Lilac Angels


Hard Rock hiesiger Herstellung verkauft sich manchmal ganz gut, das Beispiel Scorpions beweist es. Daß die Echtheit unseres Hard Rock manchmal zu wünschen übrig läßt, verwundert kaum: Das Genre stammt vom Rock’n’Roll ab, und der ist drüben übern Teich entstanden. Doch siehe und höre, vier lila Engel nehmen derzeit ihren zweiten Anlauf und bringen die Chose scheinbar locker aus der Hüfte – Hard Rock aus Düsseldorf, aber echt und urig.

Die Lilac Angels plagt zunächst mal der Nachteil, aus jener Stadt zu stammen, die uns neben reichlich kandiertem Jet Set-Flair vor allem Roboter-Musik unterhalb 0 Grad Celsius serviert: Bands wie La Düsseldorf, Neu und speziell Kraftwerk, eingestandenermaßen „die Roboter“, hatten schon immer viel für kalte Elektronik, aber wenig für Feeling übrig. Doch die Musik der Lilac Angels selbst ist wohl bestes Zugpferd dafür, sich vom Image der Düsseldorfer Szene zu befreien. Im Blindtest würde mancher deutsche Hörer sicher auf eine amerikanische Band tippen und überhaupt: Wenn man die Angels so reden hört, kommt deutlich ‚raus, daß sie vorwiegend das im Sinn haben, was Rock ausmacht, nämlich verschwitzte Achseln, brustbeinerbebenden Beat, ’ne runde Melodielinie und Texte, zu denen man keinen Duden aufzuschlagen braucht. Kurz, die Lilac Angels sind wahrlich eine Wohltat.

Hard-Rock-Town

Ober-Engel ist dabei Joe Stick, der mal Medizin, Psychologie und Werbung studiert hat, aber sich mit Rhythmusgitarre und Gesang offenbar wohler fühlt. Stick’s Gesang ist maßgeblich am Sound der Lilac Angels beteiligt, denn wie kaum ein zweiter Nicht-Arr.i oder-Engländer beherrscht er Sprachgefühl, singt „Lady“. Die einer aus Richmond und „Corner“ wie sie’s in Newcastle machen. Dazu paßt sein Äußeres prächtig: El Diabolo aus Hard Rock-Town. Leadgitarrist Bodo Staiger besetzt da schon eher die Gegenposition: L’Angelo mit musikalischer Erfahrung bei Harakiri Whoom,wo Marius Müller-Westernhagen mal gesungen hat, und zweijähriger Arbeit mit Jazz-Rock bei Sinus, wo neben dem Kraftwerker Karl Bartos auch Peter Wollek mitwirkte, der nun bei unseren Angels Baß zupft. Bliebe noch Nappes Napiersky, wie Stick Ur-Mitglied der Lilac Angels und Schlagzeuger mit dem richtigen Hard Rock-Gefühl: Vital und treibend, Akrobatik hintangesetzt.

Westerwald-LP

Zusammen mit Conny Plank hat die Band kürzlich im Westerwald die LP „Hard To Be Free“ eingespielt, die in diesen Tagen erscheint und jedem Freund markigen Rocks wärmstens ans Herz gelegt werden kann. Die Platte signalisiert die fruchtbaren Erfahrungen, die die Lilac Angels – nicht nur musikalisch – während ihres immerhin siebenjährigen Bestehens gemacht haben. Am Anfang war da Joe Stick, der sich, verärgert über ein Konzert der Xhol Caravan, 1971 einige Musiker zusammensuchte und munter drauflosspielte. Damals bestanden die Angels noch aus Stick und Napiersky sowie Horst „Horrex“ Lütge (g) und Detlef Krause alias Det Silverstein (bg) und verfügten über zwei unschätzbare Vorteile: Erstens spielten sie inmitten der damals besonders grassierenden Cosmic-Welle schnurgeraden Rock, der von den Stones, den Who und Velvet Underground beeinflußt war. und zweitens besaßen sie Geschäftsssinn.

Die Band inszenierte eine große Industrie-Anmache, indem sie per Rolls Royce vorfuhr (und prompt von den Managern vorgezogen wurde), sich dabei aber finanziell (was schlichtweg Pech war) verausgabte; andererseits finanzierte sie ihr erstes Album selber und überließ lediglich das fertige Produkt einer Plattenfirma – für damalige Zeiten ein enormer Fortschritt im Hinblick auf die persönliche und künstlerische Freiheit der Musiker. Leider besaß die Sache den Haken, daß das Album „I’m Not Afraid To Say ‚Yes'“ zwar gut klang, sich aber zu schlecht verkaufte, um die Finanzen der Angels ins Reine zu bringen. Unter Kennern besitzt die Platte noch heute Stellenwert – von wegen „echter deutscher Hard Rock der Gründerjahre“ und so – und sollte eigentlich wiederveröffentlicht werden. Vor allem aber auch vom Image her wußten die Angels damals schon zu überzeugen: Man kleidete sich lila, man verkleidete die Bühne lila und man versah natürlich die Plattenhülle mit Lila, wobei als Bestellcode jene Telefonnummer fungierte, mit der man aus Übersee nach Düsseldorf anrufen kann.

Beinah zwangsläufig löste sich die Band nach diesen LP-Flop auf. Chef-Angel Stick tat sich mit Klaus Dinger zusammen, um dessen Dingerland-Label hochzuziehen, auf dem Bands wie La Düsseldorf, Fritz Müller, Neu (damals noch mit Michael Rother) und die zu reformierenden Lilac Angels wirken sollten. Doch dies erwies sich bald als unergiebig, und Joe Stick verdankt dieser Angelegenheit bis heute allenfalls Schulden und einige Erfahrungen hinsichtlich des Finanzgebarens im Rockgeschäft.

Was nunmehr den Lilac Angels zugute kommt. Denn die jetzigen Engel verlegen sich nicht mehr auf überstürzte Aktionen, sondern haben ihren zweiten Anlauf sorgfältig geplant. In der heutigen Besetzung tritt die Band seit zwei Jahren auf, hat also genügend Routine gesammelt; in der Band halten sich musikalisch hochklassige Techniker und eher gefühlsmäßig agierende Leute numerisch die Waage, was für Ausgewogenheit sorgt; mit Walter Holzbaur besitzt die Gruppe nun einen Betreuer, der in der hiesigen Szene über einen glänzenden Ruf verfügt; und schließlich, das sollte nicht vergessen werden, stehen die Angels jetzt bei einer Firma unter Vertrag, die ihre deutschen Bands richtig zu behandeln weiß (gemeint ist die alte, aber weiser gewordene Mutter EMI).

Orgie in Lila

Haben die Lilac Angels somit nichts aus der Vergangenheit übernommen? Doch: Das Lila natürlich! Auf dem Cover zur neuen LP, an Joe Stick’s Hose, auf der Bühne, bei Artikeln in Musikzeitschriften und und und…. und musikalisch, da haben sie auch was von früher nur besser. Die LP „Hard To Be Free“ enthält einige Juwelen in puncto Hard Rock: Das auch als Single ausgekoppelte „Rock’n’Roll Lady“, „Let You Down“ oder „Sittin‘ In The Corner“, von „Queen Jane“ ganz zu schweigen. Dieser Song, einzige Fremdkomposition, stammt von Bob Dylan’s Album „Highway 61 Revisited“. Bobby hätte seine Freude dran!