Singles

Mensch, „The Great Commandment.“ Das war damals schon ein großer peinlicher Lieblingssong. Und wenn Marcus Meyn auf der neuen Camouflage-Single „I Can’t Feel You“ (Polydor/Universal) zum „Houuuuuuld on now“ anhebt, ist man wieder zu Hause. In den achtziger Jahren. Bei wallenden Sequencern. Bundfaltenhosen. Komischen Frisuren. Übergewichtigen Bundeskanzlern. Depeche Mode. Die hatten auch mal einen Song, der so ähnlich hieß wie „I Can’t Feel You“.

Liebe 3. Generation, Kindesmisshandlung ist schlecht. Rechtsradikale sind schlecht. Anschläge auf Asylantenheime sind schlecht. Pädophilie ist schlecht. Mord an kleinen Kindern ist schlecht. Toll, dass ihr das wisst. Toll, dass ihr auch ein Lied darüber macht, damit eure Hörer künftig auch wissen, „Was passiert“ (Polydor/Universal).

Zu meiner Zeit war Lichtenfels noch eine Kleinstadt, ungefähr 20 Kilometer südöstlich meiner Neighbourhood, in der manchmal ziemlich toffe Konzerte stattfanden (Alien Sex Fiend, Motörhead) und in der der Dialekt noch gruseliger anzuhören war als 20 Kilometer weiter nordwestlich. Heute ist Lichtenfels eine „Techno-Hitschmiede“ aus Hamburg, in der „Sounds Like A Melody“ (WEA) von Alphaville – auch ein verdammt großer peinlicher Lieblingssong aus den achtziger Jahren – eine rumpelnde Dj-Boboisierung erfährt. „The DJs wanna rock your ass“, sagt einmal einer aus der Hitschmiede. „No thank you“, sagen wir.

Hmm, da muss wohl jemand langsam seine gut gepflegten Vorurteile über Paul McCartney hinterfragen. Wenn alle Abgänger seiner Liverpooler Musiklernschule so sind wie Liam Lynch, kann Sir Paul ja ein soooo schlechter Mensch nicht sein. Lynch, neben McCartney-Musiklernschulenabgänger auch noch Macher der MTV-Sendung „Sifl And Olly Show“ und überhaupt ein sagenhaftes Multitalent, macht auf „United States Of Whatever“ (Virgin) in eineinhalb atemberaubenden Minuten auf trashigen, nerdigen LoFi-Punk. Das muss er sein, der Sommerhit des Anti-Poppers. Und: Video angucken, verdammt!

Achtung! Obacht! Vorsicht! First appearance der Kings Of Leon im Musikmagazin Ihres Vertrauens. Nicht daran stören, dass Noel Gallagher das Quartett aus Tennessee als seine „new fucking favourite band“ betrachtet, nicht daran stören, dass die EP „Holy Roller Novocaine“ (RCA – US-Import) von Ethan Johns (of des drögen Ryan Adams fame) produziert wurde. This is the new shit. Garagenrock-Revival revisited. Und jeder kann sich wieder auf persönliche Spurensuche begeben, um Einflüsse rauszuhören, wie er lustig ist: The Stooges, MC 5, Velvet Underground und, äh, Creedence Clearwater Revival, und das ganze schöne alte Zeugs. Wir sagen: die besten blechernen Gitarrensoli seit Buffalo Springfield.

Gerade ist einer, dessen Name an dieser Stelle nicht genannt werden darf, weil er Informantenschutz genießt, ins Zimmer reingekommen, hat auf dem Schreibtisch die Single „Take You Home“ (Elektra/Eastwest) von Angie Martinez rumliegen sehen und so euphorisch, wie er eben sein kann, ausgerufen: „Angie Martinez! Die ist gar nicht mal so schlecht.“ Nach Anhörung der Single der legendären Radio-DJane muss die Behauptung des Informantenschutz Genießenden allerdings als weitgehend haltlos zurückgewiesen werden. Das ist so HipHop-R’n’B-Sülze, wie man sie aus jedem zweiten Päckchen zieht. Vielleicht ist das aber auch ganz toll, und es liegt an der Hitze. Diese Hitze.

Selbst „gestandene“ Pop-Hasser ziehen langsam den Hut vor den No Angels. Weil die I länger durchgehalten haben als die prognostizierten zwei Wochen. Und Durchhaltevermögen ist ja das Totschlagargument, wenn gar nichts mehr geht, bei der Rechtfertigung von zur Rechtfertigung anstehenden Bands. Wie oft hört man dieser Tage Sätze wie „Die White Stripes sollen erstmal so lange auf der Bühne stehen wie die Rolling Stones, dann sehen wir weiter.“ Jack White im Sommer 2037 im pinkfarbenen, ärmellosen Shirt und Radlerhosen, Grimassen schneidend im Berliner Olympiastadion? Nein danke, mir wird schlecht. Dann schon lieber die No Angels in einem Hauch von nichts, hier und heute als Yam!-Poster am Schrank hinter dem Schreibtisch, auf dem vorhin noch die komische Angie-Martinez-Single gelegen hat. Womit wir elegant den Übergang von „Satisfaction“ zu „Someday“ (Polydor/Universal) geschafft hätten. Ja, gut, soo schlecht ist das gar nicht. Dass muss an der Madonna-Stimme liegen, an diesem „La Isla Bonita“-Flair. Oder an der Hitze. Diese Hitze.

Das Beste am Film „Charlies Angels“ war der Soundtrack. Wegen des großen Erfolges eines der schlechtesten Filme aller Zeiten kommt jetzt: „Charlie’s Angels – Full Throttle“. Man muss kein Prophet sein, um zu behaupten, dass auch in diesem Fall der Soundtrack das Beste am Film sein wird – egal wie schlecht er ist. Zumindest deutet „Feel Good Time“ (Columbia/Sony) von P!nk darauf hin, die sich jetzt mit einem nachhaltigen „!“ schreibt. Produziert von William „Madonna“ Orbit und geschrieben von Beck, klingt das Stück mehr nach Beck-Weirdness als nach Orbit, bleibt aber immer noch ein hübscher Pop-Song. Der Sommerhit des Anti-Anti-Poppers.

Zum Schluss wird’s ziemlich lustig. Es geht um P.R. Kantate. P.R. ist die Abkürzung der Eindeutschung des englischen Discjockey aka „DJ“: Plattenreiter – Disc = Platte, Jockey = Reiter. Auf „Görli Görli“ (V2/Zomba) preist der Plattenreiter den Görlitzer Bahnhof in Berlin, der im Volksmund liebevoll „Görli“ genannt wird. Neben saudoofen Texten („0h Mann ick wohn ja nu Görli Görli /Alta dit macht da fix und ferti / Oh Mann ick wohn ja nu Görli Görli/In German we seh 6-an‘ 30“) gibt es hier auch Musik. Reggae-Pop. Ganz schlimm.