Porträt

Hedy Lamarr: Hollywood-Star, Sexsymbol, verkanntes Genie


Lange wurde Hedy Lamarr bloß auf ihre Schönheit reduziert. Dabei war die Hollywood-Ikone vor allem eins: eine unglaublich unterschätzte Erfinderin. Hier, zum Weltfrauentag 2023, der aktualisierte Teil 1 unserer losen Reihe „Frauen, die mit ihrer Kunst die Welt verändert haben“.

Seit 105 Jahren besitzen Frauen in Deutschland das Wahlrecht, seit 40 Jahren ist es ihnen erlaubt, ein eigenes Konto zu eröffnen, seit 26 Jahren ist Vergewaltigung in der Ehe verboten und vor vier Jahren wurde der Grundsatz „Nein heißt Nein“ gegen sexuelle Belästigung im Strafgesetzbuch aufgenommen. Fortschritt? Jein. Was progressiv klingt, ist tatsächlich ein wahrlich kleiner Nenner eines jahrhundertelangen Kampfes. Am 08. März jährt sich der Internationale Weltfrauentag, oder besser gesagt Feministischer Kampftag – und noch immer müssen sich Frauen weltweit für ihre Gleichberechtigung und Anerkennung einsetzen. Gender Pay Gap, weibliche Altersarmut sowie sexuelle Belästigung und Missbrauch gehören für die meisten Frauen nach wie vor zum Alltag. Und das im Jahr 2023! Anstatt sich jedoch der Wut und Frustration hinzugeben, möchte die Autorin dieses Textes den Monat im Zeichen der Frau stattdessen dafür nutzen, auf all die Pionierinnen aufmerksam zu machen, die die Welt verändert haben – und in Geschichtsbüchern dennoch häufig nicht vorkommen. Willkommen zu der ME-Rubrik „Frauen, die mit ihrer Kunst die Welt verändert haben“.

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Im Portrait: Hedy Lamarr – Hollywood-Star, Sexsymbol, verkanntes Genie

Hedy Lamarr, eine der meist unterschätzten Frauen der Filmgeschichte, hat einmal gesagt: „Jedes Mädchen kann glamourös sein. Man muss nur still stehen und dumm gucken.“ Sie selbst hat damit mehr als genug eigene Erfahrungen gemacht. Lamarr galt in den 1930er- und 1940er-Jahren als die „schönste Frau der Welt“, lieferte die erste Nacktszene in einem Spielfilm aller Zeiten, wurde ein Hollywood-Star – und erfand eine geheime Kommunikationstechnik während des Zweiten Weltkriegs, für die sie aufgrund ihrer Schönheit jedoch lange nicht ernst genommen wurde. Die Anerkennung dafür erhielt sie erst kurz vor ihrem Tod, verdient hat sie damit nie einen Cent. Dabei ist Hedy Lamarrs Erfindung – das sogenannte Frequenzsprungverfahren – für zahlreiche Mobilfunk-Technologien verantwortlich, die wir heute WiFi, Bluetooth und GPS nennen.

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Hedy Lamarr wird als Hedwig Eva Maria Kiesler am 09. November 1914 in Wien geboren. Sie ist die Tochter eines Bankdirektors und einer Konzertpianistin, die einen sehr hohen Wert auf die künstlerische Ausbildung ihres Kindes legen. So darf Kiesler bereits als junges Mädchen eine Schweizer Privatschule besuchen und erhält Klavier-, Ballett- und Sprachunterricht. Mit 16 Jahren bricht sie die Schule ab, um sich vollständig auf ihre Schauspiel-Karriere zu konzentrieren und arbeitet zunächst als „Script Girl“ bei den Sascha-Filmateliers in Wien, bevor sie im Jahr 1930 für eine kleine Rolle in dem Film „Das Geld auf der Straße“ gecastet wird. Danach geht alles ganz schnell: Schon bei ihrem vierten Film „Man braucht kein Geld“ (1931) kann sie eine Hauptrolle an der Seite von den Schauspiel-Stars Heinz Rühmann und Hans Moser ergattern.

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Ein Skandal macht sie über Nacht zum Star

Im Jahr 1933 übernimmt Hedy Kiesler die weibliche Hauptrolle in dem tschechoslowakischen Spielfilm „Ekstase“ von Gustav Machatý. Die damals erst 18 Jahre alte Schauspielerin zeigt sich in dem Liebesdrama in einer Szene komplett hüllenlos, in einer anderen Sequenz mimt sie einen Orgasmus. Der darauffolgende Skandal ist gigantisch, sogar der Papst schaltet sich ein. Dass der Film nur gekürzt gezeigt und mehrfach zensiert wird, kann Hedy Kiesler jedoch nichts mehr anhaben – aus der aufstrebenden Schauspielerin ist über Nacht ein Star geworden. Im selben Jahr heiratet sie den Waffenmogul Fritz Mandl, der unter anderem Geschäfte mit faschistischen Größen wie Adolf Hitler und Benito Mussolini pflegt. Der tyrannische und notorisch eifersüchtige Industrielle verbietet seiner Ehefrau die Schauspielerei und kauft unzählige Kopien von „Ekstase“ auf, um ihre Karriere im Keim zu ersticken. Nach vier Jahren Ehe schafft es Hedy Keisler im Jahr 1937, sich von ihrem herrschsüchtigen Ehemann zu lösen und wandert in die USA aus, um sich wieder der Schauspielerei zuzuwenden.

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In Hollywood wird Hedy Keisler von „MGM“-Chef Louis B. Mayer höchstpersönlich unter die Fittiche genommen, er gibt ihr den Künstlernamen Hedy Lamarr – inspiriert von dem Stummfilmstar Barbara La Marr – und betitelt sie als „schönste Frau der Welt“. Und sein Marketingkonzept geht auf: Innerhalb von kürzester Zeit entwickelt sich Hedy Lamarr zu einer der erfolgreichsten Hollywood-Ikonen der 1930er- und 1940er-Jahre; so spielt sie neben Clark Gable in „Der Draufgänger“ (1940), dreht den Liebesfilm „Komm, bleib bei mir“ (1941) mit James Stewart und steht gemeinsam mit Lana Turner und Judy Garland für „Mädchen im Rampenlicht“ (1941) vor der Kamera. Als ihr größter Erfolg gilt jedoch das Drama „Samson und Delilah“ (1949), das für fünf Oscars und einen Golden Globe Award nominiert wird. Mit ihren kurzen lockigen schwarzen Haaren, der kleinen Nase und dünngezupften Augenbrauen wird Lamarr zur Stilikone und Sexsymbol ihrer Zeit – sowohl die Comicfigur Catwoman als auch Disneys erste Leinwandheldin Schneewittchen sollen von der Schauspielerin inspiriert worden sein.

Clark Gable und Hedy Lamarr umarmen sich in einem Werbeporträt für den Film „Der Draufgänger“, 1940.
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„Sie wollte nicht einfach nur dasitzen und viel Geld verdienen, wenn die Welt in so einem Zustand ist“

Bis hierhin liest sich die Lebensgeschichte von Hedy Lamarr wie ein klassisches Märchen; ein kometenhafter Aufstieg, ein tyrannischer Ehemann, die darauffolgende Emanzipation, eine einzigartige Karriere. Happy End. Ganz so ist es jedoch nicht. Tatsächlich gibt es noch ein anderes, wesentlich düstereres Kapitel aus Lamarrs Leben. Dies beginnt während des Zweiten Weltkrieges, als die Schauspielerin gerade auf dem Zenit ihrer Karriere angekommen ist. Als überzeugte Gegnerin des Nationalsozialismus diskutiert sie stundenlang mit dem exzentrischen Filmkomponisten George Antheil über Ideen, wie sie die Alliierten im Krieg unterstützen könnten. „Sie wollte nicht einfach nur dasitzen und viel Geld verdienen, wenn die Welt in so einem Zustand ist“, erinnert sich George Antheil später. So beginnen sie damit, eine Funk-Fernsteuerung für Torpedos zu entwickeln. Dafür verwenden Lamarr und Antheil Lochkarten, die eigentlich für die Steuerung von automatischen Klavieren genutzt werden. Im Juni 1941 melden die beiden ein Patent für ihre Erfindung an, im August 1942 wird ihnen eine Patentnummer bewilligt.

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Das technische Konzept, das sich hinter der Funk-Fernsteuerung für Torpedos verbirgt, bezeichnen Lamarr und Antheil als „frequency hopping“: Es beschreibt die Möglichkeit, dass sowohl der Funkleitsender als auch der Empfänger im Torpedo gleichzeitig von Frequenz zu Frequenz springen können, wodurch es dem Feind unmöglich gemacht wird, die Funkverbindung zu lokalisieren. Mit der Entwicklung des „frequency hopping“ – auf deutsch „Frequenzsprungverfahren“ – legen Lamarr und Antheil unwissentlich den Grundstein für zahlreiche Erfindungen der Telekommunikation in der Zukunft, darunter WLAN, Bluetooth, GPS und Smartphones. Doch trotz der unglaublichen Sprengkraft ihrer Erfindung zeigt sich die US-Marine unbeeindruckt, als die beiden ihnen ihre Erfindung vorstellen. Obwohl Hedy Lamarr und George Antheil die Funk-Fernsteuerung explizit für den Einsatz im Zweiten Weltkrieg entwickelt haben, werden die beiden abgelehnt. Der Grund: Man würde „leider kein Klavier in die Torpedos bekommen“, spottet das Militär. Lamarr sollte es mal lieber beim Schauspielern belassen.

Der amerikanische Avantgarde-Komponist, Pianist, Autor und Erfinder George Antheil entwickelte gemeinsam mit Hedy Lamarr die Funk-Fernsteuerung.
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„Ich war der höchstbezahlte und wichtigste Star in Hollywood, aber ich galt als ’schwierig’“

So kommt es, dass das Patent auf Lamarrs und Antheils Erfindung abläuft, ohne je eingesetzt worden zu sein. Der Komponist stirbt im Jahr 1959; er wird die Auswirkungen seines Schaffens nicht mehr mitbekommen. Erst während der Kuba-Krise in den 1960er-Jahren findet die Funk-Fernsteuerung militärische Anwendung, als eine „Sono-Boje“ entwickelt wird, um U-Boote besser entdecken zu können. Anfang der 1980er-Jahre wird die Technologie der Öffentlichkeit freigegeben und die Mobilfunktechnologie macht sich das Konzept zunutze. Zu diesem Zeitpunkt ist George Antheil längst tot und Lamarrs Hollywood-Karriere schon lange beendet. Nachdem die österreichische Schauspielerin keinen Nutzen aus ihrer Erfindung ziehen kann, lassen auch die guten Rollenangebote aufgrund ihres fortschreitenden Alters immer mehr auf sich warten. Hollywood scheint mehr an ihrer schönen Hülle als an ihrem schauspielerischen Talent interessiert zu sein. Von mehreren Sets heißt es stattdessen, sie sei „schwierig“ und es sei anstrengend, mit ihr zu arbeiten. Hedy Lamarr selbst sagte später lakonisch dazu: „Ich war der höchstbezahlte und wichtigste Star in Hollywood, aber ich galt als ’schwierig‘.“

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Im Jahr 1958 dreht sie ihren letzten Film. Als knapp zehn Jahre später ihre Autobiographie „Ecstasy and Me“ veröffentlicht wird, verklagt Hedy Lamarr den Ghostwriter. Ihr Vorwurf: Er habe die Fakten verdreht. In dem Buch gleiche sie „einer Projektionsfläche für männliche sexuelle Fantasien“, heißt es in einer Rezension. Die letzten Jahrzehnte bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 lebt Hedy Lamarr einsam und zurückgezogen in Florida. Sie war sechsmal verheiratet, hatte drei Kinder und einige Affären mit Frauen, die jedoch ausschließlich aus Sensationslust an die Oberfläche gezerrt werden. Drei Jahre vor ihrem Tod erhält Hedy Lamarr den „Electronic Frontier Foundation Pioneer Award“. Ein Jahr später folgte der österreichische Erfinderpreis. Im Jahr 2014 wird sie posthum in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen. Seit einigen Jahren wird jedes Jahr am 09. November (Lamarrs Geburtstag) in deutschsprachigen Ländern der „Tag der Erfinder“ gefeiert. Als die 82-Jährige von dem Pionier-Award im Jahr 1997 erfahren hat, soll sie per Sprachaufnahme gesagt haben: „Danke. Ich hoffe, Sie fühlen sich so gut wie ich und es ist nicht vergebens gewesen.“

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Dieser Text erschien zum ersten Mal am 8. März 2021 auf musikexpress.de und wurde nun aktualisiert.

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