„This is not America“: Böhmermann eröffnet „Die Möglichkeit der Unvernunft“
Kann Gag-Kunst die Welt verbessern? Ein Ausstellungsrundgang mit Jan Böhmermann
Es ist Samstagmorgen, der Himmel strahlt in grellem Grau über Berlin und die Flamme der aufblasbaren Freiheitsstatue hängt schlaff über dem Teich hinter dem Haus der Kulturen der Welt. Neugierige Journalist:innen unterschiedlichen Blattes finden sich im Foyer des HKW zusammen, geben ihre Handys ab und warten auf Jan Böhmermann. Der soll durch die Ausstellung führen, die er gemeinsam mit der Gruppe Royal organisiert und kuratiert hat. Zwei Jahre lang arbeitete das Team um den Satiriker an der Konzeption des Takeovers, der am Samstag den 27. September neben dem Bundeskanzleramt für drei Wochen stattfinden soll.
HKW-Takeover à la Böhmermann
„Naaa, guten Morgen Sie alle, schön dass Sie da sind“, tönt es durch die Lautsprecherbox, die an der Hüfte Böhmermanns hängt. Er schlurft durch das Foyer, in Jogginghose und IFA-Hoodie, sein Kopf bedeckt von einer rosa Kappe — er wirkt müde und erschöpft, ja ein bisschen gleichgültig auch. Man merkt, dass er wenig Interesse an den Pressepersonen hat, scheinen sie nur das Vehikel für die Botschaft der Ausstellung. Während sämtliche Medienhäuser im Voraus von der Wurst berichten, die Jan Böhmermann und die Gruppe Royal der Gesellschaft vorhalten wollen, erklärt er, dass es sich damit lediglich um eine PR-Aussage gehandelt habe: „Wir wollten eigentlich vor allem, dass Journalist:innen wie Sie keine Ahnung haben, was sie im HKW erwarten wird.“
Mit Erfolg. Um Wurst geht es keineswegs, wohl aber um Meinungsfreiheit, um Entfremdung in Zeiten technokratischer Strukturen und um die gesellschaftspolitische Zeitkapsel, in der wir uns befinden. Und, „aus der wir schleunigst raus müssen, solange es noch geht“, so Böhmermann.
Im April 1958 haben die USA der Stadt Berlin die Kongresshalle, das heutige Haus der Kulturen der Welt, geschenkt — als Symbol des freien Westens, aufgestellt im Zentrum der Stadt, unweit der früheren Mauer. Eine Schnittstelle quasi, die die politische und historische Verbindung zwei freier, demokratischer Staaten manifestiert. Böhmermann und sein Team verwandeln diese Schnittstelle für drei Wochen in ein gewitztes Mahnmal und stellen die Frage: Sind wir wirklich noch so frei?
„You maniacs! You blew it up!“
Fährt man mit der Linie 100 Richtung Zoologischer Garten, so kann man den „Status of Freedom“ im Vorbeifahren sehen. Dort ist die Freiheitsstatue aufgestellt, bis zur Brust im Wasser versunken, die Fackel steht und fällt mit dem Witterungsgrad — je grauer und stürmischer das (politische) Klima, desto niedriger hängt das lodernde Feuer der Freiheit und Gleichheit. Im Hintergrund thront ein Zitat aus „Planet der Affen“ (1968) über der Szenerie: „You finally, really did it. You maniacs! You blew it up!“ Zum Ende des Kult-Films realisiert der Protagonist, dass sich die Menschheit bereits schon einmal selbst zerstört hat und spricht dieses Satz, der fast fünf Jahrzehnte noch immer unbehaglich akkurat scheint und nun auch in Berlin als Warnung dienen soll.
„This is not America“, sagt Jan Böhmermann ernst in das Mikrofon, im Hintergrund dudelt eine Aufnahme der US-amerikanischen Nationalhymne „Land of the Free“. Wenn ich mich aber durch die Nachrichten klicke, präsentiert sich mir das selbsternannte Land der Freien jedoch als gar nicht mal so frei. Derzeit werden Familien und Gemeinden von ICE-Behörden zerrissen und kriminalisiert, parallel werden Formate öffentlicher Rundfunkanstalten abgesetzt, weil die Interessen konservativer Medienunternehmen über dem Recht auf Meinung stehen, Kriege finanziert, Propaganda vertausendfacht und Rechtsextreme idealisiert. Die Anfänge dessen lassen sich auch in Deutschland nachzeichnen, so Böhmermann. „Wir befinden uns in einer Zeitkapsel, die jederzeit droht, zu explodieren“, warnt er.
Feinste Satire und klare Botschaft
Böhmermann sei unpolitisch, sagt er selbst, doch ist niemand gänzlich befreit von politischem Denken. Und auch wenn die Ausstellung keine politische Botschaft senden wolle, kauft man ihr die inszenierte Neutralität nicht ab. An fünf verschiedenen Standorten in und um das HKW herum können Besuchende interatkiv und immersiv zusehen und beurteilen, was in unserer von digitalen Medien verseuchten Gesellschaft so von statten geht. Dabei trifft feinste Satire auf scharfe Kritik: Technische, digitale Medien agieren gegen die Kultur, gegen die Gesellschaft. Wir fressen uns selbst auf, sagt Nancy Fraser und Jan Böhmermann liefert die Requisiten dieser düsteren Ahnung.
Man kann mittels eines aufwändig angebrachten Spiegels durch ein Fernrohr direkt ins Büro des Bundeskanzlers blicken, damit „der Souverän endlich auf Augenhöhe mit dem nächtigen Repräsentanten“ sein kann. Drei Stockwerke tiefer findet man eine gigantische Butter-Büste von Helmut Kohl neben einer Retro-Raucherkabine. Nicht weit entfernt kann man einen Einbürgerungstest mit Originalfragen machen, und in der Eingangshalle stehen Souvenirs des Trump-Towers neben NSU-Akten und anderen Artefakten aus „12 Jahren radikaler, ganzheitlicher Satirepraxis“. Weiter unten im Gebäude sind Grabsteine, die die Finanzkraft der reichsten Männer Deutschlands begraben wollen, und wer sich in Charity-Laune fühlt, kann medienwirksam Waisen vor ihrer unwiderruflichen Zerstörung retten, #love. Der Status der Freiheit wird gemessen an den Wetter- und Klimabedingungen, keine 30 Meter weiter gedenkt man der ermordeten Luise Nähring und vor dem Gebäude finden E-Scooter-Start-Ups ihr Brutnest.
Eine neue Nationalgalerie der Screenshots zeigt die bisher geschundenen Charaktere im „ZDF Magazin Royale“: Darunter Jens Spahn, Caro Daur, Diana zur Löwen, die Neonazis von Sylt und Elon Musk und … schon wieder Jens Spahn. Sind das die Persönlichkeiten, die unsere Zeit prägen? Durch die Linse der Medien definitiv. „Mit Schwarz, Rot, Gold sind alle gemeint“, spricht Böhmermann mit gespieltem Ernst in das Mikro, aus Hüfthöhe schießt der beißende Klang der Süffisanz. Und während 40 erwachsene Menschen stumm dabei zusehen, wie die gelbe Smiley-Fahne gehisst wird, spielt Pietro Lombardi aus den iPhone-Lautsprechern des Moderators. Eine skurrile Show, in skurrilen Zeiten — wie passend.
Über das Potential konstruktiver Unvernunft
Und doch liefert „Die Möglichkeit der Unvernunft“ nichts bahnbrechend Neues. Dass das Internet demokratische Gefahren birgt und die Medienberichterstattung zurecht an Vertrauen verliert, ist in den meisten Kreisen nicht unbekannt. Die Ausstellung wirkt viel eher wie eine materialisierte „ZDF Magazin Royale“-Folge. Die Persona des Moderators füllt auch in den Hallen des HKW die Zwischenräume des peinlichen Schweigens, ganz im Allgemeinen weiß man oft nicht, ob man schmunzeln oder heulen soll. Was vor Ort gezeigt wird, ist die absolute Misere unseres gesellschaftlichen Status Quo – man sieht und fühlt das, und man lacht trotzdem. Ist ja alles nur Spaß. Solange man sowas noch machen kann, ist alles gut – oder?
Dass hinter einer kritischen Ausstellung unzählige Stunden juristischer Absicherung steckt, erkennt man erst im unteren Teil der Ausstellung. „15000 Strafanzeigen erhielten wir zwischen 2005 und 2025, und um das mal greifbar zu machen, dachten wir, hängen wir die einfach mal auf“, so Böhmermann. 86 Tausend Stück Papier brauchte es, um das Recht auf Meinung und Diskurs im Öffentlich-Rechtlichen zu sichern.
Böhmermann und sein Team verbinden mit dem Leitgedanken der Ausstellung recht dynamische Komponenten in Sachen Zensur und Öffentlichkeit, Recht und Unrecht. Aber vor allem: Chancen. Von konstruktiver Unvernunft ist die Rede, habe das starre Dogma des Rationalisierens unsere Gesellschaft letztlich hier hingeführt. Unsere Gesellschaft befände sich an einen Scheideweg, von dem niemand weiß – auch nicht Böhmermann selbst – wie man ihn bestreiten solle. Man müsse irgendwie wieder zusammenkommen, sagt der 44-jährige im Anschluss des Rundgangs: „Einander ist alles, was wir haben.“ Und weiter: „Solange wir die Welt ausschließlich durch die Brille der Medien betrachten, laufen wir Gefahr, uns zunehmend voneinander zu entfremden“, befürchtet Böhmermann.
Alles nur Wunschdenken?
Habermas und Horkheimer würden wohl zustimmen. Während sie die Zwischenräume, in denen sich Faschismus, Rechtsextremismus und Unterdrückung wieder einnisten, mit Vernunft bereinigen wollen, erhebt die Gruppe Royal die stolze Unvernunft zum einzig vernünftigen Rettungsversuch des Diskurses. Neugierig bleiben, offen sein, das Fragen wagen — es klingt pathetisch, doch wenn Antifaschismus zunehmend als Utopie abzudriften scheint, sind es ebensolche grundständigen Aspekte, die verändern können. „Vielleicht aber auch nicht! Vielleicht verstreiten wir uns nach den drei Wochen auch wieder und nichts passiert, keine Veränderung bleibt, vielleicht stoßen wir ja auch nicht einmal etwas an“, sagt Böhmermann. „Aber wir können es ja zumindest einmal versuchen.“
Die Ausstellung im HKW wird die Welt nicht verändern, diesen Anspruch hegt sie auch gar nicht. „Vielleicht reicht das für den Moment, niedrigschwellige Kunst, ein paar Gags, ein bisschen Kritik, ein bisschen gemeinsames Stirnrunzeln“, schreibt Marlene Knobloch für „Zeit“ treffend. Böhmermanns Takeover wird mit Sicherheit zum Nachdenken anregen. Einen nachhaltigen Eindruck würde die Ausstellung jedoch vermutlich eher bei denjenigen hinterlassen, die die Welt nicht ohnehin schon in der kritisch-satirischen-Böhmermann-Denke wahrnehmen (wollen) — wenn sie die Ausstellung denn auch besuchen. Der Takeover könnte Gefahr laufen, innerhalb dieser Bubble zu verweilen.
Als die Türen der schwangeren Auster um 12 Uhr offiziell öffnen, warten draußen jedenfalls bereits die ersten Leute. Die Sonne hat sich ebenfalls durchgekämpft und strahlt auf das Gebäude hinab, Tourist:innen lassen sich vor der Freiheitsstatue fotografieren — das Leuchtfeuer straff gen Sonne gereckt. Der „Status of Freedom“ vermittelt zaghafte Sicherheit an diesem Herbstvormittag. Doch für wie lang?
„Die Möglichkeit der Unvernunft“ kann bis zum 19. Oktober im Berliner HKW erkundet werden. Das Programm rund um die Ausstellung bietet neben Konzerten von etwa Blumengarten und Ebow auch unterschiedliche Performances, Diskussionen und TV-Aufzeichnungen.



