Der kleine Bruder von Sven Regener

Mit Der kleine Bruder vollendet Sven Regener seine autobiografisch geprägte Coming-of-age-Romantrilogie über Frank Lehmann. Das Buch schließt inhaltlich an den herzhaften 600-Seiten-Schinken „Neue Vahr Süd“ an, der Lehmanns Abnabelung vom Elternhaus und das damit hereinbrechende Chaos beim Bund und im Versuchsfeld WG begleitete. Und es bereitet auf Regeners Erstling „Herr Lehmann“ vor, wenn dieser schon ganz tief drin steckt, in Berlin-Kreuzberg. „Der kleine Bruder“ zeigt, wie es so weit kommen konnte mit Frank-auf der Flucht aus der Bremer Enge und mit einer eher ungefähren Idee von Lebensplanung. Dabei begleitet der Roman den kleinen Bruder auf der Suche nach seinem großen, Manfred, gerade mal durch die ersten 48 Berliner Stunden. Für mehr Wahnsinn ist aber auch kein Platz auf 300 Seiten. Und im Prinzip ist am Ende das Buchs auch schon alles klar zwischen Lehmann und Berlin. Also zwischen Lehmann und Kreuzberg, mit seinen paranoiden Hausbesetzerpunks wie die kaum weniger durchs Ominöse und durch Ominöses getriebenen „genialen Dilettanten“, die sich irgendwie an irgendeiner Kunst versuchen. All die gegenseitigen Verdächtigungen und Grabenkämpfe zwischen diesen und noch ein paar anderen nervösen Gruppen und Figuren, das endlose Philosophieren und dosenbierdurchtränkte Gebrabbel über skurrile Pragmatismen und größenwahnsinnige Pläne – das alles prasselt auf Frank ein. Und wäre der nicht geradezu leidenschaftlich lakonisch und ungeheuer beharrlich: Dieses inmitten seiner Mauern unbändige Berlin im November 1980 würde sich ihn mit einem Happs einverleiben,einen verkrachten Kreuzundquerberger mehr aus ihm machen. Aber so einfach kriegen sie ihn nicht. Obwohl Regener eine kleine Armee sich gegenseitig am Nervenkostüm flickender Randexistenzen auf den Jungen ansetzt, um seine große Stärke als Romancier auszuspielen: Dialoge. Unaufhörliche, unbeirrbare Dialoge. Großartig komische Dialoge. Und wo Regener doch einmal beschreibt, beschreibt er am besten, wenn Frank im Gespräch mit sich selbst versucht, dem Irrsinn ein zu geben. In Bandwurmsätzen, wie direkt und satzzeichenfrei ins Buch gedacht, in dem Tempo, das sie einem abverlangen – in Berlin im November 1980.

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