Ryan Adams: Das Ego überwunden


"Ich fühle mich wie Milla Jovovich, wenn in 'Das fünfte Element' das Licht aus ihrem Mund schießt." Ryan Adams über das Glück im Kollektiv.

Ryan Adams lässt ein wenig auf sich warten. Der sagenhaft produktive und immer ein wenig unberechenbare 34-jährige New Yorker Songwriter zieht noch durch die Sohoer Geschäfte, während uns Neal Casal, weiterer Gitarrist und weiterer Sänger von Adams‘ Begleitband The Cardinals, in einem intimen Diningroom im Westminster Soho Hotel gegenübersitzt und Tee trinkt. Schließlich erscheint Adams mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Junge, ich habe gerade die absolut großartigste Gitarre entdeckt, das glaubst du nicht!“ Adams verfällt in kindliche Euphorie, lobpreist das Instrument, seine Ausstattung, seinen Klang, redet, wie gleich auch im Interview, ohne Punkt und Komma. Aber zuerst dimmt er das Licht, der Diningroom wird noch intimer, und bestellt sich einen veganen Salat.

Ryan Adams: Okay, ich glaube, wir sollten anfangen, ich will dich nicht unnötig aufhalten.

Keine Sorge, so lange ich nur rechtzeitig beim Killers-Konzert bin.

Adams: The Killers!? Die sind großartig! Welcome to Las Vegas, Baby! (lacht) … Mann, ich kann die nicht ausstehen. Die sind so fake und Showbiz. Da warte ich doch lieber auf die nächste Strokes-LP.

Davor erscheint jetzt erst einmal dem neues Album, immerhin das vierte mit den Cardinals und das zweite mit der aktuellen Besetzung. Gibt es für dich einen wesentlichen Unterschied zwischen den neuen und den alten Cardinals?

ad am s: Ich wollte Neal von Anfang an in der Band haben. So wie das Line-up jetzt ist, war es ursprünglich gedacht. Die Cardinals sollen mit Neal und mir auch zwei gleichberechtigte Sänger und Songschreiber bekommen. Allerdings wird es wohl noch etwas Zeit brauchen, bis wir dort angekommen sind.

Inwiefern würden sich die Atmosphäre und der Sound der Band verändern, wenn ein Mitglied die Cardinals verlassen würde?

Adams: Es gäbe eine ernsthafte Diskussion darüber, ob wir weitermachen. Die aktuelle Besetzung ist genau die Band, bei der wir bleiben möchten. Wir sind ein richtiges Kollektiv. Und ich denke, es war gut für dieses Kollektiv, meinen und Neals Backkatalog zu durchforsten und unsere alten Songs zu spielen. Das hat es Neal und mir ermöglicht, gegenseitig unsere Gedankenwelten zu erschließen und so auch neuen Optimismus in unserer Musik zu finden.

Inwiefern verändern sich die alten Songs, wenn ihr sie live spielt?

Adams : Die Songs werden für mich persönlicher und bekommen eine neue Identität durch die Zusammenarbeit innerhalb der Band. Ich liebe Klischees in der Musik und versuche immer wieder, sie umzukehren, sie zu verändern. Nimm ein Stück wie „La Cienega Just Smiled“ (vom Adams‘ zweitem Album Gold, 2001 – Anm. d. Red.): ein toller Song, aber er hat seine Schwächen. Durch die Band kann ich jetzt versuchen, das Gute von diesem Song zu nehmen und es mit den guten Eigenschaften der Cardinals zu verbinden. Ich drehe die Klischees um und mache das Stück, indem wir es immer wieder spielen und verbessern, zu etwas Perfektem.

Bowie hat einmal gesagt, er würde am liebsten seine alten Alben noch mal aufnehmen, und hat das mit einigen 60er-Jahre-Songs auch versucht. Könntet ihr euch etwas Ähnliches vorstellen?

Neal Casal: Wir machen es live. Dort leben die Songs. Sie neu aufzunehmen, würde nichts bringen.

Adams: (mit Salat im Mund) Man mupf fowärpf gehen! … Die Vergangenheit sollte mit Würde als das gesehen werden, was sie war. Allerdings musst du dir der Vergangenheit auch bewusst sein, oder du bist dazu verdammt, deine Fehler zu wiederholen.

Gibt es in deinem Backkatalog etwas, wofür du dich heute schämst?

Adams : Wenn ich einen alten Song spiele oder höre, ist es für mich wie das erste Mal. Würde ich es nicht so machen, würden diese Fehler aus der Vergangenheit meine Kräfte in der Gegenwart blockieren.

Und wie sieht es mit dem von den Fans seit Jahren ersehnten Boxset aus, das deinen unveröffentlichten Solo-Output zusammenfassen soll?

Adams: Klar könnte es ein solches Boxset geben… Aber seine einzelnen Teile wurden mit der Zeit ohnehin schon in unterschiedlichen Formaten veröffentlicht. Wieso sollte ich also so ein Boxset herausbringen? Es ist mein intellektueller Besitz, es sind Ideen, Skizzen, die ich meinen Freunden vorspiele und an denen ich mit den Cardinals arbeite.

Die Fans drängen aber, es zu veröffentlichen …

Adams: Sie haben Cardinology bekommen, sie sollen die Klappe halten! Ernsthaft: Cardinology ist das beste Album, an dem ich je mitgewirkt habe. Niemand hat mir zu sagen, was ich musikalisch tun soll, das ist meine künstlerische Freiheit!

Cardinology ist also dein Meisterwerk?

Adams: Darauf kommt es nicht an. Es geht darum, dass man mir meine Arbeit und spirituelle Entwicklung grundsätzlich nicht absprechen kann. Die Musik, die ich schreibe, beinhaltet all das, was ich an Musik liebe und was ich selbst gerne höre. Ich kann außerdem alles, was ich bei der Arbeit an meinen früheren Alben gelernt habe, mit dem verbinden, was Neal und der Rest der Band über die Jahre gelernt haben, und dadurch wird der Schaffensprozess, die Musik magisch, richtig gut! Nimm „Cobwebs“: Der Song ist so fantastisch! Die Aufnahme gelang im ersten Take. Da ist spontan etwas absolut Perfektes entstanden. Es ist wie Zen oder Yoga.

„Cobwebs ist dein Lieblingsstück vom Album?

Adams: Definitiv! Jedes Mal, wenn ich den Schluss von „Cobwebs“ spiele, komme ich mir vor wie Milla Jovovich in „Das fünfte Element“, wo das Licht aus ihrem Mund schießt. Es ist pure Energie! Etwas Spirituelles! Früher ging es in meinen Songs nur um mich, es gab weder Konflikt noch Lösung. Jetzt habe ich die Krücken der Egomanie von mir geworfen und mich drangemacht, den Berg zu erklimmen.

Du hast dich auch in deinem Blog deinen Fans auf sehr spirituelle und poetische Weise geöffnet. Allerdings hast du damit aufgehört, weil Journalisten und Fans deine Worte aus dem Kontext gerissen oder abgedruckt haben.

Adams: Du möchtest dich öffnen und kommunizieren, um menschlicher, normaler zu werden, wirst stattdessen aber als Prominenter gesehen. Das war mir unangenehm. Und deshalb war ich ehrlich und habe meine Frustration geäußert. Wenn man das zurückhält, kann man nicht daran wachsen.

Wie gehst du mit Kritik um?

Adams: Ich lese sie nicht. Ich habe keine Idee, wie das neue Album angenommen wird. Ich habe ja nicht mal einen Fernseher. Vielleicht ist mein Output deshalb so groß.

Könntest du dir vorstellen, wieder ein Soloalbum aufzunehmen?

adams: Momentan sind meine literarischen Werke mein Solo-Output – ich schreibe an einem Roman und mehreren Geschichten. Wenn ich wieder ein Soloalbum aufnehme, dann unter meinem vollen Namen: David Ryan Adams. Nur Gitarre und Gesang. Und ich werde es limitiert auf Vinyl veröffentlichen. www.ryan-adams.com