Jeder Song ist der letzte Song


Als das britische Duo Goldfrapp vor fünf Jahren sein Debüt Felt Mountain herausbrachte, wähnte man sich als Hörer wie Frau Holles Goldmarie im Goldregen. Märchenhafte Sounds, die Licht, Luft und Weite verhießen. Das folgende Album Black Cherry war gewissermaßen das komplette Gegenteil. Sängerin Alison Goldfrapp und ihr musikalischer Partner Will Gregory preßten sich in ein düsteres Electro-Korsett, das streckenweise an Giorgio Moroder erinnerte. Auf dem neuen Album supernature verzichtet das Duo auf einen abermaligen Bruch. Goldfrapp haben ihre Klangsprache gefunden. Will Gregory erklärt, warum.

Eure ersten beiden Alben folgten jeweils einem klaren Programm, supernature hingegen klingt eher wie die Bestätigung eines bewährten Goldfrapp-Konzepts.

will Gregory: Auf Felt Mountain schrieben wir zuerst den ersten und den letzten Track und mußten dann dazwischen auffüllen. Black Cherry war ein programmatischer Kurswechsel. Wir wollten mit Beats arbeiten, rockiger und zugleich minimalistischer werden. Auf der dritten CD hatten wir nun das Bedürfnis, den Weg der zweiten fortzusetzen. Wir wollten weiterhin Beats verwenden und mit dem Minimalismus etwas weiter ins Extrem gehen. Mich interessierte die Frage, wie weit man eine einzige Note ausbeuten kann. Wir können auf dem aufbauen, was wir schon geschaffen haben, und fühlen uns mit unserem Vokabular so sicher, daß wir nicht ständig neue Territorien erschließen müssen. Hätte es nicht diesen Bruch zwischen der ersten und zweiten CD gegeben, wüßten wir viel weniger, wohin wir gehören.

Auf der ersten Hälfte des neuen Albums schließt ihr ja unmittelbar an Black Cherry an, aber dann kehrt ihr vorsichtig zu Elementen von felt Mountain zurück.

Sowie wir die Drums weglassen, schaffen wir wieder diese cinematischen Landschaften. Auch das ist ja nach wie vor Teil unserer Sprache. Insofern kann man vielleicht sagen, die CD kombiniert Elemente der beiden Vorgänger. Der Beat-Aspekt überwiegt, aber der Gesang ist etwas lyrischer, verträumter und intimer. Aber das war nicht wirklich geplant. Wir haben uns jeweils der Stimmung untergeordnet, die wir im jeweiligen Moment interessant fanden.

Die elektronischen Sounds des neuen Albums erinnern zwar stark an die Achtziger, aber der Gesang scheint viel mehr mit den Siebzigern gemein zu haben.

Wir haben immer die Direktheit und Roheit im Klang von Synthesizern gemocht. Kombiniert mit sanften Stimmen, erzeugen sie Spannung. Innerhalb dieser Spannung haben wir versucht, Gegensätze herauszuarbeiten. Selbst auf der ersten Platte stellten wir die Synthesizer schon dem weichen Klang eines Streichorchesters gegenüber. Manchmal ist es sinnvoll, im Spiel mit konträren Klischees etwas Neues rauszukitzeln. Wir selbst sind ja auch ziemlich gegensätzlich.

Wo begann eure Arbeit an supernature?

Am Anfang hatten wir die Songs „U Never Know und „Ride A White Horse“. Einfache, rockige Disco-Nummern. Unsere Haltung war da wohl schon, den Weg des zweiten Albums fortzusetzen, vielleicht noch schneller zu werden. Dann schraubten wir hier ein wenig nach links, dort ein wenig nach rechts, probierten Songs ohne Drums. Was immer dabei rauskommt, macht uns dankbar. Plötzlich verändert sich die Perspektive, und man erhält etwas, das man so nicht erwartet hat. Vieles entsteht, wenn wir improvisieren und jammen. Anfangs haben diese Dinge wenig miteinander gemein. Erst am Ende beginnt man die Beziehungen zwischen den Songs zu sehen. Ein Drittel des Materials, das wir aufgenommen hatten, war uns am Ende nicht gut genug. Es war für uns eine völlig neue Erfahrung, uns nicht nur für, sondern auch gegen bestimmte Dinge entscheiden zu müssen.

Fühltet ihr euch nicht versucht, eure Grenzen genauso zu erweitern wie nach der ersten Platte?

Vielleicht wird das auf der nächsten Platte wieder passieren. Aber auf Black cherry hatten wir noch nicht alles gesagt, was wir zu diesem Thema hätten sagen können. Nach Felt Mountain versuchten wir, Songs in derselben Stimmung zu schreiben. Wir mußten, denn unsere Shows dauerten gerademal 50 Minuten, und die Leute wurden deshalb sauer. Doch am Ende der Tour mochten wir diese neuen Songs nicht, weil sie nicht so stark wie jene auf dem Album waren. Wir hatten auf Felt Mountain offenbar alles gesagt, was zu sagen war.

Beginnt ihr erst über ein neues Album nachzudenken, wenn ihr ins Studio geht, oder schon vorher?

Es fällt uns schwer, kollektiv über das Schreiben konkreter Songs nachzudenken, bevor wir tatsächlich damit beginnen. Wir können uns theoretisch darüber unterhalten, aber das ist etwas anderes, als dann in einem Raum zusammenzuarbeiten. Insofern ist es für uns immer ganz wichtig, etwas gemeinsame Zeit zu finden. Als wir uns für das zweite Album trafen, hatten wir keinerlei Idee, wie wir beginnen sollten. Songs zu schreiben, verlangt jedoch nach einer gewissen Kontinuität und damit verbundenen Selbstsicherheit. Es besteht ja sowieso immer das Risiko, daß man nie weiß, ob man jemals wieder einen Song schreiben kann. Auch ein Schriftsteller muß ständig Aufzeichnungen machen, um seinen Motor am Laufen zu halten.

Fühlt sich insofern jeder Song, den ihr schreibt, wie euer letzter Song an?

Genauso ist es. Das ist nicht so frustrierend, wie es klingt, aber ein wenig beängstigend. Der ganze Prozeß des Plattenmachens ist ohnehin ein wenig furchteinflößend. Je weiter man in diesem Prozeß fortgeschritten ist, desto entspannter sieht man alles. Selbst wenn einmal alles zum Erliegen kommt, weiß man, daß es irgendwann wieder in Bewegung gerät. Vor dem ersten Album hingegen wußten wir nicht einmal, daß wir überhaupt Songs schreiben können. Wir konnten kaum Strophe und Refrain auseinanderhalten.

Habt ihr statt dessen Farben und Bilder im Kopf, wenn ihr die Songs schreibt?

Wenn man zu zweit Lieder schreibt, muß man irgendwie kommunizieren. Die Sprache ist aber in Bezug auf Musik sehr limitiert. Uns steht nicht viel mehr als „laut“, „leise“, „hart“, „weich“, „langsam“, „schnell“ zur Verfügung. So bleibt uns gar nichts übrig, als auf visuelle Nebengleise auszuweichen. Das müssen nicht nur Farben sein. Manchmal sind auch Filme, Landschaften, Gesichter oder Tiere hilfreich.

Funktioniert die neue Platte ähnlich den beiden ersten wie eine in sich geschlossene Welt, oder ist sie mehr eine offene Kollektion von Songs?

Manche der Songs gehören enger zueinander als andere. Aber manchmal erzählen gerade die gegensätzlichsten Lieder die ähnlichsten Geschichten. Die ganze Platte besteht aus Variationen über ein Thema. Dieses Thema ist AHsons Stimme. Mal definiert die Musik die Stimme, mal ist es umgekehrt. In jedem Song werden die Positionen neu verteilt. Das ist wohl der rote Faden.

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