Lavons Lied von Katja Henkel

Seit fast 40 Jahren treffen sich allmonatlich in einem New Yorker Cafe zwei Frauen zum rituellen Kaffeeklatsch. Viel zu sagen haben sie sich nicht, und so gleichen ihre Treffen eher einer grotesken Schweigeveranstaltung denn einem amüsanten Nachmittag. In Rückblenden allerdings klärt sich scheibchenweise Sinn und Zweck des bizarren Stelldicheins: Eine der beiden Ladies hat einst einen Mord verübt. Thilda Horn, eine deutsche Pianistin, erschoss auf der Bühne des berühmten „Birdland“ den Jazz-Trompeter Benjamin Banner. Mit dessen Sohn Vernon lebten Thilda sowie ihre Bekannte im New York der Fünfzigerin einer verhängnisvollen Dreiecksbeziehung, die sich zwischen Jazz-Clubs, Drogen und zwischenmenschlichen Abgründen bewegte. Katja Henkel hat ihren Roman voll gepackt mit einem wahren Arsenal an Psycho-Katastrophen. Ihre Protagonisten mühen sich durch Eifersucht. Brudermord, sexuelle Hörigkeit, Familienzwist und Heroinkonsum, bis dem Leser ob so viel geballter Seelennöte fast die Luft ausgeht. Erst ganz zuletzt lüftet sie schließlich das Geheimnis um Thildas Tat: ein Showdown mit großem Getöse, in dem Frau Henkel noch einmal alle Register zieht. Trotzdem ist LAVONS LIED kein Psychogramm, sondern ein handfester Jazz-Roman geworden, der auf spannende Art seine fiktiven Figuren um Musiker wie Miles Davis, Billie Holiday oder John Coltrane herum anordnet. Mit diesem Kunstgriff gelingt Katja Henkel eine sehr lebendige Schilderung der New Yorker Bebop-Szene, ohne deshalb gleich den 385. Historien-Schinken zum Thema zu verfassen. Gewidmet ist das Buch übrigens Miles Davis, der Katja Henkel, Tochter eines Jazzclub-Betreibers, einst höchstpersönlich prophezeite, sie würde „einen Jazzroman schreiben“.

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