Album der Woche

Kelly Lee Owens

Kelly Lee Owens

Smalltown Supersound/Rough Trade

Dream Pop, Ambient, Glitch, Techno und elektronisch mutierte Popsongs: Die 28-jährige Produzentin aus London verarbeitet auf ihrem ersten Album ohne jede Selbstbeschränkung die unterschiedlichsten Einflüsse aus der ­elektronischen Musik.

Seit ein paar Spielzeiten werden die Klagen lauter, in der aktuellen elektronischen Tanzmusik würde doch „alles gleich klingen“. End- und einfallslose Variationen einer Idee, die vor mehr als 30 Jahren erfunden wurde, und deren Umsetzungen durch Software und Presets für Krethi und Plethi möglich wäre. An diesem Kulturpessimismus ist durchaus etwas dran, auch wenn diese Früher-war-alles-besser-Wahrheit eher gefühlt ist. Sie wird scheinbar bestätigt von einer Flut an Techno- und House-Veröffentlichungen, die trotz der Krise der Musikindustrie, die eher eine Krise der Aufnahmebereitschaft der Musikhörer ist, nicht abebbt.

Das Gute an dieser Entwicklung aber ist, dass Aktion Reaktion hervorruft und vermeintlicher Konsens Dissidenz. Und so muss man nur ein bisschen an der Oberfläche kratzen, um auf gar nicht so wenige Musiker zu stoßen, die aus dem Koordinatensystem Techno/House ausbrechen, auch wenn sie sich ihm durchaus zugehörig fühlen: Inga Copeland, Carla Dal Forno, Marie Davidson, Emika, Katie Gately, Delia Gonzalez, Jlin, Kaitlyn Aurelia Smith. Dass das alles Frauen sind, ist kein Ausdruck von positivem Sexismus, sondern ein weiterer Hinweis darauf, dass die Zukunft weiblich ist, auch die der Musik.

Man darf den Namen Kelly Lee Owens getrost dieser Liste der weiblichen musikalischen Zukunft hinzufügen. Die 28-jährige Musikerin aus London vermischt auf ihrem Debütalbum Dream Pop mit tribalistisch-minimalistischer Percussion, Ambient-Strukturen mit abstrakten, gegenläufigen Rhythmen, Streichersamples mit glitchy Beats und macht die Hallräume ganz weit auf.

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„Anxi“ mit dem Gesang von Jenny Hval kommt als elektronisch mutierter Popsong. „Arthur“ ist eine Hommage an den großen Arthur Russell, der nicht nur ein Meister von Avantgarde, Neuer Musik, Disco, House und Minimal Music gewesen ist, sondern diese Einflüsse in seinen Stücken auch miteinander verbunden hat. Selten wird die Verwandtschaft zum klassischen Techno so deutlich wie in „Evolution“, das sich auch in den Katakomben einer Off-Location in Detroit oder Berlin gut machen würde. Ihre Stimme setzt Owens ein wie ein flächiges Instrument, die Stimmung des Albums ist so melancholisch-grau wie sein Cover.

Mit Kategorisierungen kommt man bei Owens nicht weit, weil sie sich und ihre Kunst keinen Selbstbeschränkungen aussetzt. Und so kommt es auch, dass kaum ein Track auf diesem Album an seinem Ende dort ankommt, wohin er am Anfang aufgebrochen zu sein schien. Wobei wir wieder bei Arthur Russell wären.