Kritik

„The Prom“ auf Netflix: Musical, Märchen – und viel zu viel des Guten


Ryan Murphys „The Prom“ um eine lesbische Schülerin, der eine Gruppe Broadway-Schauspieler*innen zur Hilfe eilt, als ihr die Teilnahme am Abschlussball untersagt wird, kann mit einem herausragenden Cast und eingängigen Songs aufwarten. Doch die Handlung wird unnötig gestreckt, die Figuren bleiben eindimensional.

Geht es nach ihrer Darstellung in der Popkultur, muss die amerikanische High School gewissermaßen die Vorhölle auf Erden sein. Mit der Geschichte um die lesbische Emma (Jo Ellen Pellman), deren Schule ihr nicht gestatten will, mit ihrer Partnerin am Abschlussball teilzunehmen, nährt auch „The Prom“ diesen Mythos. Das in dem durchaus etwas Wahres steckt, unterstreicht die Tatsache, dass Film und Musical-Vorlage auf einer tatsächlichen Begebenheit aus dem Jahr 2010 basieren. Auch Constance McMillen aus Mississippi wehrte sich gegen die Entscheidung ihrer High School, woraufhin diese den Ball aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen kurzerhand ganz absagte.

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Im Film kommt der Fall Broadway-Diva Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Co-Star Barry Glickman (James Corden) gerade recht. Soeben ist ihre neue Show „Eleanor!“ um die First Lady Eleanor Roosevelt bei der Kritik durchgefallen. Nicht etwa weil das Musical an sich schlecht wäre. Schuld sind die beiden narzisstischen Darsteller*innen, die ihre Sympathien beim Publikum durch ihre schamlose Selbstverliebtheit gänzlich verspielt haben.

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Als sie versuchen ihren Kummer in Alkohol zu ertränken, begegnen sie dem abgehalfterten Sitcom-Star Trent Oliver (Andrew Rannells), der aufgrund ausbleibender Angebote als Barkeeper jobbt. Auch die ständige Zweitbesetzung Angie Dickinson (Nicole Kidman), die die Rolle der Roxie Hart in „Chicago“ schon wieder nicht bekommen hat, stößt hinzu.  Gemeinsam beschließen sie, unter die Promi-Aktivist*innen zu gehen, um das eigene Image aufzupolieren. Nicht unglamourös oder allzu schwer zu lösen soll das Problem sein, dem sie sich annehmen wollen. Welthunger und/oder -frieden sind damit schon mal raus. Wie gut, dass Emmas Fall gerade auf Twitter trendet.

Als man sich direkt am nächsten Morgen im Greyhound-Bus auf den Weg ins ländliche Edgewater, Indiana macht, ist der Ton bereits gesetzt. Nach weniger als fünf Minuten Spielzeit wurde der erste der knapp unter 20 Songs angestimmt, das Setting ist knallbunt und die Atmosphäre auf Feel-Good-Bombast getrimmt. Auch die Stärken des Films sind zu diesem Zeitpunkt bereits klar. Sie heißen Meryl Streep und Jo Ellen Pellman.

Meryl Streep und Entdeckung Jo Ellen Pellman glänzen

Während Ikone Streep spätestens mit „Mamma Mia!“ ihr komödiantisches Talent und ihre musikalische Begabung unter Beweis stellte, handelt es sich bei der 24-jährigen Pellman um das, was man eine Entdeckung nennt. Bis auf kleine Auftritte in „The Deuce“ und „The Marvelous Mrs. Maisel“ noch nicht in Erscheinung getreten, überzeugt sie in der Hauptrolle mit hervorragender Stimme und einnehmender Ausstrahlung. Es wäre eine beinah skandalöse Verkennung, wenn auf diese Performance keine weiteren großen Rollen – auch außerhalb des Netflix-Kosmos – folgen sollten.

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Folgerichtig sind es im Laufe der etwa 130 Minuten vor allem jene Songs, bei denen Streep und Pellman im Fokus stehen, die am meisten Spaß machen und dementsprechend am besten funktionieren. Wobei auch James „Carpool-Karaoke“ Corden und Nicole Kidman, die bereits in „Moulin Rouge“ ihre Gesangstalent bewies, immer wieder positiv auffallen. Gerade Letztere wird im Laufe der Handlung aber unnötig weit an den Rand gedrängt.

Die genannte Überlänge des Films ist es, die ihm zum Verhängnis wird. Über weite Teile funktioniert „The Prom“ als einfacher Gute-Laune-Film mit eingängigem Soundtrack und simpler, aber herzerwärmender Botschaft. Sein „Zuviel“ an Musikeinlagen, Glitzer und Tatendrang kann man ihm gerade in der ohnehin auf kitschige Unterhaltung eingestimmten Vorweihnachtszeit verzeihen. Eine merklich gestreckte Handlung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Entwicklung wichtiger Figuren ist seiner Qualität dann aber doch abträglich.

„It’s Emma’s Story, Dammit!“

Denn die Geschichte endet wider Erwarten nicht unmittelbar damit, dass die vier Promis den Ball retten und alles in einem fulminanten Happy End kulminiert. Das gibt es natürlich trotzdem, aber wesentlich später. Kurz nach dem Eintreffen von Dee Dee und ihrer Truppe, gelingt es dem Schuldirektor Tom Hawkins (Keegan-Michael Key) mit rechtlichem Beistand gegen den Willen des Elternbeirats durchzusetzen, dass der Ball doch stattfinden muss. Als die Gruppe ihren Sieg feiert und Emma auf ihren großen Abend vorbereitet, hat sie die Rechnung ohne das Potenzial zur Grausamkeit bigotter, bibeltreuer Christ*innen gemacht. Es braucht also noch einiges Hin und Her mehr, bis Emma endlich ihren bescheidenen Wunsch, unter aller Augen mit ihrer Partnerin zu tanzen, in die Realität umsetzen darf.

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Während man diese Extrarunde der Story noch mit dem Ziel, möglichst nahe am echten Fall aus Mississippi zu bleiben, rechtfertigen kann, werden die erwartbaren Hintergrundgeschichten der Promis, allen voran Barrys und Dee Dees, unnötig in die Breite getreten. Die eigentlich im Fokus stehende Emma hingegen bleibt enttäuschend eindimensional. Auch ihre Partnerin Alyssa (Ariana DeBose) und deren Verhältnis zu ihrer Mutter Ms. Greene (Kerry Washington), die als LGBTQ*-feindliche Beiratsvorsitzende die Hauptantagonistin mimt, werden nicht näher beleuchtet.

Dem mitreißenden Optimismus und der lobenswerten Botschaft schaden die Versäumnisse zwar nur bedingt, im Hinblick auf seinen Unterhaltungswert hätte großzügigeres Kürzen oder zumindest das richtige Setzen erzählerischer Prioritäten „The Prom“ allerdings gutgetan.

„The Prom“ dauert 131 Minuten und seit 11. Dezember auf Netflix im Stream zu sehen.

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