The Auteurs

People ’Round Here Don’t Like To Talk About It (The Complete EMI Recordings)

Cherry Red (VÖ: 10.2.)

Das Gesamtwerk der Auteurs plus zwei Solo-Projekte von Luke Haines, die zeigen, wie verquer englische Gitarrenmusik in den Neunzigern sein durfte.

Im vergangenen Jahr kam es zu einer Begegnung des Autors mit Luke Haines, dem Mann hinter den Auteurs. Ort des Treffens war ein Pub im Londoner Stadtteil Muswell Hill, Schauplatz der Kinks-Songs auf deren Album MUSWELL HILLBILLIES, ein Viertel wie geschaffen für die Kleine-Leute-Beobachtungen von Ray Davies. Haines lebt seit vielen Jahren hier, im Gespräch meinte er, er habe kein Problem damit, kein Popstar mehr zu sein, wie er in den Neunzigern einer gewesen ist, sondern einer dieser Typen, in dessen Nähe sich im Bus niemand freiwillig setzt. „Besser ein Freak, der Kunst macht, als ein Pseudo-Star, der eigentlich auch Freak ist, es aber nicht wahrhaben will“, sagte er, trank sein Bier leer, setzte einen Hut auf und stiefelte zurück in sein Viertel, halb Mark Twain, halb leicht derangierter Kunstlehrer.

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Dass diesem Mann mal das halbe Königreich zu Füßen lag, wissen in Muswell Hill nur wenige. Und wenn sie es wissen, ist es ihnen egal: PEOPLE ’ROUND HERE DON’T LIKE TO TALK ABOUT IT – das ist eine Grundeinstellung der Leute hier. Nun ist diese Haltung auch Titel der Werkschau jener Alben, die Haines von 1993 bis 2003 für Tochterunternehmen von EMI aufgenommen hat, darunter die vier Werke der Auteurs sowie seine Solo-Rerecordings DAS CAPITAL und die Platte unter dem Namen Baader Meinhof.

So seltsam die Lyrics waren, so packend gestaltete Haines sein Songwriting

Doch zunächst zu den Auteurs. Deren Story ist eine irre Geschichte aus einer Zeit, als in England Gitarrenbands so heiß begehrt waren wie heute LKW-Fahrer. Nachdem Haines’ Gruppe The Servants gescheitert war, nahm er unter dem neuen Namen ein Demo-Tape mit Songs auf, die sich textlich deutlich von den Liebesliedern der Konkurrenz unterschieden. Während diese ihren Liebschaften hinterhertrauerte und ins Kissen weinte, sang Haines: „I took a showgirl for my bride“. Mit viel Selbstbewusstsein verteilte er die Kassetten an Plattenfirmen, der Rücklauf ging gegen null. Das änderte sich über Nacht. Der kommerzielle Erfolg der Alternative-Rock- und Grunge-Bands aus den USA führte dazu, dass britische Labels hektisch nach heimischen Gitarrengruppen fahndeten. The Auteurs waren zur Stelle.

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Ihr erstes Album NEW WAVE erschien 1993 und erreichte Platz 22, was sich weniger spektakulär anhört, als es sich für Luke Haines anfühlte, denn dass er mit seinen Songs in die Hitparade kommen würde, erschien ihm so unwahrscheinlich wie der Aufstieg des AFC Muswell Hill von der vierten Klasse einer lokalen Hobbyliga in die Premier League. Doch es gelang, trotz obskurer Anspielungen auf europäische Kunstbewegungen und amerikanischen Trash, mit Textzeilen wie „I want to kill your sister with some business advice“ und einer Ballade aus der Perspektive eines professionellen Einparkers.

Ein sarkastischer Blick auf das Musikbusiness

So seltsam die Lyrics waren, so packend gestaltete Haines sein Songwriting: Die frühen Auteurs spielten feinsinnigen Glam-Pop, der sich an T. Rex, Bowie oder Roxy Music orientierte und den er mit der Wucht des Postpunk und der lyrischen Raffinesse des Indie-Pop kombinierte. Noch besser gelang 1994 das zweite Album NOW I’M A COWBOY, die Songs spielten in chinesischen Bäckereien, erzählten von französischen Freundinnen und vom US-Komiker Lenny Bruce, der im Körper des Stummfilmstars Rudolph Valentino wiedergeboren wird: „Lenny Valentino“ – die Single verfehlte nur hauchdünn die Top 40.

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Das dritte Album AFTER MURDER PARK lässt Haines 1996 von Steve Albini produzieren, dessen Direktaufnahmetechnik die Songs vom Pop zum Rock führt. In den Texten geht’s um allerhand Mordgeschichten, die Motive sind vielfältig, eines lautet: „Married To A Lazy Love“. Nick Cave macht aus einem ähnlichen Ansatz mit seinen MURDER BALLADS ein Geschäftsmodell, die Auteurs gehen kommerziell erstmals baden, dabei ist AFTER MURDER PARK ihre mitreißendste Platte. Es folgt 1999 das spleenige vierte Album HOW I LEARNED TO LOVE THE BOOTBOYS, dessen sarkastischer Blick auf das Musikbusiness bereits die Solowerke von Haines vorwegnimmt. Schon 1996 hatte er mit dem Projekt Baader Meinhof überrascht, das den Baader-Meinhof-Komplex als Indie-Funk- Platte nacherzählt – eine von Haines’ besten Ideen.

Ich habe euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass

Ebenfalls Teil der Box ist DAS CAPITAL, Untertitel „The Songwriting Genius Of Luke Haines And The Auteurs“ und damit tatsächlich eine Kapitalisierung des Katalogs, jedoch nicht als Best-of, sondern mit orchestralen Neueinspielungen einiger Favoriten. Wer die Alben kennt und besitzt, braucht die Box dennoch: Cherry Red hat die sechs CDs mit mehr als 60 Bonustracks aufgefüllt, darunter B-Seiten, Demos, Remixes und Akustikversionen.