Models. Heimweh. Taubenkacke. !


Früher schrieb er Texte über Blowjobs beim Autofahren, heute fliegt Caleb Followill, Sänger der Kings Of Leon, im Privatjet Selbstzweifel und Langeweile entgegen. Welche Perspektive bleibt? Der Erfolg seiner Band ist ihm unheimlich. Viel größer geht nicht. Eigentlich will Followill nur auf seiner Veranda sitzen, Bier trinken und entschleunigen.

Herr Followill, im Internet rumorte es, Sie würden ein schwer Country-lastiges Album aufnehmen. Davon ist auf dem Endergebnis allerdings wenig zu hören.

Followill: Na ja, die anderen wollten meine Country-Songs nicht. Und deshalb fürchte ich, dass ich sie so lange zurückhalten muss, bis ich irgendwann ein Solo-Album mache. Was wirklich schade ist. Denn ich bin da mit ein paar Songs ins Studio, die echte Herzensbrecher sind. Also bei denen kein Auge trocken bleibt. Nur: Kaum waren sie fertig, meinte die Band, was ich denn da verbrochen hätte, und dass das ja nun wirklich nicht das wäre, worauf sie gehofft hätten. Was wahrscheinlich – und das ist meine Theorie – auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass wir diesmal in New York aufgenommen haben, und jeder eine andere Vorstellung davon hatte, wie dieses Album ausfallen sollte. Aber: Ihr werdet die Country-Songs eines Tages hören.

„Herzensbrecher“? Sollten Sie nicht der glücklichste Mensch auf Erden sein? Ein Model als Freundin, Millionen auf dem Konto und die mediale Anerkennung, nach der Sie immer gestrebt haben. Was ist los?

Keine Ahnung, was es ist. Aber nach dem Erfolg des letzten Albums habe ich das erlebt, was eine Menge Künstler durchmachen, wenn alles ein bisschen außer Kontrolle gerät. Also diese innere Leere und Zerrissenheit, an der Kurt Cobain ja letztlich gescheitert ist. Denn wenn plötzlich alles zu groß wird, macht dir das Angst und du denkst: „Oh Mann, jetzt werde ich für den Rest meines Lebens mit diesem einen Album oder mit diesem einen Song assoziiert.“

Mit „Sex On Fire“?

Eine schreckliche Vorstellung. Du hast das Gefühl, als hättest du deinen Zenit erreicht und als könntest du das nie wiederholen, geschweige denn toppen. Das ist der Grund, warum ich nach meiner Heimkehr, als ich endlich wieder in Nashville war, damit angefangen habe, diese Country-Songs zu schreiben. Ich bin zu meiner Stammkneipe gefahren oder habe meine Kumpels zu mir eingeladen, wir haben abgehangen und eine Flasche Whiskey oder Tequila geköpft und ich habe diese Stücke auf der akustischen Gitarre gespielt. Worauf jeder meinte: „Was ist das? Wann kann ich das auf Platte haben?“ Und meine Antwort war halt immer: „Wenn meine Band mich lässt, werden sie auf dem nächsten Album landen. Aber: Erwartet besser nicht zu viel, denn ich bin mir sicher, dass sie etwas Junges, Frisches wollen.“ Und genau so ist es gekommen.

Heißt das, man zwingt Sie, Songs zu schreiben, hinter denen Sie nicht wirklich stehen?

Ganz so schlimm ist es nicht. Denn all diese Songs, die jetzt auf dem Album sind, waren in dem Moment längst da. Wir mussten uns nur darauf einigen, was wir davon nehmen. Und als wir die Aufnahmen endlich abgeschlossen hatten, meinte Angelo, unser Produzent, was denn mit den anderen Songs von mir wäre – ob wir die auch noch wollten. Natürlich haben die anderen dagegen gestimmt. Aber, wie gesagt, irgendwann werde ich sie veröffentlichen.

Wobei sich die meisten Songs auf dem Album um das Zuhause als Zuflucht, als Oase der Ruhe drehen. Leiden Sie so sehr unter Heimweh?

Ich denke, die Tatsache, dass wir tatsächlich kaum zu Hause sind, sorgt schon dafür, dass wir es ein bisschen idealisieren. Wir träumen oft davon und wünschen uns, da irgendwann mal so viel Zeit verbringen zu können, wie wir wollen und ein wunderbares, tolles Leben zu führen. Dabei ist es so, dass wir gerade bei unseren früheren Alben wie Aha Shake Heartbreak ja extrem viel Zeit zu Hause verbracht haben. Und deshalb hat damals jeder Song davon gehandelt, was es da draußen in der Welt so alles gibt, und was wir schmerzlich vermissen. Von daher würde ich sagen: Irgendwann werden wir beides erlebt haben. Aber unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir auf der Straße aufgewachsen sind, nie ein richtiges Zuhause hatten, und direkt zu diesem Lifestyle übergegangen sind, hatten wir halt nie ein echtes Zuhause. Und deshalb war das für mich immer das Einfachste, über das ich schreiben konnte. Denn für mich ist es eine wunderbare Vorstellung, dass ich eine Veranda habe, einen Schaukelstuhl und einen Haufen Babys. Aber sollte ich das irgendwann wirklich mal erleben, werde ich wahrscheinlich ganz schnell wieder einen Song schreiben, in dem es heißt: „Wie konnte ich nur? Ich muss hier raus!“

Warum nehmen Sie sich nicht einfach eine Auszeit?

Ich denke, nach diesem Album und der anschließenden Tour werden wir genau das tun. Ein paar von uns möchten heiraten und Kinder haben.

Gilt das auch für Sie?

Da nehme ich mich nicht aus. Ich würde wirklich gerne Vater werden. Wobei ich nicht genau sagen kann, wann das sein wird. Also vielleicht schon nächstes Jahr. Vielleicht aber auch erst in zehn Jahren. Nur: Wir reden darüber, 2011 eine Pause einzulegen, das Familienleben zu genießen und einfach zu schauen, wie das ist, wenn du morgens aufwachst, und ausnahmsweise mal weißt, wo du bist. Und eben nicht mitten in der Nacht dringend pinkeln musst, und dann aus Versehen in der Abstellkammer landest, weil du völlig orientierungslos bist.

Ach ja? Passiert Ihnen das öfters?

Regelmäßig. Gerade, wenn ich getrunken und absolut keinen Plan habe, wo ich gerade bin. Dann öffnest du halt die nächstbeste Tür in deinem Hotelzimmer und lässt laufen – was am Morgen sehr unangenehm und peinlich sein kann. Einfach, weil es bestialisch stinkt. Und da fällt es mir dann auch nicht schwer, über Zuhause zu schreiben. Was ja eine Sache ist, mit der sich viele Leute identifizieren können. Und momentan definitiv der Motor ist, der uns am Laufen hält.

Wie sieht Ihr Zuhause aus? Wie idyllisch darf man sich das vorstellen?

Um ehrlich zu sein, habe ich gerade nicht wirklich eins. Während der letzten Tour musste ich erfahren, dass in mein altes Haus, das ich wirklich sehr geliebt habe, eingebrochen wurde und dass dabei viele persönliche Gegenstände abhanden gekommen sind. Also habe ich es verkauft. Leider. Gleichzeitig hat es auch etwas Positives, denn ich baue gerade ein Neues, das erst in einem Jahr fertig wird. Und das wird dann genau so, wie ich es möchte, also meine Vision von einem Haus – mit allem, was dazu gehört.

In Nashville oder in der Nähe Ihrer Farm in Mt. Juliet?

Es ist auf dem Gelände unserer Farm. Ich habe das alte Hauptgebäude abreißen lassen und baue genau da das neue Haus. Was bedeutet, dass ich all dieses wunderbare Land habe – und eine malerische lange Zufahrt. Klar, von der Stadt aus ist es schon eine etwas längere Fahrt, aber die kann man ja auch gut zum Nachdenken nutzen – oder um sich umzuschauen und die Landschaft zu genießen. Insofern bin ich schon richtig aufgeregt. Ich freue mich riesig darauf. Und wenn ich erst mal da wohne, wer weiß, vielleicht gehe ich dann nur noch ins Hotel, um mal wieder in den Abstellraum zu pinkeln.

Klingt ein wenig nach Südstaaten-Kitsch und „Vom Winde verweht“ …

Und wissen Sie, was das Beste daran ist: Ich verwende im Haus alles, was ich unterwegs sehe und für umwerfend halte. Also jede Stadt, die wir besuchen, und in der ich etwas finde, das mir gefällt, wird später darin auftauchen. Ich mache einfach ein Foto, schicke es an meinen Cousin Nacho, der sich um alles kümmert, und sage: „Hier, das muss unbedingt noch in das Haus – lass uns das so und so machen.“

Klingt nach thematisch gestalteten Gästezimmern.

Ganz genau. Nur: Sie müssen natürlich andere Namen tragen. Ich werde sie auf keinen Fall als Gästezimmer bezeichnen. Denn dann wird folgendes passieren: Die bucklige Verwandtschaft wird aus den Wäldern kommen und sich aufregen, dass da keiner übernachtet, und sich einfach selbst einquartieren. Dagegen baue ich vor, indem ich die Räume „die Bibliothek“ oder „das Studierzimmer“ nenne.

Was sagt denn Ihre Freundin, das Model Lily Aldridge, dazu?

Sie plant natürlich Kinderzimmer. Aber wir werden sehen. Ich wollte zum Beispiel schon immer einen Billardsalon und ein eigenes Studio.

Von außen betrachtet wirkt Ihre Beziehung sehr harmonisch – welchen Einfluss hat das auf Ihre Texte? Könnten Sie so etwas wie „Sex On Fire“ heute überhaupt noch schreiben oder würde das zu Hause Ärger geben?

Na ja, ich schreibe immer noch über solche Sachen. Zumindest manchmal. Aber ich habe mir fest vorgenommen, nie das Herz eines Mädchens zu brechen. Deshalb bin ich auch in einer ehrlichen und leidenschaftlichen Beziehung. Und was noch wichtiger ist: Ich bin glücklich. Aber wer weiß: Wenn wir uns das nächste Mal unterhalten, kann das schon wieder anders sein – weil sie die Nase von mir voll hat, und sich einen spannenderen Typen sucht.

Bis dahin gilt: Keine Texte über Blow Jobs während des Autofahrens?

Nein. Ich bin mittlerweile aber ein viel besserer Fahrer.

Dagegen wirken Stücke wie „No Money“, in dem es darum geht, dass Sie nicht mit Geld umgehen können, wie pure Ironie …

Stimmt. Das könnte ironisch sein, aber es könnte auch darum gehen, dass du dein Geld bewusst versteckst, weil du eben nicht nur dafür geliebt werden willst, sondern für die Person, die du bist. Ehrlich gesagt, wundere ich mich selbst ein wenig über den Text. Ich bin einfach ins Studio und habe ihn eingesungen. Also Freestyle – ohne Vorbereitung, ohne lange darüber nachzudenken. Und als ich mir das später angehört habe, musste ich mir selbst zusammenreimen, was das wohl bedeutet, und was ich damit sagen will. Dabei sind da immer noch jede Menge Löcher in der Geschichte, die einfach keinen Sinn ergeben.

Es wirkt ein wenig so, als trauten Sie Ihrem Erfolg nicht so Recht.

Irgendwie schon.

Übergeben Sie sich eigentlich immer noch vor jedem Auftritt?

Das verschwindet nicht einfach so. Und der Tag, an dem ich damit aufhöre, ist wahrscheinlich auch der, an dem ich mich zu sicher und zu wohl fühle.

Kotzen als Reality-Check?

Es hat etwas davon. Was jetzt nicht heißen soll, ich würde das genießen. Sondern es ist eher so eine Sache, die halt passiert und alle anderen in der Band wissen lässt, dass es eine richtig gute Show wird. Eben weil ich komplett am Rad drehe, weil ich nervös bin. Und egal, ob es die kleinste oder die größte Show ist: Sobald ich in den Eimer kotze, geht das Spiel los.

Sie touren quasi nonstop. Glauben Sie nicht, dass auch die Fans irgendwann mal eine Pause von KOL brauchen?

Oh, diesen Gedanken hatte ich schon öfter. Es gibt uns ja eigentlich schon relativ lange, aber das letzte Album war nun mal jenes, das eine Menge Leute auf die Band aufmerksam gemacht hat. Was bei mir eine ähnliche Angst vor dem Erfolg ausgelöst hat wie etwa bei Kurt Cobain. Nämlich dieses Gefühl, in eine Menge zu blicken und da jemanden zu entdecken, von dem du denkst, dass er so gar keine Beziehung zu dir aufbauen kann – weil du einfach zu weit weg bist. Eben irgendein Freak. Und das ist eine merkwürdige Vision, die dich nachts schweißgebadet aufwachen lässt. Aber nach Ende der letzten Tour, habe ich mich damit auseinandergesetzt. Ich habe mich quasi selbst geohrfeigt und gefragt: Worüber machst du dir da eigentlich Sorgen? Da draußen sind so viele Leute, die lieben, was du tust. Und deshalb hast du ja auch mit dem Musikmachen angefangen. Denn seien wir ehrlich: Keiner fängt damit an, Songs zu schreiben, um bis ans Ende seines Lebens in einer kleinen Indie-Band zu spielen. Jeder will Erfolg haben und das Meiste aus seinem Leben machen. Deshalb kann ich diesem ewigen Vorwurf des Ausverkaufs, mit dem wir immer wieder konfrontiert werden, auch nur zwei Worte entgegensetzen: Fuck you! Wer verkauft sich hier? Wir haben auf Only By The Night wirklich nichts anderes gemacht als auf allen Alben zuvor. Es ist nur so, dass die Leute – aus welchem Grund auch immer – eine Beziehung dazu aufbauen konnten. Aber wir haben es nicht absichtlich kommerziell gestaltet. Also genieße gefälligst jede einzelne Sekunde davon. Denn vielleicht spielen wir schon morgen wieder in einem stickigen, kleinen Club und denken: „Mann, wären wir doch bloß da, wo wir schon mal waren.“ Das wäre tragisch, oder?

Aber auch kein Grund für Selbstmordgedanken.

Nein, nein. Nichts in der Art.

Sie residieren mittlerweile in Luxushotels und reisen im Privatjet oder Hubschrauber. Ist Ihnen das wichtig?

Oh ja! Einfach weil das ein tolles Gefühl ist. Wobei ich sagen muss, dass ich eigentlich ziemlich leicht zu befriedigen bin. Ich meine, ich verlange wirklich nicht viel. Aber wenn ich etwas Außergewöhnliches bekomme, weiß ich das auch zu schätzen. Und ich würde mich selbst immer noch nicht als berühmt bezeichnen. Oder gar als Rockstar.

Dabei dachte man schon, Sie seien eine Diva, als Sie vor kurzem ein Konzert in Amerika abgebrochen haben, wegen ein wenig Taubenkacke.

Was? Das war eine Taubenplage! Einige von ihnen sind aus irgendwelchen Gründen einfach so abgekratzt und direkt vor uns auf die Bühne gefallen. Andere haben ihre Exkremente über uns abgelassen. Zuerst hat es die beiden Vorgruppen getroffen, und als wir dann da raus sind, saßen sie schon zwischen unseren Lichttrassen. Mein kleiner Bruder wurde direkt auf dem Kopf getroffen und auf beiden Armen. Deshalb haben wir nach drei Songs abgebrochen – wir können unmöglich 20 Songs spielen und dabei unentwegt mit Taubenscheiße bombardiert werden. Glücklicherweise ist jetzt die Taubensaison vorbei. Wir fahren also noch einmal dorthin und holen den Gig nach. Ich werde aber auf jeden Fall ein Luftgewehr in der Ecke haben – für den Fall der Fälle.

Albumkritik S. 90

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