Die Imports
Don Marco ist erwacht, hat sich aus den meterhohen Schneebergen freigeschaufelt, die Sonne angelächelt und die Fenster geputzt. Jedenfalls hätte er gerne, dass es so gewesen sei. Aber wen interessiert schon die Wahrheit, wenn doch ein paar Lügengeschichten eine ganze Nation wochenlang beschäftigen und die Headlines der Tageszeitungen besetzen. Schäuble ist weg, doch Don Marco ist wieder da. So ist das Leben. Glatt die Wahrheit dagegen ist, dass gute Musik ihren Weg gegangen ist, diesmal aus dem fernen Chicago ins südliche Deutschland. Ardwr Prawitt durfte Kennern der dortigen Musikszene ein guter Bekannter sein, spielte er doch einst bei den mittlerweile leider aufgelösten Coctails und bei The Sea & Cake Gitarre. Wer zudem aufmerksam Linernotes der dortigen Produktionen verfolgt, dürfte wiederholt über seinen Namen gestolpert sein. Nun hat er mit „White Sky“ (Vinyl: Hi Ball/ CD:CarrotTop) 5 sein erstes Soloalbum vorgelegt, das zwischen entspanntem Understatement-Songwriting voller Melancholie in der Tradition von Nick Drake und teilweise geradezu üppiger Produktion (massiver Streicher und Bläsereinsatz) pendelt. Menschen, die sich in Platten gerne hineinfressen und sich nach langfristigen Wegbegleitern sehnen, werden hier sicherlich lange zu beißen und gourmieren haben. Ebenfalls aus der windy city kommt Ttw lohn Hirn Moderat« Combo, ein Trio um den Songwriter, Gitarristen und Sänger John Huss, das sich auf seinem Debüt „Lipchitz“ (Zippah Records) 4 von einer langen Liste Gastmusiker an Geigen, Saxofon, Trompete, Lap Steel oder Cello unterstützen läßt. Musikalisch läßt sich Jon Huss nur ungern festlegen, spielt mal Iow-keyJangle-Pop mit wenigen Akkorden und viel Text, mal coolen Jazz, dann soundtrackartige Surf-Schleicher oder stimmungsvolle Country-Hillbilly-Nummern, die den Violent Femmes oder They Might Be Giants gut zu Gesicht stehen würden. Dazu erzählt er aberwitzige Geschichten über „Office Work“. „Tire Tools“ oder „How Can You Say There’s No God When The World Is So Bent“, die auch als Kurzgeschichten funkionieren würden. Eine devere, sympathische und herrlich unhippe Platte abseits der großen Budgets, Studios und Masterpläne Bekanntlich hat Don Marco ja ein Herz für etwas abwegige Countrymusik, und so hat er sich auch diesmal wieder gefreut, von den guten Menschen von Bloodshot Records mit Frischfutter versorgt zu werden Kelly Hogan & The Pine Valley Counonauts haben ihn nicht enttäuscht. Ihr Album „Beneath The Country Underdog“ (Bloodshot) 5 spielt mit den Traditionen, ohne sie lächerlich zu machen, und macht sich bestens neben Alben von der Handsome Family, den Waco Brothers oder Freakwater. Kelly Hogan sang einst in Atlanta bei der berühmt-berüchtigten Punk-Cabaret-Truppe The Jody Grind, bis zwei Mitglieder bei einem Autounfall tödlich verunglückten, spielte dann Garagen-Punk bei den Rock’A’Teens, bevor sie nach Chicago zog und auf Alben von Alejandro Escovedo.John Wesley Harding, den Sadies oder John Langford mitwirkte. Kein Wunder, dass sich ihre heutige Begleitband aus Musikern der Mekons, Waco Brothers und der Sottle Rockets zusammensetzt, die für eine prächtige (Bier-) Stimmung zwischen Honky-Tonk-Hymnen und glorreichen Balladen sorgen, die es problemlos mit den Torchsongs von Patsy Cline oder Billie Holliday aufnehmen können. Wer sich also gerade am Wirbel um Shelby Lynne beteiligt, sollte dieser Kelly Hogan beizeiten ein Ohr leihen. Zum Schluss führt uns unsere Chicago-Connection vom dortigen Parasol-Ubel bis nach Malmö in Schweden. Dort träumt das junge Pop-Quartett Startet auf seinem zweiten Album „Stay On My Siele“ (Parasol) 4von einem „Silver Sportscar“ und davon, kurz vor Disco-Schluss von dem unerreichbaren Mädchen bei „The Power Of Love“ tatsächlich zum Tanz aufgefordert zu werden „cause I am much too shy and alone“. Wimp-Pop nennt man das. Abgezockte Rocker und Zyniker machen sich über so was lustig, finden Morrissey mitsamt Smiths lächerlich, und werden sich über Jonas Färms Lispel-Stimme sicher köstlich amüsieren. Da die Welt aber glücklicherweise nicht nur aus abgezockten Rockern und Zynikern besteht und leichtfüßige Popmusik mit Anklängen an alte Postcard-Zeiten oder Belle & Sebastian immer Hörer finden wird, sollten die Chancen für Starlet auch in Deutschland eigentlich ganz gut stehen. Der Frühling kann kommen.
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