Konzertbericht

Radiohead live in Berlin: New Yorke, New Yorke

Ohrenbetäubendes Seufzen: Die Art-Rock-Giganten feiern einen furiosen Einstand ihres Berliner Kurzurlaubs.

Tagelanges Bangen – leider nicht mit dem Head, sondern um den Head of Radiohead: Thom Yorke. Nach den Stationen der schlicht „2025 Radiohead Tour“ benannten Comeback-Konzertreihe seiner Hauptband in Madrid, Bologna und London hatte er sich eine schwere Halsentzündung zugezogen. Die ersten beiden Gigs in Kopenhagen mussten kurzfristig verschoben werden. Vier Tage vor der viertägigen Residenz Radioheads in Berlin dann die Entwarnung: Der Mann ist genesen, the show goes on, the beat goes ‚round and ‚round. Die weiteren zwei für die dänische Hauptstadt angesetzten Konzerte fanden statt, und wer es in Berlin nicht wusste, hätte nie für möglich gehalten, dass der 57-Jährige eben noch bettlägerig gewesen sein sein soll.

Spätestens mit dem Video zur Leadsingle ihres 2011er-Albums, „Lotus Flower“, in dem Yorke seine eigenwilligen Dance-Moves ausgiebig zur Schau stellte, sind seine Verrenkungen legendär, geteilt und variiert in tausenden Memes. Wie ausgewechselt ruckelt und zuckelt er über die Bühne, als müsse er die Geister des Winters austreiben, die von ihm Besitz ergriffen haben. Give up the Ghost. Doch der Reihe nach, everything in its right place.

Die ikonische Rundbühne

Zunächst ist die jetzt schon ikonische Rundbühne noch umgeben von riesigen Videowänden und wirkt so wie einer dieser Mixed-Martial-Arts-Käfige. Doch heute sollen statt Blut die Freudentränen triefen. Sobald die rechteckigen Rahmen der Einzelwände in rhythmischen Abständen, untermalt von akzentuierten sphärischen Klängen, Bereiche der Halle ausleuchten, was dem Publikum Jubelschreie wie bei einem Fußballspiel entlockt, fühlt man sich statt an knochenbrechende Knock-outs eher an die Kommunikation der Menschen über eine Lichttonorgel mit dem Mutter-UFO in Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ erinnert. Pünktlich zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr beginnt dieser Dialog mit den Fans, bevor die fünf Bandmitglieder, die seit 40 Jahren unverändert zusammenspielen – anfangs noch unter dem Namen On A Friday –, wie aus unterirdischen Höhlen auf die überirdische Stage steigen, seit diesem Jahr live von Chris Vatalaro am zweiten Schlagzeug unterstützt. Mit den Delay-Effekten auf den Gitarren von „Planet Telex“, dem Opener von THE BENDS, dem Album, ab dem Radiohead 1995 in einer Liga mit R.E.M. spielten – deren Peter Buck hatte im selben Jahr mit verwandten Spielereien die Rrrockplatte seiner Gruppe, MONSTER, aufgemotzt –, startet das Konzert.

No surprises

Radiohead live in Berlin
Radiohead live in Berlin

Der Einsatz der Drums ist der erste von vielen überwältigenden Momenten: Ein grünes Lichtgewitter geht auf die euphorisch johlende Masse hernieder, mit Filtern verfremdet erscheint die Band auf den Screens, die gerade so viel Durchblick gewähren, dass man die Originale dahinter gut erkennen kann. Während des zweiten Songs, „2 + 2 = 5“, hebt sich der starre Vorhang und gibt die Musiker gänzlich frei. No surprises bei der Setlist: Obwohl die Band rund 70 Songs geprobt hat und die Stücke für jede Show neu anordnet, kam es in Berlin zu keinen Live-Debüts der Tour. Dies aber, wenn überhaupt, nur als einziger Makel einer grandiosen Performance.

Massenhypnose bei „Weird Fishes/Arpeggi“, Zustände wie kurz vor dem Moshpit bei den sonischen Explosionen von „Paranoid Android“, ausgelassenes Tanzen bei „Idioteque“ und „Bodysnatchers“, als hätte man es hier mit kalkulierbarem Four-to-the-Floor-Electro zu tun und nicht mit verschachteltem Avantgarde-Rock. Jonny Greenwood malträtiert seine Gitarre mit dem üblichen Killerinstinkt, Kollege Ed O’Brien gibt mit ausladenden Anstachelungsgesten den B-Showmaster nach Yorke, der einem Huhn nicht unähnlich (with all the unborn chicken voices in his head?) im Kreis herumstakst, hier und da an Knöpfen drückt, an Schaltern zieht, um sich dann wieder ans Piano zu setzen und seinen Fans zum Ende eines erneut herausfordernden Jahres mit Stücken wie „Videotape“ und dem in Pink getünchten „Karma Police“ Augenblicke seelenreinigender Katharsis zu verschaffen.

Und was kommt jetzt?

Radiohead live in Berlin
Radiohead live in Berlin

Wie es mit der Band weitergeht? Ob es 2026 zum ersten Album seit zehn Jahren kommt? Für den Moment gleichgültig. Wenn diese Tour, wie bei den anderen großen britischen Rückkehrern des Jahres, Oasis, den Schlussstrich unter eine einzigartige Karriere darstellt, dann kann der nicht eindrucksvoller gezogen sein. Wie wir dann ohne Radiohead weitermachen sollten? Ach, wird schon, God loves His children, oder? God loves His children, yeah.

Setlist

  1. Planet Telex
  2. 2 + 2 = 5
  3. Sit Down. Stand Up.
  4. Lucky
  5. 15 Step
  6. The Gloaming
  7. Kid A
  8. No Surprises
  9. Videotape
  10. Weird Fishes/Arpeggi
  11. Idioteque
  12. Everything In Its Right Place
  13. Bloom
  14. The National Anthem
  15. Daydreaming
  16. All I Need
  17. Let Down
  18. Bodysnatchers
  19. Fake Plastic Trees
  20. Jigsaw Falling Into Place
  21. Paranoid Android
  22. A Wolf At The Door
  23. You And Whose Army?
  24. Just
  25. Karma Police
Alex Lake / Instagram: @TWOSHORTDAYS
Alex Lake / Instagram: @TWOSHORTDAYS