Liste

Die 50 besten Jazz-Platten aller Zeiten


Von BadBadNotGood über Miles Davis bis hin zu Sun Ra: Hier ist die ultimative Jazz-Liste für Einsteiger und Experten.

Platz 30. Charles Mingus – The Black Saint & The Sinner Lady

Impulse!
1963

Ein Ballett in sechs Teilen – schon die Form ist ehrgeizig. Mingus wollte alles andere als eine normale Jazzplatte, ihm schwebte eine künstlerisch freie und möglichst körperliche Exkursion in die komplexe Welt der Beziehungen zwischen Mann und Frau vor. Zum großen Teil ist THE BLACK SAINT & THE SINNER LADY aber auch ein Stück Eigentherapie, Mingus’ Psychotherapeut schrieb ein paar Worte für die Liner Notes. Das Geniale an der Platte ist die Vielschichtigkeit der Kompositionen, die Wege von der Freude bis zur Verzweiflung, von der Harmonie bis zur Dissonanz sind verdammt kurz, die Musiker bauen ständig Brücken, erreichen dabei eine unglaubliche Intensität und Perfektion – auch dank der für diese Zeit ungewöhnliche vielen Overdubs. André Boße

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Platz 29. Albert Ayler Trio – Spiritual Unity

ESP
1965

In den 34 Jahren, die Albert Ayler auf der Erde zugebracht hat, bedeutete musikalische Freiheit für den Saxophonisten nicht in erster Linie kompromisslose Expressivität, sondern Interaktion und Kommunikation mit seinen Musikern und die Dekonstruktion simpler Melodien aus Folk und populärer Musik. Es ginge ihm um Gefühle, nicht um Noten, hat Ayler einmal gesagt. Auf SPIRITUAL UNITY agieren Bassist Gary Peacock und Schlagzeuger Sunny Murray nicht als Rhythmusgruppe im herkömmlichen Sinne, sie sind gleichberechtige Partner innerhalb eines musikalischen Kommunikationsnetzes, Bass und Schlagzeug spielen melodisch. Wie sich in „Ghost: First Variation“ aus der vermeintlichen Unordnung ein Basssolo entwickelt, das von Ayler mit einer Marschmelodie beantwortet wird, ist die hohe Schule des Avantgarde-Jazz. Albert Koch

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Platz 28. Billie Holiday – Lady sings The Blues

Clef
1956

Eines der großen Missverständnisse des Jazz: Die allermeisten denken an die Saxofonisten und Trompeter, die wenigsten an die Stimme. DIE Stimme, die gehörte Lady Day. Der Raffinesse der großen Instrumentalisten stand sie in nichts nach, selbst als sie 1956 schon merklich von den Exzessen ihres Lebens geschunden war: Rauer und noch leidender klingt sie auf LADY SINGS THE BLUES. Es ist die ehrlichste und verletzlichste Platte dieser ehrlichen und verletzlichen Sängerin, drei Jahre vor ihrem Tod schon zugrunde gerichtet, aber immer noch am Leben und im Besitz eines Tonfalls, dessen Mischung aus Weltschmerz und brüchiger Unschuld tief in die Brust sticht. Besonders beim finsteren Klagelied „Strange Fruit“ über die Lynchmorde an Schwarzen. Ein Song so schwer wie ein Todeskampf. Annett Scheffel

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Platz 27. Flying Lotus – You´re Dead!

Warp
2014

Irgendwo in den hektischen, frei assoziierten Soundkonstruktionen des kalifornischen Produzenten Steven Ellison alias Flying Lotus war der Jazz immer schon angelegt. So wie deutlich wie auf seinem fünften Album hat er sich aber nie zu seinem Jazz-Erbe bekannt (seine Großtante ist Alice Coltrane).

Auf YOU’RE DEAD! arbeitet er sich nicht nur am Tod als metaphysischem Abenteuer-Trip ab, sondern auch an jener Zeit der frühen 70er, als der Fusion-Jazz mit Davis’ BITCHES BREW und Hancocks MWANDISHI in seine hyperaktivste Phase eintauchte. Letzterer sitzt sogar höchstpersönlich am Fender Rhodes, wenn FlyLo den Fusion-Jazz jener Ära in einem irren Zeitraffer heraufbeschwört und ihn sogleich mit allerlei postmodernen Teilchen beschießt: IDM, HipHop, Beeps und 8-Bit-Beats.

Kendrick Lamar und Snoop Dogg rappen, Thundercat spielt den Bass, Kamasi Washington lässt sein Saxofon manisch heulen, und ständig ändert die Musik ihre Richtung. Diese verwirren- de, weil zugleich gespenstische und sonnendurchflutete, hysterische und spirituelle Hyper-Jazzwelt kann man auch als afrofuturistische Bestandsaufnahme auf Speed lesen. Flying Lotus beamt den Jazz damit aufs nächste Level. Annett Scheffel

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Platz 26. Herbie Hancock – Sextant

Columbia
1973

Es gab zwei Stimmen in seinem Kopf, erstens die Idee, wieder zurückzukehren zu seinen Wurzeln, zum Blue Note-Sound, der ihn Anfang der 60er-Jahre bekannt gemacht hatte. Zweitens der Impuls, die Arbeit mit Miles Davis als Beginn einer ganz neuen Phase zu betrachten, als Aufbruch in eine Art von Future-Fusion-Jazz. Hört man das erste Stück „Rain Dance“, wird klar, wofür sich Herbie Hancock entschied. Der Track startet kosmisch und entrückt, findet erst im Laufe der neun Minuten seinen Drive. Der Bandleader gönnt sich und seiner legendären Band viele Freiheiten, versteckt sich ein letztes Mal hinter seinem Pseudonym Mwandishi. Danach beginnt mit HEAD HUNTERS die funky Phase. André Boße

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Platz 25. Annette Peacock – I’m The One

RCA
1972

Im Grunde ist Annette Peacock eher eine furchtlose Avantgarde-Musikerin, als solche aber natürlich auch im Jazz verwurzelt: Von Albert Ayler beeinflusst, entwickelte sie ihr Konzept des „Free-Form Songs“, und sie war eine der ersten Frauen, die mit einem Moog-Synthesizer experimentierte. Ihr erstes Soloalbum von 1972 klingt, als hätte man die Headhunters in einem Spielzeugladen versteckt. Es ist funky, verspielt und voller verrückter Einfälle. Der entscheidende Track ist „Pony“ mit seinem kopfnickenden Beat, hunderttausend Mal im Hiphop gesampelt, aber auch im Original einfach unwiderstehlich. Chris Weiß

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Platz 24. Gabor Szabo – The Sorcerer

Impulse!
1967

Die Band übt sich ein wenig im Easy Listening zu Beginn („The Beat Goes on“), doch das fünfköpfige Ensemble um den aus Ungarn stammenden Gitarristen erspielt sich im Verlauf der Live-Platte einen Swing, der auch komplexe Motive eingemeindet. Gabor Szabo legt in diesen Aufnahmen vollkommen mühelos Verbindungslinien zwischen Gypsy Music, Latin, Folk, Beat und eher traditionellem Jazz. Und erhält herzlichen Applaus dafür im Club. Wenn die Popmusik ’67 neue Ufer erkundete, dann darf man Jazzern wie Szabo attestieren, dass sie in einer Art Crossover ihr Neuland gefunden hatten, weniger spektakulär, aber jeder Zeit elektrisierend. Frank Sawatzki

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Platz 23. John Coltrane – My Favourite Things

Atlantic
1961

Erstmals greift Coltrane hauptsächlich zum Sopransaxofon, gleich gewinnen die Tracks eine melancholische Dimension. Der Titelsong von Rodgers und Hammerstein stammt aus dem Musical „The Sound Of Music“, Coltrane und seine Band mit Piano, Bass und Drums tragen das Stück gefühlvoll in die Jazzwelt; sie gehen dabei so sensibel vor, dass es ein kürzerer Edit ihrer fast 14 Minuten langen Version sogar ins Radio schafft. Auch „Ev’ry Time We Say Goodbye“ von Cole Porter bietet einige Sentimentalitäten, das Album verkauft sich auch deshalb ausgezeichnet – aber ohne, dass die alten Fans kommerziellen Ausverkauf wittern. Dafür ist diese Einspielung viel zu genial. André Boße

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Platz 22. Donald Byrd – Black Byrd

Blue Note
1973

Nicht, dass es Donald Byrd damals wissen konnte, aber mit „Blackbyrd“ schuf er 1974 das Fundament, auf dem in den Neunzigern der Acid Jazz gedeihen konnte. Das Album ist Welten entfernt von den Hard-Bop-Alben, mit denen der Trompeter berühmt geworden war: Im Grunde ist es eine Kollektion von treibenden Funknummern, die mehr dem Einfluss der genialen Produzenten Larry und Fonce Mizell geschuldet sind, die sich Mitte der Siebziger den Ruf erarbeiten, Pionierarbeit auf dem Gebiet des Jazzfunk zu leisten (und Disco vorweg zu nehmen). Ihre Zusammenarbeit mit Donald Byrd ist besonders fruchtbar, und der gnadenlos groovende, supercoole „Blackkbyrd“ ist ihre Visitenkarte. Chris Weiß

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Platz 21. Eric Dolphy – Out To Lunch

Blue Note
1964

Die Veröffentlichung seines Meisterwerks im August 1964 erlebte Eric Dolphy nicht mehr. Er war zwei Monate vorher auf einer Tournee in Berlin mit 36 Jahren an nicht diagnostizierter Diabetes gestorben. OUT TO LUNCH gibt einen Hinweis darauf, wohin Dolphy den Jazz, den er innerhalb weniger Jahre revolutioniert hat, noch hätte führen können. Mit Freddie Hubbard (Trompete), Bobby Hutcherson (Vibraphon), Richard Davis (Bass) und dem 18-jährigen Tony Williams am Schlagzeug spielte Dolphy eine magische Musik, deren Magie besonders deutlich wurde, wenn er das Altsaxophon mit Flöte oder Bassklarinette tauschte. OUT TO LUNCH war nur noch lose im Bop verwurzelt und suchte die musikalische Freiheit weniger im Atonalen als vielmehr in ungewöhnlichen Rhythmen und Taktarten und dem Zusammenspiel der Musiker. Albert Koch

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