The Cardigans – Super Extra Gravity :: Schleichende Neuerfindung

Wer zwischen den Zeilen lesen kann, oder in Augen und in Gesichcern, hat immer schon gewußt, daß die Fröhlich-, Niedlich- und Schnuckeligkeit der frühen Cardigans nur eine vordergründige war. Tief drin in Nina Persson macht sich die dunkle Seite breit, wie in allen ganz normal Verrückten wie dir und mir, die das Gefühl lieben, wenn der Alkohol langsam in den Kopf steigt, um ihn auf existenzphilosophische Diskussionen vorzubereiten. Die Liebe, das „Favorite Game“, das Persson einmal besungen hat, hat sie verloren – im gleichnamigen Song zumindest. Und spätestens mit Long Gone Before Daylight, dem 2003er Album der Cardigans, war klar, daß Persson nicht die grinsende Easy-Listening-Maus vom Life-Cover ist, sondern im Grunde eine gesunde Melancholikerin, deren Lieblingsthemen schwierige und gescheiterte Beziehungen sind, Long Gone Before Daylight war das bisher beste und erwachsenste (manche Menschen wollen dabei an Sheryl Crow erinnert werden) Album der Cardigans – wenn man es für gut und erwachsen hält, früh morgens um viertel vor vier mit einer Flasche Rotwein allein in seinem Zimmer zu sitzen mit dem Wunsch im Kopf, die Sonne soll doch bitteschön nie wieder aufgehen.

Super Extra Gravity handelt auch wieder von unglücklicher Liebe und verlorener Freundschaft und Rotwein früh um vier, aber die Grundstimmung ist nicht mehr so düster wie auf dem Vorgänger. Der Opener „Losing A Friend“ könnte der vergessene zwölfte Song von Long Gone Before Daylight sein. „You lose a friend. You got it all wrong. It’s not about revenge. I didn’t see it Coming with my headstuck in the sand. And now I lose a friend“, singt Persson da, und davon, daß sie dann doch eher sterben wollen würde und von einmal Hölle und zurück. Das ist wirklich nicht nicht die grinsende Easy-Listening-Maus vom Life-Cover.

Das langsame „Losing A Friend“ mit der hübsch aufdringlich nach vorne gemischten Snare ist die Brücke zwischen der Wehmut von long gone before daylight und dem Midtempo-Indie-Rock von super extra gravity. Zwischen all diesen Hits (das hymnische „Godspell“, die Single-gewordene Frechheit „I Need Some Fine Wine And You, You Need To Be Nicer“) und diesen Überhits (das sonnenscheinige „Good Morning Joan“) fällt nicht einmal ein nahe an der Schmalzgrenze gebauter Schunkel walzer wie „Overload“ negativ auf.

Komisch, daß man der Qualität dieses Albums vielleicht am besten im Musikersprech gerecht werden kann darf man das sagen? Die Amerikanisierung ihrer Musik inkl. gefühltes Folk-Flair hat der Band gut getan. Peter Svensson wird als Songschreiber immer besser-ein Song wie „Don’t Blame Your Daughter (Diamonds)“ ist einfach nur schön, schön, schön. Die Produktion nennt man wohl „erdig“ und „Tough“ und „dreckig.“ Nie zuvor haben The Cardigans mehr indie geklungen als auf diesem Album mit allen Ecken und Kanten, die dazugehören. Das Wichtigste an dieser Band ist allerdings eine Qualität, über die die wenigsten 90er-Jahre-Veteranen verfügen: The Cardigans haben sich schleichend neu erfunden. Das einzige, das noch an „früher“ erinnert, ist ihr Name. Der lautet immer noch so wie der eines Kleidungsstücks, das in den 90er Jahren das Höchste an Retro-Schick bedeutet hat. VÖ: 17.10.

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