Interview

Jared Leto im Interview: Der Mann ohne Eigenschaften


Ein Gespräch über seine ersten Berührungspunkte mit Musik, die Liebe zu seiner Mutter und Fotografie.

Mit seiner Band Thirty Seconds To Mars macht er bombastisch emotionalen, hochgradig stadiontauglichen Alternative Rock – auf der Leinwand ist er schwer drogensüchtig, eine aidskranke Transperson und ein durchgeknallter Krimineller. Aber wer ist das eigentlich, Jared Leto? Auf jeden Fall glaubt er an rechtschaffene Arbeit und verehrt seine Mutter.

Am Tag vor unserem Interviewtermin mitten im Sommer – auf Wunsch des Künstlers über Zoom und ohne Kamera – ist Jared Leto zu Promo-Zwecken in Berlin angekommen. Er ist zum Mauerpark gelaufen, durch Mitte und Prenzlauer Berg spaziert und hat in seinem Lieblingsrestaurant Monsieur Vuong zu Abend gegessen. An einem der nächsten Tage wird er die Fassade des Hotel de Rome hochklettern, wie sich später rausstellt. Eine Aktion, in der sich zwei seiner Leidenschaften treffen: das Klettern und öffentlichkeitswirksame Auftritte.

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Abgesehen von den mal glamourösen, mal spacigen, mal hippiemäßigen, in jedem Fall exzentrischen Outfits bei Konzerten seiner 1998 gegründeten Alternative-Rockband Thirty Seconds To Mars, trug Leto bei einer vergangenen Ausgabe der Met Gala in New York zum Beispiel eine Replik seines eigenen Kopfes in der Hand herum, in diesem Jahr schlüpfte er in ein Ganzkörperkatzenkostüm. Eine Hommage an die modelnde französische Birma-Katze Choupette, beziehungsweise an ihren früheren Besitzer: Karl Lagerfeld – mit dem Leto bekannt war und den er demnächst in einem Biopic verkörpert. Er wollte „mit einer Idee ankommen, über die Karl hätte lachen müssen“.

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Von seinen Fans wird Leto, der mittlerweile 51 ist, sich auf Instagram gern oberkörperfrei präsentiert und ausschaut wie allerhöchstens Mitte 30, teilweise kultisch verehrt. Ob ironisch oder nicht: Bei einer leicht zwielichtigen Mischung aus Luxus-Retreat und Festival auf einer kroatischen Insel machte er 2019 in weißer Robe und Rauschebart denn auch einen auf Messias, führte seine Fans/Jünger durch die Landschaft und lud zu Meditations-Sessions. Konzerte von Thirty Seconds To Mars gab es nebenbei auch.

Am faszinierendsten, extremsten ist Leto auf der Leinwand. In den Anfangstagen musste er sich von Edward Norton das Engelsgesicht zu Brei schlagen („Fight Club“, 1999) oder von Christian Bale mit der Axt spalten lassen („American Psycho“, 2000). In Darren Aronofskys „Requiem For A Dream“, rückblickend der Durchbruch als ernst zu nehmender Schauspieler, verkörperte er einen drogensüchtigen Jugendlichen, dessen Leben eine verstörende Richtung einschlägt. Für seine Rolle als aidskranke Transperson in „Dallas Buyers Club“ nahm der eh schon schmale Leto fast 20 Kilo ab, als Joker in „Suicide Squad“ ging er so sehr in seiner Figur auf, dass er sogar seinen Filmkollegen suspekt wurde. Er habe die reale Person Jared Leto während der Dreharbeiten nie kennengelernt, hat Will Smith später mal sinngemäß gesagt.

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Aber wer ist das überhaupt, die reale Person Jared Leto (von tiefergehenden philosophischen Fragen mal abgesehen)? Klar, er ist Schauspieler, Sänger und Gitarrist, hat zusammen mit seinem Bruder Shannon am Schlagzeug eine Band, die jetzt ihr sechstes Album IT’S THE END OF THE WORLD BUT IT’S A BEAUTIFUL DAY herausbringt (der eigentliche Anlass des folgenden Gesprächs). Aber: Obwohl er ständig in der Öffentlichkeit steht, weiß man von ihm als Person auffallend wenig. Wo lebt er, ist er in einer Beziehung, ist er sympathisch? Keine Ahnung.

Was auch daran liegt, dass er, wenn er nach seinem Privatleben, nach seinen Gefühlen, Einstellungen gefragt wird, sich mit einem gut einstudierten Trick entzieht: Er windet sich vom Privaten, Individuellen hin zum Abstrakten, Allgemeinen, zum Lebensweisheiten-Mäßigen. Liest man sich alte Interviews mit ihm durch, fällt das extrem auf: Auf die Frage, was Freiheit für ihn bedeutet, erzählt er was von innerem Gleichgewicht und Meditation. Seine größten Ängste? Nun, Ängste seien doch allgemein auch eine gute Sache, weil sie einen antreiben, härter zu arbeiten. Als der „Guardian“ einmal wissen wollte, was seine schlechteste Eigenschaft ist, brachte er, ganz im Bewerbungsgespräch-Modus, sein „gnadenloses Streben nach Perfektion“ vor.

Perfektionismus dürfte auch wirklich ein hervorstechendes Merkmal sein. Als Schauspieler verfolgt er einen akribischen Method-Acting-Ansatz. Bei seinen Konzerten sucht er mit jeder Menge Glitter, bunten Luftballons und vollem Körpereinsatz nach der absoluten Gefühls-Ekstase. Er ist peinlich genau darauf bedacht, was er von sich preisgibt. Er trinkt nie Alkohol, ernährt sich vegan, geht selten aus, meditiert, macht Yoga und klettert steilste Felswände rauf.

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Das folgende Gespräch ist (wenn auch davor nicht so geplant) eine Annäherung von den Anfängen her. 1971 in Louisiana geboren, wächst Leto mit seinem Bruder an verschiedenen Orten auf. Über seinen Vater, der sich das Leben nimmt, als Jared noch ein Kind ist, spricht er in Interviews nicht, über die Mutter dafür umso lieber. Von ihr gehen viele Stränge aus, die in seinem späteren Leben wichtig sind: Musik, Fotografie, allgemein der Zugriff aufs Kreative. „I love you mom, thank you for teaching me to dream“, sagte er in seiner Oscar-Rede (für „Dallas Buyers Club“).

Jared, vor 25 Jahren hast du zusammen mit deinem Bruder Shannon Thirty Seconds To Mars gegründet. Wie hat das mit der Musik für euch eigentlich angefangen?

Unsere Mutter hat viel damit zu tun. Sie setzte uns in ihrem Freundeskreis Kunst und Kreativität aus. Es waren die Hippie-Tage in Amerika und sie gehörte zum Kreis einer Gruppe von Künstlern. Musiker, Instrumente, all das war immer um uns rum. Die Musik machte den Stoff unserer frühen Kindheit aus. Unsere Mutter nahm uns zu Gratiskonzerten ins örtliche College mit, wo wir ganz früh jede Menge interessante Musik entdeckten. Auch wenn mir anfangs nicht klar war, dass man tatsächlich in einer Band sein konnte. Ich kannte niemanden, der Sänger war, Rockstars wirkten auf mich wie Aliens von einem anderen Planeten. Ich dachte, man muss irgendwie vom Blitz getroffen werden, irgendwas Magisches muss passiert sein. Dass man sich diese Dinge selber beibringen, proben, hart arbeiten und dann vielleicht sogar eigene Lieder schreiben und rausbringen kann, wusste ich lange nicht. Der ganze Prozess war mir komplett unbekannt.

„Rockstars wirkten auf mich wie Aliens von einem anderen Planeten.“

Wie habt ihr dann konkret angefangen?

Ich hatte ein paar Akkorde auf der Gitarre drauf und mein Bruder steckte all seinen Ehrgeiz in die Drums. Er fing vor mir an und nahm Schlagzeug-Stunden. Er wurde schnell echt gut, und von da an ging es weiter bis zu dem Punkt, an dem wir heute sind. Unglaublich, dass wir das jetzt so lange machen. Ich dachte nicht mal, dass wir je eine Platte rausbringen würden. Zweifel, Angst, Unsicherheit, das gehörte immer dazu, aber wir haben einfach weiter Musik gemacht, einen Fuß vor den anderen gesetzt – und hier sind wir!

Ray Davies von den Kinks meinte mal, dass es keine gute Idee ist, mit seinem Bruder zusammen eine Band zu gründen. Du siehst das vermutlich anders?

Die Band wäre niemals dieselbe, wenn wir keine Brüder wären – und unser Verhältnis als Brüder wäre niemals dasselbe ohne die Band. Wir hatten ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Weg, geteilte Träume. Auch wenn es nicht immer einfach war, hat es bis hierhin gut funktioniert.

Gibt es Rivalität zwischen euch?

Weißt du, für einen solchen Bullshit sind wir schlicht zu alt. Es gibt einfach zu viel zu gewinnen, indem man Konflikte vermeidet. Wir sind an einem Punkt in unserem Leben angekommen, an dem wir wissen, wie wertvoll wir füreinander sind. Wir geben uns gegenseitig Raum und die Möglichkeit, das zu tun, was wir am besten können. Mein Bruder hat sich als Songwriter und Producer extrem weiterentwickelt. Auf unserer neuen Platte war er in die Produktion involviert und hat den Sound geformt. Was großartig ist, weil das sonst an mir hängengeblieben wäre.

„It’s the end of the world but it’s a beautiful day“: Machst du dir Sorgen um die Zukunft oder bist du gut darin, im Moment zu leben?

Ich versuche im Moment zu sein, aber bin ziemlich schlecht darin. Ich denke ständig daran, was als Nächstes kommt, und träume von morgen. Aber ich verstehe den Wert davon, loszulassen und im Moment aufzugehen. Es ist alles andere als leicht, aber ich arbeite daran. Meditation ist hilfreich.

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Dieses zuvor angesprochene Verallgemeinern, das Abstrahieren vom individuellen Gefühl hin zum kollektiven Fühlen gibt es auch in den Songs von Thirty Seconds To Mars. „I tried to be someone else, but nothing seemed to change / I know this is who I really am inside, I’ve finally found myself“, heißt es in „The Kill“, dem Trademark-Stück der Gruppe. „It’s the moment of truth, and the moment to lie, the moment to live and the moment to die, the moment to fight, the moment to fight“, skandiert Leto in „This Is War“. Dazu seine überdrehende Singstimme, der aufputschende, enthusiastische Stadion-Sound – und man hat die 30STM- Formel. Ihre Konzerte sind so etwas wie kollektive Gefühlsoverkill-Happenings. Von Kritikern bekommt die Band für ihren Bombast-Sound, ihre teils phrasenhaften Texte oft Prügel oder wird gleich gar nicht ernst genommen. Auch deshalb ist unter Anhängern ein Gefühl des Eingeweihtseins entstanden, der verschworenen Gemeinschaft – und das trotz Letos Mainstream-Beliebtheit als Schauspieler.

IT’S THE END OF THE WORLD BUT IT’S A BEAUTIFUL DAY, die erste Platte seit AMERICA vor fünf Jahren, hat alle Elemente eines Albums von Thirty Seconds To Mars. Bloß die Gitarre ist diesmal weniger präsent, es geht also mehr in Richtung Alternative-Pop als -Rock. Und die Lieder sind kürzer als gewohnt.

Feststecken, gefangen sein – davon handelt die erste Single „Stuck“: „I knew I’d stay with you after just one touch / The way you move has got me stuck.“ Den schicken schwarz-weißen Clip, bei dem er selbst Regie führte, versteht Leto als Hommage an Fotografie und Mode. Kein Zufall: Bevor er mit Anfang 20 nach Los Angeles ging und ein Star wurde, besuchte er an der Ostküste mehrere Kunst- und Designschulen.

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Im Song „Stuck“ geht’s darum, so sehr auf eine andere Person fixiert zu sein, dass man gefangen ist. Ist dir das schon oft passiert?

Ich war in meinem Leben in Dingen gefangen, ich war in anderen gefangen, ich war in mir selbst gefangen. Das ist allen von uns schon passiert, hoffentlich kommt man dann frei. Wobei es in manchen Phasen im Leben auch nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss. Im Song schwingt schon eine Art von Befreiung mit, gleichzeitig ist es großartig, jemanden zu treffen, den man aufregend findet, von dem man fasziniert ist.

Das Video zu „Stuck“ feiert all diese äußerlich sehr verschiedenen Leute, die tanzen und sich expressiv zur Musik bewegen. Gleichzeitig ist der Clip in seiner Bildsprache eine Hommage an berühmte amerikanische Fotografen wie Richard Avedon, Diane Arbus und Robert Mapplethorpe.

Auch hier kommt wieder meine Mutter ins Spiel, denn sie war Fotografin. Sie hat unzählige Bilder gemacht, als mein Bruder und ich aufgewachsen sind. Sie hat die Fotografie als Kunstform ausgelotet und uns mit Schwarz- Weiß- und Porträtaufnahmen vertraut gemacht. In der Hinsicht ist das Video also ein Liebesbrief an meine Mutter und an das, was sie uns beigebracht hat. Die Fotografen, die du genannt hast, waren entscheidend dafür, wie ich die Welt sehe, wie ich fotografiere, wie ich filme. Unglaublich talentierte Leute.

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Du bist zur Kunstschule gegangen, bevor du Schauspieler und Musiker wurdest. War Fotografie ein Schwerpunkt?

Genau, ich hab Fotografie studiert und Stunden über Stunden in der Dunkelkammer verbracht. Ich bin verlorengegangen da drin und habe es geliebt, Fotos zu machen und zu drucken. Und diese Faszination ist mir bis heute erhalten geblieben. Ich konzipiere unsere Musikvideos, und speziell der Clip zu „Stuck“ ist eine Art Studie zur Porträtfotografie. Ein Tribut an die ganzen Einflüsse, die wir dank unserer Mutter aufgesogen haben.

Es geht darin auch um Mode. Du hattest da ja immer deine Connections, hast für Gucci geworben, bist mit deren ehemaligem Kreativdirektor Alessandro Michele über den roten Teppich spaziert. Könntest du dir vorstellen, als Designer zu arbeiten, wie Kanye West oder auch Pharrell Williams, der bei Louis Vuitton ja anstelle des verstorbenen Virgil Abloh die Herrenkollektion gestaltet?

Ich weiß nicht … Ich mag es jedenfalls, Dinge zu machen. Ich bin eine kreative Person. Wer weiß, sag niemals nie.

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Was ich mich manchmal frage: Woher kommt dieses Selbstvertrauen, diese ganzen verschiedenen Dinge zu tun. Ist man als kreative Person irgendwie automatisch fähig, alles zu machen? Oder glaubst du an spezifische Talente, also zum Beispiel für Schauspielerei, Musik, bildende Kunst?

Mehr als alles andere glaube ich an harte Arbeit. Manche Menschen haben eine Begabung, ganz klar, aber ohne Disziplin, ohne harte Arbeit ist es echt schwer, etwas zustande zu bringen. Denn Talent und Inspiration, diese kreativen Komponenten, sind wie lightning in a bottle. Du musst an deinem jeweiligen Handwerk arbeiten, um an einem bestimmten Punkt ein fertiges Produkt präsentieren und deine Arbeit rausbringen zu können. Die großartigsten Künstler sind nicht nur die kreativsten oder talentiertesten, sondern auch die, die Disziplin und harte Arbeit aufbringen können. Selbst wenn das nur zeitweise gelingt.

„Die großartigsten Künstler sind nicht nur die kreativsten oder talentiertesten, sondern auch die, die Disziplin und harte Arbeit aufbringen können.“

Disziplin, harte Arbeit: Zumindest aus der Außenperspektive wirkt es so, als müsste Leto die Extreme – in seiner Schauspielerei mehr noch als in seiner Musik – durch eine genauso extreme Selbstoptimierung, Selbstkontrolle erst möglich machen. Es ist auch ein zeitgeistiger Ansatz, wenn man daran denkt, dass jeder zweite mittlere Büroangestellte heutzutage vor der Arbeit joggen geht und nach Feierabend Spinning und Yoga macht oder zum Bouldern fährt. Nur treibt Leto es auch hier weiter als so ziemlich jeder andere.

Was hinter der perfekten Fassade steckt, ist schwer zu sagen. Es scheint schwierig, ihm wirklich nahe zu kommen. Auch in diesem Interview ist es nicht richtig gelungen. Man hätte trotzdem gern länger mit ihm geredet, seiner leicht heiseren, gedehnten Stimme beim Erzählen zugehört. Aber schon nach 15 Minuten verabschiedet er sich nett und professionell („Thanks for your time brother, appreciate it“), und weg ist er. Sein Zeitplan dürfte eng sein.

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