Paulas Popwoche: Über Lily Allen, Madeline & mehr Zusammenhalt
In Paula Irmschlers Kolumne geht’s um Lily Allen, Madeline & warum Unity wichtiger ist als je zuvor.
Das hundertste Trennungsalbum der letzten Jahre ist draußen, diesmal von Lily Allen (WEST END GIRL). Ich will gar nicht zu viel darüber reden, weil das zu unangenehm ist. Nicht das Album – das ist super –, sondern die offensichtliche Geschichte dahinter. Die hundertmillionste Schweinerei eines Mannes. Ich kann das nicht mehr. Get your shit together, Typen, und lernt zu lieben! So viel dazu.
Stattdessen denke ich an die Frauen dahinter und davor – an Lily und Madeline, an Dolly und Jolene, an Beyoncé und Becky und an dich und mich. Denn bevor jetzt alle wieder beschwören, dass man nur allein vorankommt (wohin auch immer) und weniger fühlen soll und sich so arschlochmäßig verhalten soll wie viele Männer: HALT, STOP! Wir waren genug allein. Wir lassen uns zu viel trennen und vereinzeln.
We are all together
Madeline, komm ran! Du machst jetzt bei uns mit. Du bist komplex, und ich bin komplex – and we are all together.
Solange ich mich erinnern kann, wurden wir dazu angehalten, uns aufzuteilen. Anfangs betraf das noch alle: Lieblingsfarben, Klasse a, b oder c, Fußballvereine. Doch für Mädchen ging es, sobald es ernst wurde, immer darum, welche Version man sein kann, um Jungs – und leider auch Männern – zu gefallen. Und es ging immer um viel mehr als „Madonna“ oder „Whore“, wie auf dem Album von Lily Allen.
Wer bist du?
Man konnte die Schlaue, die Coole, die Beliebte, die Sportliche, die Tussi, die Schlampe, die Dicke, der Kumpel, die Wilde, die Zicke, die Traumfrau und noch ein paar weitere Sachen sein. In den BRAVO-Tests konnte man herausfinden, welcher Typ man ist, und dann bei H&M Geld ausgeben – bis man wieder was anderes war oder sein sollte. Und es hörte nicht auf: Welches GIRL bist du denn? Was kann man dir verkaufen, wie kann man dich beherrschen? Guck hin und reihe dich ein: Welche bist du bei Sailor Moon, bei den Spice Girls, bei „Sex and the City“, welche Pornokategorie? Sei ein Genre. Und in den sozialen Medien geht es – neben Diagnosen und Sternzeichen – immer weiter um Identifikation: Mit welcher Sängerin identifiziert man sich? Welche ist am authentischsten? Wer repräsentiert dich? Bist du eher Taylor oder Charli? Uaaaah. Stopstop.
Lilith Fair
In den 90ern wollten sich Frauen im Pop schon einmal nicht mehr gefallen lassen, dass sie wie Geschmacksrichtungen verkauft werden. Daraus entstand etwas Fantastisches, ins Leben gerufen von Sarah McLachlan: Lilith Fair, eine dreijährige Festival-Tournee durch die USA mit ausschließlich weiblichen Künstler*innen. Der Hintergrund: Viele Veranstaltende wollten nicht mehr als eine Frau buchen, weil es ja „nur eine geben kann“ (Heidi-Klum-Voice). Also buchte McLachlan SIE ALLE: Fiona Apple, Tracy Chapman, Paula Cole, Sheryl Crow, die Indigo Girls, Morcheeba, Dido, Liz Phair, Missy Elliott, Erykah Badu, Queen Latifah, die Dixie Chicks, Christina Aguilera, Nelly Furtado und so weiter – immer weiter.
Über diese Konzerte und alles Drumherum gibt es jetzt eine tolle Doku (bei Disney+):
Und sie ist so wholesome: Man sieht unzählige Frauen aus allen möglichen Genres – Künstlerinnen, die füreinander einstehen, diskutieren, sich gemeinsam um ihre Kinder kümmern und sich mit blöden Journalisten und „Lebensschützern“ anlegen. UNITY.
Zur gleichen Zeit, beim Woodstock ’99 – dem Männerfestival mit Limp Bizkit und Konsorten –, wurden Frauen belästigt und vergewaltigt, und das Gelände wurde sinnlos zerstört.
Trotz ihrer Vielfalt wurden die Frauen vom Lilith Fair natürlich mit der Brechstange in Schubladen gesteckt: weich, lesbisch, männerhassend, Abtreibungsfans. Aber wo ist da der Diss?!
Auch Brandi Carlile war dabei – bei der Neuauflage des Festivals 2010. Da ich mich erst seit Kurzem mit ihr beschäftige, bin ich erst jetzt auf einen Song gestoßen, an dem sie beteiligt war, von den „Highwomen“. Ein Lied, das mir neuerdings den Weg leuchtet.
„Let us take on the world while we’re young and able / And bring us back together when the day is done.“
Als Kollektiv
Ja, alle zusammen! Nicht einfach nur als Ergänzung, als verschiedene Komponenten eines Blumenstraußes, sondern als Kollektiv, das gemeinsam etwas auf die Beine – und auf die Bühne – stellt. Nicht individualistisch, nicht für den Erfolg Einzelner, nicht für die Kohle, sondern für die Kunst, für die Frauen, für alle.
Wir wollen nicht wie Róisín Murphy sein und nichts von David Harbour lernen. Wir sind füreinander das Red Bandana Girl beim Billie-Eilish-Konzert.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.



