In der Mitte, irgendwo


Das vierte Album. Die ersten zwei verflogen wie im Rausch, das dritte war das schwierige. Nun könnten die Arctic Monkeys alles machen, eine mittelständische Bandfirma werden, sich auflösen, drauf pfeifen. Was haben sie getan? Ein Blick in den Kopf von Frontmann Alex Turner – und ein, nun ja: Gespräch.

Stell dir vor, du bist frei. Wirklich: frei. Du hast mit deiner Band drei Platten gemacht, die erste war die schnellverkaufteste der Geschichte, in deinem Land zumindest, die zweite verflog wie im Rausch, bei der dritten brauchte es dann ein tiefes Durchatmen, dafür musste die Band schon in die Wüste gehen, buchstäblich, Joshua Tree, auf einen Besuch beim Guru, auch buchstäblich, Josh Homme, es wurde dann das Wir-können-auch-anders-uuh-schwierig-and-by-the-way-leckt-uns-am-Arsch-Album. So wie sich das gehört.

Geld ist genug da. Für zwanzig Jahre bestimmt, wenn du dir keine echt teuren Hobbys angelacht hast; für zehn, wenn doch (aber du bist ja kein Idiot); für ein ganzes Leben oder mehr, wenn du lebtest wie die anderen. Aber das bist du ja nicht: wie die anderen.

Die haben nach der Schule studiert, vielleicht auch nicht, sie arbeiten jetzt schon eine Weile in ihren ersten Jobs, vielleicht auch nicht, sie kriegen demnächst das erste Kind, vielleicht auch nicht, sie haben das erste Auto, das ihnen noch die Eltern geschenkt hatten, gegen ein neues, das erste selbst abzubezahlende eingetauscht. Vielleicht auch nicht. Und wenn gerade ihre erste große Liebe zu Bruch geht und damit das Leben plötzlich Spuren hinterlässt, Kratzer, bleibt reichlich Zeit, alles neu und anders zu machen. Die Welt ist noch weit mit Mitte zwanzig. Mitte zwanzig: super Alter, eigentlich. Das beste.

Wenn die Leute sich nun nicht zum ersten Mal umdrehen und zurückschauen würden. Und sich einbildeten, dass das, was sie hinter sich zu sehen glauben, womöglich besser war als das, was vor ihnen liegt.

Du hingegen bist Popstar geworden. Und dein Problem ist, dass die anderen Leute jetzt vor dir stehen in der ersten Reihe – und du in Gesichter siehst, hinter denen in Erinnerungen gekramt wird beim Erklingen deiner Musik. Vorher warst du für die ersten Male zuständig, da liefertest du den Soundtrack zu ersten Küssen, ersten Drogenräuschen, ersten Vollsuffficks, dem Beginn der ersten großen Liebe. Jetzt ist die einstige Gegenwart nur mehr erinnerte Gegenwart, und die suppt schlimmstenfalls rüber in, heilige Scheiße: Nostalgie.

Wie also war das, damals, vor gerade mal fünf Jahren, fragen sich die anderen in der ersten Reihe (und die Älteren dahinter eh), als alles noch neu war und deine Lieder davon handelten, wie es sich anfühlt, jung zu sein, echt jung. Und am richtigen Ort und Platz, auf einer Tanzfläche irgendwo Samstagnachts in der fauligen Provinz der toten Industriestädte. Dort, wo es nach billigem Drogerienparfum und Bierpisse und klebrig-süßen Cocktails und Kebabkotze riecht, so wie es sein soll; und wo die Jungen und Mädchen nicht nach Metropole ausschauen, sondern wie schlechte Imitationen, aber eben gute schlechte, grobe. Denn sie kriegen es einfach nie hin, die Werbeanzeigen, Modestrecken, Musikvideos nachzustellen, nicht mal die schäbig-bunten Stylisten-Looks der Musikfernsehfressen. Weil die Eltern nicht genug Taschengeld geben und der Nebenjob unter der Woche abends auch nicht wirklich mehr abwirft als das, was man für eine anständig bedröhnte Samstagnacht braucht, viermal im Monat, Klamotten, Alkohol, Drogen, Geld für den ersten Überlandbus um neun Uhr morgens.

Jetzt stehst du da. Und dein Leben passt nicht mehr zu dem der anderen. Du bist um die Welt getourt und fortgezogen, nach London erst, da wo die Originale herumlaufen aus den Werbeanzeigen und Modestrecken, in den Musikvideos spieltest du längst selbst die Hauptrolle. Und das tollste Mädchen aus dem Musikfernsehen, aus den Werbeanzeigen und Modestrecken: das war jetzt deines.

Alexa Chung, Model und Moderatorin. Die Karl Lagerfeld „schön und klug“ nennt (mit der Betonung auf „und“); die von der amerikanischen „Vogue“ zur neuen Kate Moss erklärt wurde; die ihre eigene It-Bag bekommen hat von Mulberry, die sich die Mädchen in der Provinz, aus der auch Chung kommt, nicht leisten können: 1.100 Euro. Alexa ist das Mädchen, das gut auf dem Dancefloor ausschaut. You bet.

Ihr seid dann zusammengezogen. Erst London, Columbia Road. Dann New York, Brooklyn natürlich, Williamsburg natürlich. Zwei Zimmer, eingerichtet mit Flohmarktmöbeln, ein Traum.

Das vierte Album konnte kommen. Du und die anderen drei von der Band fanden: Man könnte jetzt mal in Los Angeles aufnehmen. Wie weit ist das weg von Sheffield? Weit genug? Zu weit?

Cut. Ein sonniger Frühlingsmittag in Berlin, Alex Turner sitzt mit Matt Helders in einem Nebenraum des HBC, dem eigentlich einzigen Mitte-Club, der nie voll ist. Super Räume im ehemaligen „Haus Ungarn“, abgefuckt und alles, aber zu viele verschiedene Nutzungen in den vergangenen Jahren, zu viele verschiedene Leute, die glaubten: Das wird ganz, ganz groß, wenn ich den Laden erst mal übernehme. Jetzt vermietet man unter der Woche auch schon mal Räume für Musikerinterviews. Turner, der Frontmann, langes Strubbelhaar, schaut müde aus und süß. Tut er aber immer bei solchen Gelegenheiten. Und redet eher wenig. Deshalb sitzt Helders meistens daneben. Der Drummer, der redet. Der die Pausen von Alex Turner füllt. Manchmal. Die beiden anderen, Jamie Cook und Nick O’Malley, sind gar nicht erst mitgekommen. Erster Versuch, ins Gespräch zu kommen. Man muss Alex Turner Zeit lassen. Ihm beim Schweigen zugucken. Man muss ihn ausschweigen, aussitzen. Nicht zu viele Fragen stellen.

Wie war L.A.?

Helders: Toll. Und: Wir haben den Job fertig bekommen.

Wie lange seid Ihr dagewesen?

Helders: Ungefähr fünf Wochen.

Wenn man in L.A. länger als ein paar Tage bleibt …

Turner (einen Werbespruch imitierend): … bleibst du für immer.

… könnte das einen im Kopf irgendwie: ändern.

Helders: Ja, kann ich nachvollziehen. Aber es wäre nicht schlecht für den Kopf. Wir hatten eine gute Zeit, jedenfalls. Könnte mir vorstellen, da zu leben.

War Kalifornien nach der Mojave-Wüste, wo Ihr fürs vorherige Album „Humbug“ gewesen seid und aufgenommen habt, die Entsprechung?

Helders: Um etwas Sonne zu sehen, ja, darum ging es.

(Pause)

Turner: L.A. ist ein guter Ort, um sich selbst wieder auf null zurückzusetzen. Genau wie die Wüste, irgendwie. Bevor ich mit dem Songschreiben für dieses Album begonnen habe, bin ich noch mal zurück dorthin, in die Wüste, für ein paar Tage. Ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Das ist vermutlich einer unserer liebsten Orte auf der Welt.

Helders: Wundervoll.

Turner: Ich bin auch mit dem Plan hingefahren, dort vielleicht schon anzufangen mit dem Schreiben. Doch als ich dann da war, ist mir zunächst nicht mal viel eingefallen. Ich saß bloß da und schaute in die Wüste. Ja, es war eine Art Reset.

(Pause)

Turner: Die meisten Lieder hab ich dann erst später in New York geschrieben, letzten Sommer. Ich hab zum ersten Mal außerhalb von Großbritannien geschrieben. Yeah.

(Pause)

Turner: Und ich saß dabei zum ersten Mal nicht im Erdgeschoss. Sondern im vierten Stock, in so einem Apartmenthaus.

Helders: Andere Perspektive.

Turner: Richtig, andere Perspektive, anderer Blick auf die Dinge. Ungefähr 18 Monate New York. Mir ist das mit dem vierten Stock erst kürzlich aufgefallen: Wie ich immer ein bisschen spielte, dann irgendwann eine Pause machte, Zigarette am Fenster – anderer Blick. Yeah.

Turner: Die Umgebung hat definitiv einen Einfluss darauf, was einem einfällt beim Schreiben.

(Pause)

Turner: Aber nicht in dem Sinne, dass einem nun plötzlich bloß noch so was wie „Yellow Cab Blues“ einfällt, nur weil man mal in New York aus dem Fenster guckt. Hehehe.

Helders: „Steamy grey …“

Turner (singt): „Steamy grey womaaaaaan …“

Helders: Hehehe.

(Pause)

Turner: Man darf auch nicht versuchen, am falschen Ort unbedingt schreiben zu wollen. Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, es war einmal in Schweden … Oder Finnland? Jedenfalls: Wir spielten da ein Festival. Als ich etwas Zeit hatte, entfernte ich mich von dem Trubel und setzte mich allein an den See, der dort war. Ein schöner See, unerträglich schön eigentlich. Ich nahm meine Akustikgitarre, spielte ein bisschen darauf herum – und komponierte den schlechtesten Song aller Zeiten. Hehehe.

(Pause)

Turner: Da konnte der See aber nichts für. Und ich will damit auch nicht sagen, dass alle Lieder, die in einer netten Umgebung geschrieben werden, notwendigerweise scheiße sind. Ich kann auch eh nicht schreiben, wenn wir auf Tour sind. Kommt nur Mist bei raus.

(Pause)

Turner: Für die härteren Songs wie „Don’t Sit Down ‚Cause I’ve Moved Your Chair“ und „Brick By Brick“ habe ich versucht, irgendwie lustige Texte zu schreiben, bisschen blödsinnige. Um mit Humor ein Gegengewicht herzustellen. Ich glaube, wir brauchen das, damit man uns solch derangierte Songs abnimmt. Denn wir sind komischerweise ja nicht Black Sabbath. Yeah.

Dein ständiges Yeah ist kein Rock’n’Roll-Yeah. Es ist eher ein Selbstvergewisserungs-Yeah. Jedenfalls tut es so. So, als beglaubige es, dass alles gerade Gesprochene auch gerade erst gedacht wurde, zum ersten Mal – und dass es so richtig ist. Das ist natürlich ein Trick von dir. Möglicherweise will dieses Yeah auch einfach sagen: Frag mich nicht, interessiert mich nicht. Du kannst einfach nicht verleugnen, dass du das professionelle Reden über deine Musik relativ überflüssig findest. Du machst zumindest keine Anstalten, diesen Eindruck zu verwischen. Und eigentlich kann dagegen auch niemand was sagen: dass das Reden über Musik, sogar auch das nichtprofessionelle, das Geschwätze neben der Box in der Disco, in der Bar, zu Hause, egal, fast nie zu was führt. Außer zu unlösbarem Streit, weil nie irgendwer recht haben kann. Oder es führt zur gegenseitigen Bestätigung, im schönen emphatischen Sinne: Du bist gut, ich bin gut, wir sind gut. Aber um das hinzukriegen, könnte man auch echt über was anderes reden.

Wenigstens bringt die HBC-Bedienung jetzt endlich den lange bestellten Cappuccino.

Ihr seid als Band gerade an einem interessanten Punkt: Jetzt könnt Ihr alles machen. Es ist auf beste Weise: egal.

Turner: Nach Humbug gab es tatsächlich das Gefühl, dass nun alles möglich wurde. Wir haben danach nicht nach Ideen suchen müssen, es gab reichlich davon. Wir mussten daraus nur ein paar aussuchen. Ein gutes Gefühl: machen zu können, was man will, und das Rüstzeug dafür zu besitzen. Das war eine Folge des dritten Albums, bei dem wir bewusst die Wege verlassen hatten, die wir davor beschritten hatten. Zu Josh Homme in die Wüste zu gehen, war der notwendige Schritt dafür. Yeah.

(Pause)

Turner: Der Ehrgeiz beim vierten Album hieß nun: etwas hinkriegen, das nicht total scheiße ist.

Wann war klar, dass es nicht total scheiße wird?

Helders: Ziemlich am Ende.

Turner: Ja, aber diese Zeit der Ungewissheit davor gehört dazu. Man kalkuliert auch den Moment ein, an dem man als Band wieder in einem Raum zusammenkommt und womöglich feststellt, dass man lieber alles anders machen möchte, die Ideen wegschmeißen. Wir haben uns im Proberaum in London getroffen vor den Aufnahmen in Los Angeles, unser Produzent James Ford war da, in diesem total weiß angestrichenen Raum stand ein Projektor, und für den hatte James ein paar Sachen vorbereitet, riesige Projektionen, irgendwas Psychedelisches … Wir haben dann noch ein paar Bilder von Megan Fox reingeschmuggelt, hehe – und dann haben wir Rock’n’Roll gespielt. Von da an lief es.

Wie würdet Ihr das neue Album denn nun so beschreiben, da es nicht total scheiße geworden ist?

Helders: Ich finde, dass es melodisch ist. Und leicht. Also leicht nicht im Sinne von: leicht verdaulich. Es hat eine Leichtigkeit.

Turner: Es ist wie ein Ritt durch einen sturmgepeitschten Canyon, auf dem Rücken eines schwitzenden Pferdes.

Äh?

Helders: Das klingt doch schon nach Spaß.

„The Thunder-suckle Fuzz Canyon“ war ein Arbeitstitel der Platte, stand irgendwo. Was ist das für ein Canyon, bitte?

Helders: Ein Phantom-Canyon.

Turner: Rock’n’Roll. Yeah. Wie würdest du es beschreiben?

Ich mag es. Ich mag die Art, wie die Songs nie ganz zusammenpassen. Dass das Album sich nicht so wegspielt, in einem Rutsch. Dass es genug Lieder gibt, die flirren, im Sinne von Popsongs, aber nicht zu viele davon, denn da gibt es nun eine Art Fundament, das diese Platte am Boden hält, die Songs nicht verwehen lässt im Überschwang von irgendeinem Sentiment, Jungsein im Zweifel.

Turner: Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Das Seltsame ist: Ich finde es gut, wenn Dinge zusammenpassen, ineinandergreifen. Aber wir haben das nie wirklich hinbekommen auf unseren Platten: dass der eine Song logischerweise zum nächsten führt und sich am Ende alles verschränkt, entlang eines roten Fadens. Meine Vorstellung war, dass eine Gruppe von Liedern, die zu einer bestimmten Zeit entstanden sind, doch auch von ihrer Logik, ihrem Stil, ihrem Feel, ihrem Sound her zusammenpassen müssten, und dass man diese Gruppe von Songs dann auf einem Album versammelt – und alles wird gut, alles ist synchron sozusagen. Stattdessen scheinen sich ständig Überlappungen zu ergeben: Songs vom zweiten Album hätten eigentlich besser aufs erste gepasst und umgekehrt … Und dann gibt es ewig Songs, die auf gar kein Album richtig passen, Songs vom Rand. Aber ich bin nun bereit, zu akzeptieren, dass exakt das etwas ist, was die Arctic Monkeys ausmacht: die Unordnung, das Unabgeschlossene. Nichts ist je ganz akkurat und aufgeräumt, bündig. Aber das ist okay. Hab mich damit abgefunden. Wow, ich glaub, ich hab einen Redeflash. Noch so einen Kaffee, bitte!

Wie bewusst ist einem eigentlich, dass die Leute bei Euren Konzerten jetzt langsam nostalgisch werden?

Helders: Man sieht und merkt es, klar. Seltsames Gefühl: Wir sind verantwortlich für Nostalgie. Jetzt schon. Muss man sich mal vorstellen! Das andere Merkwürdige ist: Da stehen nun auch Leute in der ersten Reihe, die zehn Jahre alt waren, als unser erstes Album erschien – nun sind sie 15, 16 und haben die Zeit nicht bewusst miterlebt, in dem unsere ersten Lieder rausgekommen sind. Das vierte Album könnte ihr erstes sein, dass sie bei seiner Veröffentlichung schon wahrnehmen, und jetzt kaufen sie sich vielleicht die alten Platten nach. Den Satz muss man auch erst mal verdauen: „Sie kaufen unsere alten Platten nach.“ Total weird. Man denkt automatisch daran zurück, wie es bei einem selbst war: an die Nachmittage beim Computerspielen im Kinderzimmer, das Rumfahren auf dem Fahrrad, und dann alte Platten nachkaufen, von Pulp, Oasis, Blur … Scheiße, jetzt sind die alten Platten auch von uns.

Albumkritik S. 94