Die Geschichte der Piera

Eine Frau lebt auf Sie will jung bleiben, ihr Leben nicht verschenken und nimmt frei nach Konstantin Wecker „Koa Rücksicht Auf Nix und Niemand“ Marco Ferrens neuer Film „Die Geschichte der Piera“, ist ein Wettbewerbsbeitrag bei den diesjährigen Festspielen in Cannes und startet am 3. Juni in den bundesdeutschen Kinos. Es ist ein Film über eine früh emanzipierte Frau, der Konventionen ein Übel und das ungezügelte Gewährenlassen von Kopf und Bauch alles ist. In der Mutterrolle des Films spielt der deutsche Leinwand-Export Hanna Schygulla, die zuvor vermehrt im außerdeutschen Film aktiv wurde: So filmte sie mit Ettore Scola („Eine Weite Reise In Die Nacht“), Godard („Passion“) und Carlos Saura („Antonieta“).

In einer nicht näher bestimmten Zeit nach dem Kriegsende bringt sie ein Kind zur Welt, das Mädchen Piera. Die faszinierende Neuentdeckung Bettina Grühn. 13, aus Berlin-Moabit verkörpert die Piera als Kind und wird im Lauf des Films vonlsabelle Huppert abgewechselt, die die Piera als heranwachsende Jugendliche darstellt.

Eine der ersten Szenen zeigt Piers (Bettina Grühn), als sie morgens aufwacht. Die Mutter ist nicht mehr in ihrem Bett. Der Vater, ein hoher Gewerkschaftskopf (Marcello Mastroianni), fragt schon gar nicht mehr, wo er sich herumtreibt. Piera sucht die Mutter und weiß, wo sie zu finden ist.

Draußen am Bahnhof. Da sitzt sie bei den Männern, flirtet und läßt flirten, spielt mit den Augenblicken und fragt nicht was sein kann.

Das Kind Piera versucht, seine Mutter zu bändigen, in Schutz zu nehmen, sie dem längst resignierten Vater wieder an den Herd zu stellen. Dem Kind Piera sind die gar nicht mehr kleinen Fluchten ihrer Mutter unheimlich und suspekt, gleichwohl fühlt sie sich davon auf eine irrationale,Weise angezogen.

Die Umwelt sieht in der wildern Mutter nichts mehr als ein verwerfliches Subjekt, eine Hure, eine Irre. So etwas muß konditioniert werden. Mit Elektroschocks und – wenns gar nicht anders geht – mit dem Irrenhaus.

Marco Ferren ist ein Regisseur der Utopien („Affentraum“) und der Außenseiter („Ganz Normal Verrückt“). In seinen Filmen sind die Vernünftigen die Kranken und umgekehrt. Der giftige Zynismus seiner früheren Arbeiten („Das Große Fressen“) ist dem bewußt weitabgewandten Zelebrieren von exotischen, drallen, polternden Visionen gewichen.

Er sucht nach einem Potential, das imstande sein könnte, herrschende zivilisatorische Moral und Ordnungsvorstellungen hinwegzufegen – und er findet es in den Frauen.

Ferreris „Geschichte der Piera“ ist somit eine Parabel auf den Widerstand gegen erkaltete Strukturen und die Zementierung dessen, was immer so war und nie anders sein darf Ferren denunziert Männer. Die Frauen sind in seiner Philosophie die Gefühlsmaschinen, die Männer die Arbeitsmaschinen. Die Männer lassen sich die Köpfe einschlagen (auf Demos) oder integrieren sich in äußere Normen. Nicht zufällig bildet eine großkotzige? chauvinistische Faschisten-Architektur die klobig-klamme Kulisse des Films. Die „explodierende Weiblichkeit“ (Ferreri) gegen die Männlichkeit mit Mehrfachsprengköpfen unterm Hut.

Der Film ist authentisch. Die Piera Degli Esposti gibt es wirklich. „Die Geschichte der Piera“ ist ein teils erotischer, teils sinnlicher feministischer Film. Die Einen werden den Film wegen seines starrsinnigen Subjektivismus als trivial abtun. Die Anderen werden merken, daß sich anerzogene Verkrampfungen im Hirn ein Stückchen lösen.