Liste

Die 50 besten Jazz-Platten aller Zeiten


Von BadBadNotGood über Miles Davis bis hin zu Sun Ra: Hier ist die ultimative Jazz-Liste für Einsteiger und Experten.

Platz 40. Matana Roberts – Coin Coin Chapter One: Gens De Colour Libres

Constellation
2011

Dies ist der erste Teil einer opulenten Erzählung über die Geschichte der Schwarzen in den USA, ein Drama über Versklavung und Befreiung, erzählt mit Schmerzen (hörbar bei „Pov Piti“) oder großem Gefühl wie bei „Lulla/Bye“, einem Spiritual mit beinahe jiddischen Harmonien, das dann wiederum übergeht in die zehn Minuten lange Avantgarde-Selbstbestimmung „I Am“. Matana Roberts singt mit unglaublicher Intensität und Emotionalität, spielt dazu ein herausragendes Saxofon und erschuf ein Album, das niemanden kalt lässt. Zwei weitere Teile gibt es zu entdecken – und das Projekt ist noch längst nicht auserzählt. André Boße

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Platz 39. Nils Petter Molvaer – Khmer

ECM
1998
Sensation, hieß es vor 20 Jahren, weil dieses Album auf dem ECM-Label veröffentlicht wurde. Aber war dieser Ausbruch in den Post-Modernismus nicht eher die Fortführung des experimentellen Geistes, der in den 70er-Jahren vom Jazz Besitz ergriffen hatte, ihn aber ebenso schnell wieder verlassen hat? Nils Petter Molvaer legte Ambient-Flächen, subkutan pulsierende Beats, weltmusikalisch-tribalistische Percussion, verzerrte Gitarren und Breakbeats unter sein Trompetenspiel, das reizvoll zwischen Lyrik und Expressivität pendelte. KHMER zeigte damals nicht nur, wie eng abenteuerliche Musiken zu dieser Zeit verzahnt waren, das Album war ein Lichtblick im Jazz der 90er-Jahre, der eher durch einen gewissen Wageunmut bestimmt war. Albert Koch

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Platz 38. Mulatu Astatke– Mulatu Of Ethiopia

Worthy Records
1972

Ein Solitär, der Mann. Die Bezeichnung Ethio-Jazz, die untrennbar mit ihm verbunden ist, soll auch auf seine Kappe gehen. Mulatu Astatke, in West-Äthiopien geboren, studierte in London und Boston, arbeitete später mit Musikern in New York zusammen. Seine Aufnahmen sind vom US-Funk der frühen 70er beeinflusst, sie tragen im selben Moment die Traditionen der äthiopischen Kirchenmusik und die auf der Pentatonik basierenden Melodien in den Kontext eines Jazz-Orchesters mit Bläsern, Flöten, Orgel und Vibraphon. Über die Strecke von nicht einmal 30 Minuten entsteht auf diesem Album eine Hybridmusik; melancholisch, laid back und mit afrokubanischen Anleihen. Jahrzehnte nach ihrer Veröffentlichung konnte sie auch ein größeres angloamerikanisches Publikum finden. Frank Sawatzki

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Platz 37. Ornette Coleman – Dancing In Your Head

A&M
1977

Seit Beginn der 70er-Jahre entwickelte Free-Jazz-Namensgeber Ornette Coleman ein Interesse für marokkanische Musik. Er reiste 1975 nach Marokko, um mit den Master Musicians Of Jajouka ein Album aufnehmen, das Projekt scheiterte aber wegen kommerzieller Bedenken des Labels. Übrig geblieben ist das vierminütige „Midnight Sunrise“ als Field Recording am Ende der Platte. Das Kernstück von DANCING IN YOUR HEAD, das zweigeteilte „Theme From A Symphony“, aber atmet den Geist der marokkanischen Musik. Auf einem repetitiv geknüpften Klangteppich lässt Coleman zum ersten Mal elektrische Gitarren und elektrischen Bass spielen. Es war die Geburt des Free Funk und die Geburt von Colemans „elektrischer“ Band, die er später Prime Time nennen sollte. Albert Koch

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Platz 36. Sun Ra And His Solar Arkestra – The Heliocentric Worlds Of Sun Ra, Vol. I

ESP
1965

Sun Ras langjähriger Saxophonist Marshall Allen hat seinen Bandleader einmal als eine Art Befehlshaber beschrieben, der den Musikern bei den Sessions vorgab, wie sie zu spielen hatten und ihre Rollen im Orchester immer wieder neu erfand, die Aufnahmen stoppte und Arrangements veränderte. “Wir standen nur da und fragten uns, was kommt als Nächstes?” – Allens Erinnerung an die HELIOCENTRIC-WORLDS-Sessions umreißt schon, was den Hörer später erwartet. Frappierend, wie sehr diese Musik ihre Richtung ändern, in ihr turbulentes Innerstes horchen lassen konnte. Bandleader Ra ist kaum am Piano zu hören, er konzentriert sich bei den Aufnahmen auf die Bass-Marimba und zelebriert mit den Saxophonisten John Gilmore und Pat Patrick das Spiel auf den Pauken, ein Theaterdonner, der ein- und aussetzt und die Musik so grundsätzlich aufwühlt. Die HELIOCENTRIC WORLDS OF SUN RA markieren den Moment im Werk des Multiinstrumentalisten und Afrofuturisten, in dem die Tonreihen sich von allen harmonischen Vereinbarungen lösen durften. Die musikalischen Einheiten drehten sich um ihre Sonne Ra. Ein kühner Entwurf ohne jede hymnische Unterstützung durch Sängerinnen und Sänger, ein in Klang gesetzter Zweifel, näher an Pierre Henrys und Maurice Béjarts ORPHÉE als am seinerzeit allgegenwärtigen John Coltrane. Und nach wie vor für die Ewigkeit. Frank Sawatzki

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Platz 35. Chet Baker – Chet Baker Sings

Pacific Jazz
1956

Das Biopic „Born To Be Blue“ mit Ethan Hawke als leidender Junkie-Jazzer fängt diese magischen Moment sehr schön ein: Chet Baker galt schon als gefallener Engel, da stellte er sich bei einer Session für alle überraschend und eher gekrümmt als gerade vors Mikro, ließ die Trompete unten – und sang. Seine Und zwar mit einer leisen und schwachen, beinahe ausdruckslosen Stimme, was im Jazz eigentlich nicht vorkommt, weil hier stets alle auf Hochleistung getrimmt sind. Chet Baker sieht hier seine letzte Chance. Und er nutzt sie. Denn genau diese Schwäche macht diese Songs so einzigartig: Wenn es draußen regnet, gibt es keine bessere Jazz-Platte. André Boße

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Platz 34. Max Roach – We Insist! Max Roach’s Fredom Now Suite

Candid
1960

Als sich der Jazz Ende der 40er-Jahre mithilfe von Charlie Parker vom Swing zum Bebop entwickelte, von der Tanz- zur Kunstmusik, wurde auch das Konzept „schwarze Musiker unterhalten ein weißes Publikum“ infrage gestellt. Jazz war politisch geworden, die afroamerikanischen Musiker entwickelten ein Bewusstsein für ihre Wurzeln in der von Segregation geprägten Diaspora USA. WE INSIST! von Schlagzeuger Max Roach war das starke erste musikalische Statement im Sinne der Bürgerrechtsbewegung. Roach schuf mit u.a. Tenorsaxofonist Coleman Hawkins und dem Trompeter Booker Little eine fünfteilige Suite aus stark perkussivem Avantgarde-Jazz mit gospeligen und afrikanischen Untertönen, die sich zwischen den letzten Ausläufern des Hard Bop und den Anfängen des Free Jazz positionierte. Und Sängerin Abbey Lincoln legte ihre ganze Wut in ihren Vortrag. Albert Koch

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Platz 33. Cecil Taylor – Air Above Mountains (Buildings Within)

Enja
1978

Als im März des Jahres der Pianist und Komponist Cecil Taylor im Alter von 89 Jahren in New York starb, starb mit ihm einer der letzten Protagonisten der ersten Generation des Avantgarde-Jazz. Die Nachrufer waren sich einig, den echten Taylor hat man nur live erleben können, wie er mit ganzem Körpereinsatz über die Tasten derwischte, die er wie ein Percussion-Instrument bearbeitete. In der Taylor-Rezeption kam immer zu kurz, dass er ein wahrer Vertreter des „Third Stream“ gewesen ist, einer der die Grenzen zwischen Jazz und zeitgenössischer klassischer Musik aufgehoben hat. Dafür steht dieses Album ganz besonders, eine Live-Aufnahme vom August 1976 aus Österreich, ein 51-minütiges Stück für Solopiano. Taylor tastet sich ganz langsam und ruhig auf dem Piano vorwärts, bevor er in seinem Element ist, die Finger Kapriolen schlagen und Klangmuster von höchster Intensität aus dem Piano holen. Albert Koch

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Platz 32. Charles Mingus – Pithecanthropus Erectus

Atlantic
1956

Der Bassist und Bandleader Charles Mingus war einer der bedeutendsten Komponisten des Jazz und ein Verfechter der Kollektivimprovisation. Der Mingus-Sound positionierte sich irgendwo zwischen der Tradition von Duke Ellington, dem Mingus sehr verbunden war, und dem Free Jazz der späten 50er-Jahre. Auf diesem frühen Meisterwerk ist exemplarisch zu hören, wie Mingus – mit Jackie McLean (Altsaxofon), J.R. Monterose (Tenorsaxofon), Mal Waldron (Piano) und Willie Jones (Schlagzeug) – mit der Tradition umgeht (George Gershwins „A Foggy Day“) und gleichzeitig die Brücke in den experimentellen Jazz schlägt, dessen radikale „Freiheit“ er erahnte, aber nie für seine Musik beanspruchte. Albert Koch

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Platz 31. Duke Ellington –Blues In Orbit

Columbia
1960

Duke Ellington und seine Musiker waren Ende der 50er-Jahre ständig unterwegs, Pausen gab es nur wenige. Es wird daher eine besondere Erholung gewesen sein, als sich die Musiker an einem Winterabend in New York zu nächtlicher Stunde im Studio trafen und diese Tracks aufnahmen. BLUES IN ORBIT ist kein intellektuelles Werk, eher das Resultat überaus entspannter Sessions, bei denen sich Duke Ellington und Orchester der besonderen Atmosphäre der Nacht hingaben. Besonders das Titelstück entwickelte sich schnell zu einem unverzichtbaren Klassiker aller Nachtprograme im Radio. André Boße

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