Curtis Harding

If Words Were Flowers

Anti/Indigo (VÖ: 5.11.)

Mehr als Motown-Vintage: Der Hohepriester der Hoffnung und der Liebe befördert seinen Soul von der Vergangenheit in die Zukunft.

Liebe ist Hippie-Shit, sagen Zyniker. Man ahnt, warum sie verbittert sind. Wer traut sich schon, „All You Need Is Love“ (1967) ins Poesie-Album zu flüstern, geschweige denn in die Welt hinauszuschreien? Ein Durchschnittsmusikant, zweidrittel-ironisiert und mit Metaschleifen ausgestattet, riskiert lieber nichts.

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Aber Curtis Harding wagt alles. Und dieses Wagnis ist schön. So was von! Harding weiß Lieder von der Liebe zu singen. Und in die haben sich schon prominente Fans verliebt: Iggy Pop pries ihn als coolsten Soulsänger der Gegenwart an, und Jack White nahm ihn gleich mit auf Tour. Dass auch Punk- und Garagen-Rocker beim Soul von Curtis Harding dahinschmelzen – das kommt nicht von ungefähr.

Harding „vermanscht“ Ingredienzien aus Gospel und Blues, aus Psych-Rock und HipHop

Auf Curtis Hardings Debüt SOUL POWER (2014), im Grunde aber auch noch auf dem (übrigens von Gorillaz-Produzent Danger Mouse mitproduzierten) klanglich schon weiter aufgefächerten FACE YOUR FEAR (2017), auf dem sich Harding auch öfter in seine wunderbaren Falsett-Höhen aufschwang, hätte man fast noch meinen können, das seien ein halbes Jahrhundert vermisste Motown-Raritäten gewesen.

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Wer aber genauer lauschte, merkte damals schon, was nun auf dem fulminanten IF WORDS WERE FLOWERS noch offener zutage tritt: Harding verarbeitet (oder „vermanscht“, wie er selbst sagen würde, der er seinen Stil tiefstapelnd als Slop’n’Soul bezeichnet) Ingredienzien aus Gospel und Blues, aber eben auch aus Psych-Rock und HipHop. Letzteren hört man deutlicher als jemals zuvor. Die neue Platte klingt in etwa so, als würde der Stevie Wonder der frühen 1970er dem seinerzeit just zu jung verstorbenen Jimi Hendrix per Zeitreise-Raumschiff in der Zukunft begegnen. Ja, bei Harding wird man immer ganz horny auf die horn section. Aber auch an Phaser-Sounds und Wah-Wah-Pedal spart er nicht.

Denn Liebesworte sollten, wie Blumen, für die Lebenden da sein – und nicht erst auf dem Grab landen

Melancholisch eröffnet eine dahinsäuselnde Jazz-Träumerei aus Trompete und Saxofon das Album, aus der sich mit dem Tambourin ein Groove herausschält. Dann gesellt sich ein opulenter Gospel-Chor zu Hardings warmbeherzter Stimme. Zusammen unternehmen sie ein Gedanken-Experiment: „If words were flowers / I’d give them all to you / They carry power / So proud and beautiful.“ Denn Liebesworte sollten, wie Blumen, für die Lebenden da sein – und nicht erst auf dem Grab landen. Doch ebenso rasch, wie sich der nicht mal drei Minuten kurze Song ins Ekstatische gesteigert hat, dekonstruiert er sich zum Ende hin wieder.

So mächtig ist das Vermächtnis von Jimi Hendrix wirklich

Aber keine Sorge! „Hopeful“ hält, was der Titel verspricht. Bond-tauglich tremolierende Streicher treten hinzu, und Harding selbst wird zum Hohepriester der Hoffnung, dessen hier so perkussive Intonation wunderbar am Rap geschult ist. Auf „Can’t Hide It“ übernimmt die dengelnde E-Gitarre eine Schlüsselrolle mit Wüsten-Westernhaften Riffs. Der Song wirkt wie eine empowernde Replik auf das resignierende „You’ve Got To Hide Your Love Away“ (1965) der Beatles. Das reduziert von nahtänzelnden Streichern, Rhythmus-Gitarre und verträumtem Xylophon getragene „With You“ erinnert in der Stimmung an „Ain’t No Sunshine“ (1971) von Bill Withers.

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Im Album-Highlight „Explore“ gehen futuristisch flirrende Synthesizer mit Harding durch. Bei „Where Is The Love?“ shoutet ein Village-People-hafter Männerchor über zunehmend wilder werdenden Drums, die flankiert werden von strotzender Percussion. Auch die Gitarre hat immer mehr Spaß dabei, auszurasten. Richtig so, wenn man so essenzielle Fragen stellt. „Baby, I’m the one you need“, singt Curtis Harding („The One“). Jedem anderen Mann sollte man eine solche Flirtphrase um die Ohren hauen. Aber er hat ja recht, dieser Curtis Harding. Wir brauchen ihn. Und dass er uns mit Liebe tröstet.

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