Radiohead

OK Computer OKNOTOK 1997 2017

XL Recordings/Beggars/Indigo

Die Erklärung des Art Rock zum Mainstream. Oder: Wie die Briten im Zerfransen und Hymnisieren uns Zukunft schenkten.


Wer die Website von Radiohead öffnet, landet unversehens im Jahr 1997. Ein Klick auf das Cover von OK COMPUTER führt zu zwei Optionen, die zweite hilft bei allen Kaufentscheidungen bezüglich OK COMPUTER OKNOTOK 1997 2017, der Jubiläumsausgabe des Meisterwerks der Briten, das als Boxed Edition, Vinyl, CD und Download feilgeboten wird. Da muss man sich durcharbeiten, zu einer persönlichen Wertschätzung inmitten von Preisen und Leistungen gelangen: Deluxe-Ausgabe mit dem remasterten Original-Album plus acht B-Seiten und drei bisher unveröffentlichten Tracks auf drei 12-Inches, Skizzenbuch, Hardcover und Kassette (erst ab Juli erhältlich) oder doch „nur“ die Musik auf schwarzem Vinyl?

Als die zwölf Radiohead-Songs veröffentlicht wurden, war das Internet ein Spielzeug von ein paar Freaks im Silicon Valley, und der Computer, der persönliche, musste weiter verbreitet, kleiner und handlicher werden. Gerade war der Startschuss für die Amtszeit von Tony Blair gefallen, das mit Spekulationen aufgeladene Millennium rückte näher. OK COMPUTER kommt einer Momentaufnahme dieser Tage nahe, einer Meditation über Illusionen und Verwerfungen, vorgetragen im kryptischen Argot des Thom Yorke, im säuselnden Singsang des kommenden Superstars. Wir erneuerten unsere Liebe zum Progrock, wir nahmen Mixtapes mit den Radiohead-Hits „Karma Police“ und „No Surprises“ auf und jubelten uns doll und dämlich.

Fan beweist: Radioheads „OK COMPUTER“-Artwork zeigt wirklich ein Autobahnkreuz in Hartford, Connecticut
OK COMPUTER machte 1997 vieles anders, als wir das von einer Rockplatte und von einem neuen Album der Band erwarten konnten, die mit der Hymne „Creep“ den Grunge irgendwie ins Englische übersetzt hatte. Die Identifikationsfigur des Antihelden war mit dem Ausverkauf des Grunge ebenso verschwunden wie das Kampfgetöse aus dem Britpop-Battle Mitte der 90er. Auf der frisch entstandenen Freifläche breiteten Radiohead eine komplexe Idee von Rock und Pop aus, die sich mit den harten Enden der Elektronik, mit Extra-Dosen von Emotion und einem Blick zurück auf das, was einmal progressiv war, verband: mehr Tasteninstrumente, Taktwechsel, paralysierende Bilderwelten, wohin wir schauten. Und am Ende von „Paranoid Android“ singt Thom Yorke: „God loves his children“. In den sechs Minuten davor führt der Sänger sein Publikum durch eine sich fortwährend wandelnde Klangwelt, in die Mords-Gitarren einbrechen, als wollten sie doch noch einmal die feindliche Übernahme des alten Affen Rock versuchen, gefolgt von sakralen Chören und sich entschleunigenden Beats. Das war das eine Ende dieses Regenbogens, am anderen stand der Indie-Schmuser des Jahrzehnts, „No Surprises“. „I Promise“, einer der drei neu dazugekommenen Tracks, ist ein Heuler aus derselben Gewichtsklasse. Mit „Lift“ tritt jetzt auch ein Fan-Liebling aus den Live-Sets an die Oberfläche, ein aufreizend schönes Lied mit singenden Synthesizern – durchaus auf „Augenhöhe“ mit dem lebensrettenden Albumstarter „Airbag“.

Ein Rettungskommando waren Thom Yorke, Ed O’Brien, Phil Selway, Jonny und Colin Greenwood damals in mehrerlei Hinsicht: Sie beförderten den Zusatz „Art“ in den Katechismus des orientierungslosen Mainstream-Rock, zerfransten und hymnisierten im selben Moment. Es wurde viel über die Prophezeiungen Thom Yorkes auf OK COMPUTER geschrieben, sie verhandeln durchaus die Konditionen, unter denen wir leben. Ja, die total vernetzte Welt hat uns so ganz nebenbei auch einen Gutteil Sicherheit geraubt und vollkommen entsinnlichtes Amüsement geschenkt. Die alte Angst der Kulturlinken. Davor sei aber diese Musik, sie spielt aus einem Guss, die B-Seiten und die „neuen“ Tracks fügen sich wie die zweite Platte eines Doppel-Albums nahtlos ins Set. Als wär’s nie anders gewesen.

„… Somit ist OK COMPUTER zunächst gewöhnungsbedürftig. Dann aber setzt die Langzeitwirkung ein – und die Ahnung, dass Radiohead noch mal ganz groß werden könnten.“ – ME 1997