Interview: Christin Nichols über „Today I Choose Violence“ und Sexismus in der Kulturbranche


Die deutsch-britische Musikerin und Schauspielerin Christin Nichols, die auch Teil des Duos Prada Meinhoff war, hat kürzlich ihre neue Single „Today I Choose Violence“ veröffentlicht: Ein brillantes, wütendes Rockstück, das den Sexismus unserer Kulturwelt ins Visier nimmt. Wir sprachen mit ihr über den Song und die Dinge, die man(n) ändern muss.

Ein stoischer Bass, wavige Gitarren, ein aggressiver Drumbeat – und darüber zitiert Christin Nichols ein „Worst-of“ jener Sätze, die sie sich in den letzten Jahren als Frau in der Kunst- und Kulturwelt anhören musste. Im Refrain switched die Deutsch-Britin dann ins Englische: „Today I choose violence“. Sie hat hörbar keinen Bock mehr Typen zu erklären, wie sie weniger sexistisch sein können, denn: „You’re not even trying.“ Was den Song dabei so stark macht: Hier geht es nicht um die Herren vom CSU-Stammtisch, sondern um die eigene Kulturwelt, die ja gerade überall sehr woke und feministisch auftritt, das aber nicht immer wirklich einlöst. Wir haben ihr ein paar Fragen zum Song gestellt.

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Erst einmal: Super-Song und Super-Titel. Die Strophe ist ja sozusagen ein Worst-of an bevormundenden, sexistischen, mansplainenden Kommentaren. Mir fiel aber auf, dass da viele Kommentare von Männern dabei zu sein scheinen, die sich feministisch geben und augenscheinlich im Kern doch noch Chauvis sind. Alle tun woke und feministisch, aber verhalten sich nicht so. Warum diese bewusste Entscheidung, genau diese Ausprägung des Sexismus in Angriff zu nehmen?   

Danke! Ja die Zitate sind leider alle echt. Ich konnte auch kaum glauben, was sich da alles angesammelt hat. Und um ehrlich zu sein, könnte ich schon ein „Today I Choose Violence 2“ machen – mit den Aussagen, die mir viele Menschen aufgrund ihrer Erlebnisse zugesandt haben seit der Veröffentlichung. Ich glaube, es ist schon grundsätzlich oft ein Wille da oder das Bestreben, kein absichtlich schlechter Mensch zu sein. Aber das erfordert eben, sich selbst und die Strukturen, die man verinnerlicht hat, wirklich zu hinterfragen. Das kann schmerzhaft sein – zu realisieren, dass man eigentlich nur oberflächlich feministisch handelt und in Wirklichkeit eben doch Teil des Problem ist.

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Du bist Sängerin und Schauspielerin – und in einem Umfeld, wo man eigentlich die Hoffnung hätte, dass man(n) schon weiter ist. In wieweit speist sich die Wut aus diesem Umfeld?

Ich lebe in einer Künstlerbubble in Berlin. Meine Freunde sind allesamt schon empathisch und versuchen, so wie ich, die ja auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, dazu zu lernen und sich zu hinterfragen. Aber auch in dieser Szene, wie in der ganzen Welt, gibt es Mackertum, Ausgrenzung, internalisierte Homo- und Transfeindlichkeit. Bei allen Geschlechtern. Nicht nur, wenn ich zurück aufs Dorf fahre, aus dem ich komme, wobei es dort wirklich schlimmer ist. Ich wünsche mir hier und da – besonders in Kunstsparten „wo es ja immer schon so war“ – es würde nicht nur Offenheit und Hedonismus auf den Plakaten proklamiert, sondern wirklich gelebt werden. Solange man sich aber selbst so wohl fühlt in seiner Denkweise, wird sich vermutlich nur an der Oberfläche etwas ändern. Weil man vermeintlich keine Probleme erkennt, dann man hat sie ja nicht selbst, man ist nicht persönlich betroffen. Ich denke manchmal: Wir sind auf einem guten Weg. Aber leider scheint mir, je offener und freier und stärker eine LGBTIQ+ Bewegung oder auch FLINTA werden, umso mehr Angst und Hass schürt das auf einer Gegenseite, die eigentlich keine sein sollte, die es in meiner perfekten Welt nicht geben würde. Ein Leben in Freiheit und Gleichberechtigung darf kein Privileg sein.

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Ich fand vor allem spannend, dass du dann noch ins Englische wechselt – was für mich ein wenig klingt wie eine Verneigung an Bands und Musikerinnen, die in der Rockmusik Vorkämpferinnen waren. Warum dieses Zweisprachige?

Ich bin Deutsch-Britin. Bünde-Beeston. Ich switche auch im Privaten immer wieder hin und her. Auch wenn das vielleicht jetzt eine langweilige Antwort ist, aber ich denke eben in beiden Sprachen. Das ist der ganz einfache Grund. Natürlich liebe ich Bands wie L7 – Jennifer Finch ist seit vielen Jahren eine gute Freundin von mir (ich kneif mich grade selber) – ich liebe Shirley Manson, Kim Gordon, Peaches, Poly Styrene, Joan Jett, Debbie Harry, Nico, Karen O und Suzie Quattro etc.

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Da ich jetzt auch wieder hier als mittelalter Dude Fragen stelle, der in der Branche jahrelang davon profitiert hat ein Mann zu sein (wenn es zum Beispiel darum ging, bestimmte Posten zu kriegen, ob ich das jetzt wollte oder nicht). Was müssen Typen wie ich tun, damit endlich gleichberechtigtes Arbeiten möglich ist, in einer Branche, in der die spannendsten kreativen Impulse der letzten Jahre ja eh von Frauen kamen? 

Chill, lehn dich zurück, die werden sich schon alle wieder beruhigen die Weiber… haha. Spaß. So einfach ist es halt nicht. Und nochmal: Ohne die große Lösung für ein sehr komplexes Problem zu kennen: Selbstreflektion ist ja schon mal ein Anfang. Ich verspreche dir, es wird erstmal noch weniger einfach. Denn um wirklich etwas zu ändern, braucht man Zeit, Kraft und Mut. Und man macht Fehler und dann lernt man draus. Ich ja auch. Zuhören ist gut. Und dann mit deinen Kumpels drüber reden. Es ist einfach, als weiblich gelesener Mensch nicht meine Aufgabe, Männern – wenn wir rein bei dem topic bleiben wollen – zu educaten. Aber wenn jemand wirklich dazu lernen will – mit dem Wissen (und da schließe ich mich ein), dass da noch viel Luft nach oben ist – da freue ich mich sehr.

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„Today I Choose Violence“ ist nach „Neon“ und „Sieben Euro Vier“ die dritte Single aus dem für den Spätsommer geplanten Solo-Album „I’m Fine“. Darauf sind außerdem zu hören: Simeon Cöster (Isolation Berlin), Anika (Beak>), Martin Steer (Frittenbude), Meghan Wright (Shybits).