John Cale – Eat/Kiss
Heavy listening, fürwahr: Nach seinem letztjährigen Pop-Ausflug WALKING ON LOCUSTS ist unser liebster Rock-Guerillero heimgekehrt in die spröden Arme der Avantgarde. EAT/KISS – live in Lille zu den beiden gleichnamigen Andy-Warhol-Kurzfilmen eingespielt – ist nichts für zartbesaitete „Melodien für Millionen“-Freunde, sondern ein schräges, vielschichtig-schillerndes Minderheitenprogramm. Kratzende Geigentöne surren umher wie durchgeknallte Insekten, die verstorbene Eiskönigin und Ex-Velvet-Underground-Muse Nico läßt einem mit einer Stimme, mit der man Glas schneiden könnte, das Blut in den Adern gefrieren („Frozen“). Schwermütige Streicher samt tropfender Percussion treffen auf koboldhaften Seat-Gesang, atonale Intermezzi auf hymnische Sphärenklänge, Frauenstimmen klingen, als würde eine finnische Sängerin an der Peking-Oper indianische Weisen zum Besten geben. „Kiss“: ein Versuch in Chaosforschung. Kein Spaß das, aber Spannung pur. Und dann noch „Eat“: einsames Plingplong, wie von einem Autisten, der seine Gedanken nur via Gitarrensaiten mitteilen kann, atmosphärisches Poetry-Reading von John Cale himself und zum Finale lastende Klavierakkorde. Mo Tucker, BJ. Cole und das Soldier String Ouartet helfen, die zum Glück schon arg löchrige Grenze zwischen E- und U-Musik endgültig zu sprengen. Ein Trip in den Hades. Ohne Rückfahrkarte, versteht sich.
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