Rastaman Vibrations


Dreadlocks, Jah und riesige Spliffs - soweit die Klischees. Was aber steckt wirklich hinter der Religion der Rastafari?

Zwei Dinge sind essentiell für das Verständnis des Rastafarianismus; Die schwarze Bevölkerung hat in der Neuen Welt, vor allem in den Vereinigten Staaten, Jahrhunderte lang in Sklaverei gelebt und kämpft trotz deren offizieller Abschaffung 1865 bis heute um Gleichstellung und Gleichberechtigung. Dazu wurden bis tief in das 20. Jahrhundert hinein zahlreiche afrikanische Völker von weißen Kolonialmächten unterjocht, und auch das Ende des südafrikanischen Apartheid-Regimes liegt noch keine 20 Jahre zurück. Der zweite Punkt-. Die Ursprünge der Rasta-Religion liegen auf der karibischen Insel Jamaika, die seit Beginn des Sklavenhandels als einer der zentralen Umschlagplätze für die aus Afrika importierte menschliche Ware fungierte. Kein Wunder also, daß der jamaikanische Journalist und Gesellschaftskritiker Marcus Garvey (1887-1940= zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit seiner Vision von einer Rückkehr der schwarzen Bevölkerung in die afrikanische Heimat auf fruchtbaren Boden stieß. Frust, Wut und Minderwertigkeitsgefühle seiner Rassenbrüder und -Schwestern saßen schließlich tief. Im Jahr 1914 gründete Garvey die United Negro Improvement Association (UNIA-ACL), in der er alle Schwarzen der Welt vereinigen wollte. Somit gilt Garvey, der auch in New York und London politisch arbeitete, als Begründer der so genannten „Back to Africa“-Bewegung. Die zentralen Ereignisse, die den Anstoß zur Entstehung der Rastafari-Religion gaben, geschahen jedoch in Afrika. 1928 wurde in Addis Abeba Haile Selassie I. (1892-1975) zunächst zum König und zwei Jahre später, am 2. November 1930, zum Kaiser, Negus Negesti („Herrscher der Herrscher“), von Äthiopien gekrönt. Damit war der Mann, der mit bürgerlichem Namen Ras Tafari Makonen hieß, der 323. Nachfolger des biblischen Königs Salomon und in den Augen seiner Anhänger der neue „Löwe von Juda“.

Marcus Garvey hatte bereits 1927 die Krönung eines schwarzen Königs in Afrika angekündigt. Nachdem das Ereignis eingetreten war, begannen viele Schwarze in Haile Selassie den auf die Erde wiedergekehrten Jesus Christus zu sehen und den äthiopischen Kaiser wie einen Gott zu verehren. Daraufhin formierte sich in den dreißiger Jahren die Rastafari-Bewegung. Ihre Ideen gründen sich auf die Bibel, wobei die Offenbarung des Johannes im Neuen Testament mit der Ankündigung des Sturzes von Babylon eine zentrale Rolle spielt. Die Wertvorstellungen der westlichen Welt lehnt die Bewegung grundsätzlich ab. Bald versuchten viele Rastafari Garveys Idee von einer Rückkehr der Schwarzen nach Afrika in die Tat umzusetzen. Als „gelobtes Land“ galt ihnen Äthiopien, der neben Liberia einzige afrikanische Staat, der nie kolonialisiert wurde und sich im Abessinien-Krieg (1935-1941) erfolgreich gegen eine Eroberung durch Benito Mussolinis Italien wehrte. Später stellte Äthiopien sogar Land zur Besiedlung für „heimgekehrte“ Schwarze aus dem Westen zur Verfügung. Zum wichtigsten Führer des jungen Rastafari Movements wurde in den späten dreißiger Jahren der von seinen Anhängern „Gong“ genannte Leonard Percival Howell. Er gründete auf Jamaika 1940 die erste Rasta-Gemeinde, die bald 4.000 Mitglieder zählte, so etwas wie einen gesellschaftlichen Gegenentwurf darstellte und den weißen Herren auf Jamaika folglich ein Dorn im Auge war. Prompt litt die Enklave immer wieder unter den Schikanen der Obrigkeit, wurde zeitweise geschlossen, und Howell landete sogar im Gefängnis. 1954 wurde das von seinen Bewohnern „Pinakel“ genannte Areal endgültig geschlossen. Mit weit reichenden Folgen: Die dort lebenden Rastas waren nun nicht mehr isoliert, sie lebten jetzt in den Armenvierteln der Stadt und dort fand ihre junge Religion schnell weitere Anhänger.

Ende der fünfziger Jahre war die Rastafari-Bewegung zum Sammelbecken geworden für Tausende von armen Sufferahs. Einen weiteren Schub erhielt der Rastafarianismus, als Haile Selassie im April 1966 zum Staatsbesuch nach Jamaika reiste. Das Empfangskomitee auf der Insel leitete der prominente Rastaführer Mortimo Planno, der in den folgenden Jahren zum persönlichen Lehrer und spirituellen Ratgeber von Bob Marley wurde. Für dessen Entwicklung zum bekennenden Rasta war Planno mitverantwortlich. In den siebziger Jahren wurde die Religion durch den weltweiten Erfolg des Reggae gerade bei westlichen Jugendlichen zur Mode. Durchaus zum Leidwesen echter Rastas: Der tiefe Glaube an Jah ist ihnen das Wichtigste. Alles andere ist zweitrangig, auch die Hautfarbe – weiße Rastas sind akzeptiert. Auch Dreadlocks, die einen Ausdruck von Naturverbundenheit darstellen sollen, sind kein Muß. Den Genuß von Tabak und Alkohol lehnen Rastas ab. Marihuana rauchen sie nur aus Gründen der Meditation, dazu ernähren sie sich ohne Salz und tierische Produkte. Die Religion ist kaum institutionell organisiert, weshalb sich ihre Mitgliederzahl nur sehr schwer schätzen läßt.