Hirnflimmern

State of the Arsch: Was die Kliemannkatastrophe des geschichtslosen Hipster-Fynns über die Deutschen sagt


Schwierige Zeiten. Gott – oder auch dem RTL-Tschieses – sei Dank sind die anderen immer noch ein Stück bescheuerter als wir. Die aktuelle Hirnflimmern-Kolumne von Josef Winkler aus dem ME 07/2022.

Na, haben Sie’s angeschaut? „Die Passion“ auf RTL? Nein, natürlich nicht, nur Spaß, Sie sind ja nicht komplett bescheuert – ach, was red ich: Sie lesen ja MUSIKEXPRESS (gute Wahl!), Sie sind nach allem Dafürhalten nicht annähernd bescheuert. Aber es muss wirklich Leute geben, die das geschaut haben, weil ja RTL, wie man hört, schon eine Fortsetzung plant. Man darf gespannt sein, „Passion II: Redemption“ oder so. Tschieses kehrt zurück mit einer Jünger/innen-Army aus übrig gebliebenen Casting-Sternchen und lässt die ganzen Hater, die ihm so übel mitgespielt haben, zur Hölle fahren, harr harr! Hoffentlich dann auch Silbermond. Ach, was weiß ich. Ich hab’ jedenfalls kurz reingeschaut auf YouTube und bin direkt ein wenig nostalgisch geworden. Früher, ja früher … Da wär’ so was Ketzerei gewesen, und zack, alle ab auf den Scheiterhaufen. Huch!

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Aber jetzt Hand aufs Herz: Haben Sie eine Platte – ja, oder eben einen Download oder ein NFT (wtf?) oder einen, bruhaha, Kunstdruck – von Fynn Kliemann daheim? Schon schwieriger, was? Da haben auch Leute zugegriffen, die überhaupt nicht annähernd bescheuert sind – oder wenn, dann nur ein kleiiiines bisschen. Jetzt kann man sagen, ich konsumiere zu wenig Schwachmatik-Medien oder lebe unter einem Stein oder hänge zu viel hinten im Stall bei den Schafen rum, jedenfalls: Ich kannte den nicht.

Auf einmal ist Kliemannkatastrophe, und alle sind ganz enttäuscht, weil sie so bescheuert waren

Bis „Das Hausboot“ auf Netflix lief, wusste ich nicht, wer das ist, und es ist wohl meiner verfeinerten Menschenkenntnis zu verdanken (konsultieren Sie mich gern in Zweifelsfällen), dass ich dann quasi instantly abgestoßen war von dem Typ. „Bevor das irgendein Idiot kriegt“, quakte Olli Schulz, der sich ja sowieso für den einzigen richtig 100-prozentigen Nicht-Idioten in Deutschland hält, in die Kamera, habe man sich das Hausboot des verstorbenen Kauntry-Malochers Gunter Gabriel gezogen, um es in einen „Rückzugs-Space für Kreative“ oder so ähnlich zu verwandeln, wo man schon mal sagt: Ich muss gleich brechen.

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Und dann konnte man mit ansehen, wie so ein geschichtsloser Hipster die Plattensammlung und das ganze Zeug von Gunter Gabriel wegschmeißt. Ich war fassungslos, wie das zugelassen werden konnte und hab’ das dann auch keine ganze Folge lang ausgehalten. Imagine my surprise, als ich später lernte, dass dieser geschichtslose Fynn einem regelrechten Wichtigtuer-Hipster-Imperium vorsteht und auch schon zwei Platten in den Top Ten hatte. Aber was heißt surprise, die Deutschen stehen halt wohl auf so freshe, optimistische Typen, die blumig daherreden können und ihnen hintenrum die Kohle aus der Tasche ziehen. Die einen dürfen halt dann feixend das Andenken einer Schlagerlegende auf den Müll hauen, die anderen eine Batterienfabrik in ein Naturschutzgebiet zimmern, yeah! Und auf einmal ist Kliemannkatastrophe, und alle sind ganz enttäuscht, weil sie so bescheuert waren. Oder sind. Aber keine Sorge: Sie und ich natürlich nicht.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 07/2022.