Chicago – Hot Streets
Album Numero zwölf der amerikanischen Jazzrocker (das erste ohne Numerierung!) beginnt mit dem Titel „Alive Again“. Und genau das trifft den Nagel auf den Kopf: Chicago lebt! Viele hatten die Gruppe nach dem tragischen Tod ihres Gitarristen Terry Kath im Januar dieses Jahres bereits zu den Akten gelegt. Das Problemkarussell schien nicht mehr enden zu wollen. Mit ihrem ehemaligen Produzenten James William Guercio traf sich die Band nur noch vor dem Kadi, weil er Millionenbeträge unterschlagen haben soll. Es gehört schon ein gewaltiges Stück Willenskraft dazu, sich aus einem solchen Desaster wieder freizuschwimmen. Chicago hat es geschafft! Mit dem neuen Gitarristen Donnie Dacus stellte sich die Gruppe im August der amerikanischen Öffentlichkeit und wurde begeistert aufgenommen (s. ME 10/78).
Auch die neue LP verspricht wieder Auftrieb im Unternehmen Chicago. Auch wenn sich die Gruppe musikalisch überhaupt nicht gewandelt hat, zeigt dieses Album einmal mehr den unerschöpflichen Ideenreichtum, der in den Köpfen der acht Musikanten steckt. Donnie Dacus und Peter Cetera bestimmen den rockigen Teil, die Bläser machen viel Jazz, Keyboardmann Robert Lamm ist der rastlose aber ruhige Stückeschreiber, während Schlagzeuger Danny Seraphine und Perkussionist Laudir De Oliveira den Kreis mit solidem Beat und Rhythmus schließen.
Auf „Hot Streets“, von Phil Ramone in Miami produziert, finden sich zehn musikalische Meisterwerke. Zum Beispiel „Alive Again“ – Rock in gewohnter Chicago-Manier, wie ihn nur Posaunist James Pankow schreiben kann. Auf einem treibenden Rhythmus stehen die Bläsersätze wie eine Mauer.
Dazu singt Peter Cetera mit liebenswürdiger Frische. „The Greatest Love On Earth“ ist eine Liebeserklärung, stilistisch ein Nachfolger von „If You Leave Me Now“. Bei „Little Miss Lovin'“ steigt Donnie Dacus mit einem einprägsamen Gitarrenriff ein, während Peter Cetera gegen den Backgroundgesang der Bee Gees (genau, die singen mit!) lauthals gegenhält. Mit dem Backgroundchor scheinen sich die Bee Gees übrigens selbst auf den Arm nehmen zu wollen, da sie ihre zitternden Falsettos selten so übertrieben eingesetzt haben. Trotzdem verliert das Stück dabei nichts von seinem Reiz. Robert Lamm meldet sich danach mit dem Titelstück „Hot Streets“ zu Wort, dem das etwas ruhigere „Take A Chance“ folgt. Hier kann man auch den Neuzugang Donnie Dacus zum erstenmal als Leadsänger hören.
Seite 2 beginnt mit „Gone Long Gone“, einer flüssigen Popnummer, die so typisch für Chicago ist wie damals „Saturday In The Park“. Donnie Dacus spielt in „Ain’t It Time“ seine Vergangenheit als Rock ’n Roller voll aus, während Robert Lamm in „Love Was New“ wieder auf ein ruhigeres Level geht. Auch „No Teil Lover“ ist eine ruhigere Ballade, bei der Blue Weaver von den Bee Gees an den Synthesizer Strings ausgeholfen hat. Im Finale „Show Me The Way“ (das Robert Lamm auf deutsch einzählt) treffen sich alle Musiker von Chicago an einem Punkt, der die ganze Musik dieser Gruppe zusammenzufassen scheint. Das Ganze endet mit einem choralartigen „Marching Into Your Heart“, und das hat Chicago dann am Schluß auch erreicht. Sieht man von den ersten drei Chicago-Platten ab, dann gab es keine Platte dieser Gruppe, die derartig viel Hoffnung ausstrahlte und so abwechslungsreich war.