sich einer Entziehungskur, machte aber dennoch keine Pause. Tour auf Tour folgte, Platte auf Platte erschien – alles auf gehobenem Niveau, aber ohne durchschlagenden kommerziellen Erfolg. Deshalb heuerte er für die nächsten Alben „Behind The Sun“ (1985) und „August“ (1986) Phil Collins als Produzenten an. Das stieß viele Fans vor den Kopf, die den gelackten, keimfreien Sound dieser Alben beklagten.

Im Jahre 1986 trennte sich Eric von Patti, die er 1979 geheiratet hatte. Er lernte das italienische Model Lori Del Santo kennen, die ihm im August 1986 den Sohn Conor gebar. Ende der 80er komponierte Clapton Soundtracks für Filme wie „Lethal Weapon“, „Homeboy“ und „Edge Of Darkness“, was ihm sehr grossen Spaß bereitete. 1990 überschattete jedoch eine Tragödie seine weiteren Pläne. Im Anschluß an ein gemeinsames Konzert starben der Gitarrist Stevie Ray Vaughan und drei Mitglieder aus Erics Crew bei einem Helikopter-Absturz. Im folgenden März traf Eric der nächste, für ihn persönlich weit schwerere Schicksalsschlag. Sein Sohn Conor stürzte beim Spielen aus dem Fenster von Loris New Yorker Hochhaus-Apartment. Eric wurde unter Schock ins Krankenhaus eingeliefert, später vertraute er Phil Collins an: Jetzt habe ich nichts mehr, für das sich zu leben lohnt.“

Doch er hatte sich schon mehr als einmal an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen, was ihm auch diesmal gelang. Er komponierte den Soundtrack zu dem Film „Rush“, den darauf enthaltenen Song „Tears In Heaven“ widmete er seinem Sohn. Im Jahr 1992 überraschten er und seine Band das Publikum mit einem von MTV aufgezeichneten akustischen Set, der das Prädikat „unplugged“ erst zu einem Gütesiegel werden ließ. Die Anerkennung für 30 Jahre musikalischen Schaffens erntete er schließlich 1993. Bei der Grammy-Verleihung wurden ihm sechs der Musik-Oscars zugesprochen. Für September 1994 ist ein neues Studio-Album angesagt. Und damit wird garantiert ein neues Kapitel aufgeschlagen…