Yungblud live in Berlin: Ein wirklich kathartischer Rock’n’Roll-Abend
Schweiß und Gänsehaut: Yungblud brachte Berlin zum Fühlen. Alles über Setlist und Highlights erfahrt ihr hier.
Als der Minutenzeiger langsam auf Mitternacht zuschreitet und der herbstliche Montag gegen Ende Oktober fast Geschichte ist, hat sich die Berliner Konzerthalle – isoliert von den winterlichen Temperaturen im Osten der Stadt – längst auf tropische Temperaturen aufgeheizt. In den Gängen stehen die Menschen dicht gedrängt vor den Merch-Ständen und versuchen, die letzten Überbleibsel von T-Shirts und CDs zu ergattern, die sie an diesen Abend erinnern werden – und ein besonderer Abend war es in der Tat. Im Rahmen seiner „Idols“-Tour hat Yungblud in der deutschen Hauptstadt Halt gemacht und seiner stetig wachsenden Zuhörerschaft in der Uber Eats Music Hall einen wirklich kathartischen Rock’n’Roll-Abend beschert.
Es ist die Liebe zum Genre, die in allem, was er tut, spürbar ist – in seiner Stimme, seinem Stil und vor allem in der Energie, die Yungblud, oder Dom, wie ihn Fans liebevoll nennen, auf der Bühne vermittelt. Oberkörperfrei, in schwarzer Lederhose und mit schweißnassen, schwarzen Haaren ist der junge Brite zum Inbegriff einer neuen Rockgeneration geworden, die die Flagge einer gesellschaftlichen Befreiung durch künstlerischen Ausdruck und die Macht der musikalischen Verbindung hochhält.
Palaye Royale: Ein starker Support Act
Ein Gespür dafür, was Rock’n’Roll heute ist und wer das Genre ebenso leidenschaftlich wie eigenständig in die Zukunft tragen kann, bewies Yungblud auf seiner Tour direkt durch die Auswahl seiner Support Acts: Zuerst legten Weathers und danach Palaye Royale eine Show hin, für deren musikalische Exzellenz sich der Weg zur Uber Eats Music Hall an einem kalten Montagabend bereits gelohnt hätte. Palaye Royale, die explosive Glamrock-Band aus Las Vegas, gilt unter Kenner:innen längst als einer der besten – wenn auch nischigen – Live-Acts, die die Rockmusik des zweiten Jahrtausends zu bieten hat – und kann der vorsichtig mitfiebernden Menge mit ihren Hits wie „Mr. Doctor Man“ oder auch „You’ll Be Fine“ ordentlich einheizen.
„Hello, Heaven, Hello“ eröffnet den Abend
Mit „Hello, Heaven, Hello“, dem Einstiegstrack seines jüngsten Albums IDOLS und zugleich dem ersten Song des Abends, eröffnet Yungblud seine Rockoper mit voller Kraft. Längst ist er nicht mehr die unkonventionelle, springende Rebellionsfigur mit pinken Socken und Hosenträgern, die Fans vor einigen Jahren auf Europas Bühnen lieben lernten. In seiner Rolle als von der Industrie proklamierter Rockstar ist der Brite ganz aufgegangen – voller Selbstbewusstsein, Klanggewalt, stimmlicher Exzellenz und dem Wissen um seine ganz besondere Wirkung auf die Zuhörenden. Yungblud mag als Künstler gereift sein, doch auch mit seinem neuen Album und auf größeren Bühnen trägt er dasselbe Herzblut in sich wie eh und je – genährt von der Liebe zur Kunst ebenso wie von der Liebe zu seinen Fans.
Ein Klangbad zwischen Alt und Neu
In dem gut zweieinhalbstündigen Klangbad, das die Uber Eats Music Hall zwischen Gitarrenriffs, Basslines und Flammensäulen zum Kochen bringt, findet Yungblud eine überzeugende Mischung aus alten und neuen Werken. Songs aus dem im Juni erschienenen IDOLS-Platte überwiegen mit kraftvollen Rockgeschichten, doch auch Fans früherer Stücke kommen auf ihre Kosten: Zwischen „Idols Pt. 2“, „Lovesick Lullaby“, „Fire“ oder auch „War“, die den neuen, gereiften Yungblud zeigen, finden sich alte Hits wie „The Funeral“, „Fleabag“ und „Loner“.
„My Only Angel“: Beweis stimmlicher Exzellenz
Ein Höhepunkt des Konzerts ist „My Only Angel“, das neue Stück des Briten, das gemeinsam mit Aerosmith entstanden ist und einen Vorgeschmack für die kommende Gemeinschafts-EP ONE MORE TIME mit der alteingesessenen Rockband bietet. Der Song zeigt, dass sich Yungblud seit seinen Anfängen auch stimmlich weiterentwickelt hat – ebenso wie seine Interpretation von „Changes“, die die Halle zum Beben bringt.
Die Ozzy-Hommage
Mit seiner Fassung des Black-Sabbath-Klassikers erinnert Yungblud, wie in jeder Show, an seinen verstorbenen Freund und Rockkollegen Ozzy Osbourne, dem er im Konzert stets eine Widmung schenkt. Die Ehrlichkeit, mit der die Fans sich dieser Hommage anschließen, rührt den Musiker beinahe zu Tränen. Dass Yungblud das künstlerische Talent besitzt, eine Interpretation von „Changes“ mühelos darzubieten, hat er bereits bei Auftritten der vergangenen Monate zu Genüge bewiesen – und lässt die Fans dennoch beeindruckt zurück.
„Zombie“ als krönender Abschluss
Den fulminanten Schlusspunkt setzt „Zombie“, ebenfalls auf der jüngsten Platte zu finden und eines ihrer erfolgreichsten Stücke. Das Musikvideo, für das er Schauspielerin Florence Pugh rekrutiert hat, erreichte auf YouTube in vier Monaten 16 Millionen Aufrufe. Der Song sorgte für einen grandiosen Abschluss einer Rockperformance, die – wie aus der Menge zu hören war – die Erwartungen der Fans mehr als erfüllte.
Im Mainstream angekommen
Wer Yungblud und seine Konzerte schon seit Längerem verfolgt, dem ist allerdings auch aufgefallen, dass sich nicht nur der Künstler verändert hat und gewachsen ist – auch die Crowd hat sich im Vergleich zu den Shows, die er noch vor drei Jahren spielte, gewandelt. Die Gesichter, die in die Glanzlichter der Bühne der Uber Eats Music Hall blicken, sind vielfältiger geworden, reflektieren mehr einen Schnitt der Gesellschaft als noch die Gigs vor wenigen Jahren, die eher raue Symbole jugendlicher Rebellion gegen Establishment, Konvention, Coolness und Anpassung als massenkonsumtaugliche Rockerlebnisse waren.
In der Berliner Menge zeigt sich: Yungblud ist als Künstler, Phänomen und Marke längst im Mainstream angekommen. Dass er sich zum Aushängeschild einer neuen Generation des Rock’n’Roll entwickelt hat, hat natürlicherweise mit sich gebracht, dass seine Musik auch für die Breite der Gesellschaft akzeptabel und zugänglich geworden ist. Der ein oder andere Fan, der Yungblud seit den Anfängen begleitet, mag den dornigen Krawall und den verzweifelten, aufmüpfigen Furor vermissen, für den ein jugendlicher Yungblud einstand. Seinem charismatischen, für Befreiung fechtenden Charakter und der revolutionären, zukunftsschreibenden Essenz des Rock’n’Roll ist Yungblud aber treu geblieben. Und am Ende ist es vielleicht nicht Yungblud, der sich an eine Mitte der Gesellschaft angepasst hat – vielleicht ist die Gesellschaft einfach mehr Yungblud geworden.



