Popkolumne, Folge 120

Wut – ein Sommermärchen: Paulas Popwoche im Überblick


Paula Irmschler über Fußi und das Ende des Regenbogens, woke Arschlöcher, Britneys Ausbruch, die altjunge Avril und Urlaub in Malibu.

Letzte Woche viel im Bett verbracht, weil ich die barbarische Hitze unterm Dachgeschoss mal so richtig genießen wollte. Die Medien gaben ja auch einiges her, was easy mithalten konnte mit den Saufgesprächen vor den Kneipen. Als ich dann doch mal wieder rausging, hat’s direkt geregnet wie Sau, also zurück in die Koje und ab vor die Glotze. Interessant: Mittlerweile wird wirklich jedes Ereignis gleich besprochen und abgearbeitet. Ob Bachmannpreis, Bundestagsdebatte oder Ballspiele – es hat alles die gleiche Relevanz, es ist alles ernst und egal zugleich, wird im Internet bis zum Gehtnichtmehr zerpflückt und die zynischen Witze gepitcht bis schließlich jede Metaebene durch ist.

Der dümmste Tag aller Zeiten im Internet

Es fing irgendwann am Mittag des 22. Juni an und ebbte erst in den Abendstunden des 23. ab. Anlass war: Es sollte das Münchner Stadion in Regenbogenfarben beleuchtet werden, weil ein EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die ungarische Nationalmannschaft anstand und es in Ungarn mit Rechten für LGBTQ-Communities nicht weit her ist, in Deutschland hingegen schon, das wissen ja alle. Dazu sagte die UEFA Nein, weil es ein politisches Statement sei und das sei laut Regularien nicht drin. Daraufhin gab es die Verbiegungen des Jahrtausends.

Unpolitisch fanden es nämlich viele, ein Statement abzugeben, das sich explizit auf die Politik eines Landes bezieht. Weil politisch ist für manche Menschen alles, womit man sich nicht wirklich auseinandersetzen will, wo man nicht so richtig eintauchen will, weil sonst müsste man wirklich konsequent sein, radikal womöglich oder zumindest beim Wort genommen werden können. Unpolitisch ist das Ertragbare. Selbstverständlich wäre die Aktion politisch gewesen. Der Kampf, der unter der Regenbogenflagge geführt wird – seit Mittwoch würde ich eher sagen: wurde – war stets politisch. Menschenrechte sind politisch erkämpft worden, Nationen und damit ihre Mannschaften sind politisch, der Kapitalismus, der diese Form von Großereignissen „möglich“ macht, ist es, die Fußball-EM ist es. Politischsein heißt erstmal nix und alles, deswegen muss man sich eigentlich auch gegenüber dem Begriff nicht wehren. Es gibt zum Beispiel Symbolpolitik, das wäre die Beleuchtung gewesen. Symbolpolitik nervt auch, kann aber auch wichtig sein, um das politische Selbstbewusstsein bestimmter Gruppen zu stärken. Bei Symbolpolitik darf es nie bleiben und man hat die Möglichkeit, Leute auf ihre Symbolpolitik festzunageln und Forderungen zu stellen.

Und dann gibt es noch die völlige Aushöhlung von politischen Symbolen bis zur Unkenntlichkeit. Ist die Tage passiert. So hatte irgendwann jedes noch so verbrecherische Unternehmen im Laufe des Tages das Firmenlogo auf bunt umgestellt. Und für Deutschfans ersetzte die Regenbogenflagge ab einem bestimmten Zeitpunkt die Deutschlandfahne. Weil die Deutschen wollen sich nichts vorschreiben lassen und die Deutschen sind besser als die Ungarn und deswegen wedelten auch die dümmsten Dödel jetzt mit Regenbogenflagge im Netz rum, weil sich wirklich alles zum Chauvinismus benutzen lässt, wenn man es nur genug will.

Zu Grabe getragen hat die Regenbogenflagge als politisches Symbol für die Rechte von LGBT dann um 15:31 Uhr am 23. Juni 2021 Frontex. Genau, Frontex! Ebenjene europäische Grenzagentur, die für unzählige Tote an Europas Außengrenzen verantwortlich ist. Zum Beispiel für tote Menschen, die geflüchtet sind, weil sie wegen Homosexualität verfolgt wurden. Tschö, Pride Flag, wir brauchen was Neues.

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Billie und Britney der Woche

Keine Sorge, hier kommen nicht schon wieder Lobhudeleien, es geht eigentlich auch gar nicht so sehr um Billie und Britney, sondern, wie eben schon mal, um die Leute da draußen an den Geräten. Letztens diskutierten Soethof, Volkmann und ich noch bei Twitter Spaces darüber, ob Billie die neue Britney wird und wir waren uns einig: Nein. (Soethof schrieb außerdem noch diesen Text). Das liegt zum Beispiel daran, dass Eilish ein Supportnetzwerk hat, das dafür sorgt, dass sie nicht so stark ausgebeutet wird, daran, dass sie einer andere Generation angehört, in der sie sich Dank Social Media selbst präsentieren kann wie sie mag und dass sie selbst, auch durch die Erfahrungen von Vorgänger*innen, sehr reflektiert und sorgsam bei jedem Schritt, den sie macht, vorgeht.

Aber ich glaube, dass es für Künstlerinnen insgesamt nur besser werden kann, wenn wir Popkonsument*innen endlich auch unsere eigene Rolle bei der Kapitalisierung von jungen Frauen hinterfragen. Wir könnten zum Beispiel aufhören, alles in diese reinzuprojizieren und alles was geht aus ihnen rauszupressen. So musste sich Eilish die Tage dafür entschuldigen, dass sie in einem Video einen rassistischen Begriff von Tyler, the Creator mitgerappt hat. Einen Begriff, den sie nicht kannte. Sie war in diesem Video 13 oder 14 Jahre alt.

Jetzt kann sich jede Person mal überlegen, was los wäre, wenn jemand ein Video von unseren Teenie-Ichs rauskramen würde, beziehungsweise was für eine Scheiße man in dem Alter gesagt oder mitgerappt hat. Und dann wurde ihr auch noch „Queerbaiting“ vorgeworfen. Ein Begriff, den ich sauschwierig in Bezug auf Einzelpersonen finde. Klar, Firmen betreiben es (siehe oben). Sie wollen jede Konsument*innengruppe mitnehmen, natürlich auch die Queeren, also machen sie mit dem Lifestyle Werbung. Eilish jedoch hat ein Video mit anderen jungen Frauen gedreht und unter einem Instagram-Still aus diesem Video geschrieben „I love girls“.

Schande über sie. Wie kann sie nur? Liebt sie wirklich Girls? Hat sie nicht angeblich, eventuell, vielleicht (niemand weiß es) einen Freund, der vor Jahren mal irgendwo was Homophobes geschrieben haben soll (das war der dritte Shitstorm diese Woche)? Und bedeutet girls zu loven, das man mit ihnen schläft, weil man sich das nicht anders vorstellen kann? Und muss Eilish jetzt beweisen, dass sie so oder so ist, hat sie jemals gesagt, dass sie hetero ist und ist man hetero weil man angeblich, eventuell, vielleicht einen Typen datet? Fragen über Fragen.

Ich denk mir nur: Ihr Internetarschlöcher, mit solchen Vorwürfen tut ihr nur eines: Leute zu Outings zwingen, die das vielleicht (noch) gar nicht wollen. Neben misogynen Heinis muss man sich heutzutage also noch mit falschwoken Heinis rumärgern, die Ansprüche an die aktuelle Generation sind vielleicht nicht minder krass als zu Britneys Zeiten, wenn auch anders. Also lasst uns mal so nicht mit Leuten umgehen. Und mit Teenagern schon mal gar nicht.

Letzte Nacht lag ich dann noch eine Weile wach, weil ich die Abschrift von Britneys Rede beim Gericht zur Verhandlung ihrer Vormundschaft las. Das ist alles ganz schön krass. Es wirkt so, als hätte sie nur diese eine Möglichkeit, sich zu erklären, sie haut einmal alles raus, wirkt hastig und getrieben, aber auch wahnsinnig entschlossen. Aber auch im Falle von Britney sind wir (Fans) nicht unschuldig. Den Klatsch und die Memes haben viele von uns auch gern mitgenommen und nicht wenige sehnen sich zurück nach der jungen Britney mit der schönen Fassade. Nee, das kann’s auch nicht sein.

Also #FreeMusikerinnenvondieserganzenMarktscheiße.

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Underwhelming der Woche

Das TikTok von Avril Lavigne und Tony Hawk, das die Tage „viral ging“, ist natürlich auf Klicks konstruiert, so weit, so normal. Aber die beiden hätten sich schon etwas mehr Mühe geben können, um nicht nur wie deine Eltern, die noch mal „diesen Tanz von damals“ zeigen, zu wirken. Avril lipsynct im Klamottenstil von damals „Sk8er Boi“ und dann zeigt sich als ebenjener skatende Junge: Tony Hawk, wow. Wie oft sie es wohl gedreht haben? EINMAL? Oder doch eher zu oft & dann haben sie die glatteste, ödeste Version genommen?

Ist ja auch eigentlich egal. Was ich interessanter fand, war die Reaktion einiger Fans: OMG, Avril altert nicht! Leute, wir müssen damit aufhören. Warum „altern“ unsere Lieblingsstars „nicht“? Weil sie reich sind. Sie haben einen Haufen Leute, die sie eincremen, massieren, trainieren, pudern, frisieren, einkleiden, filtern, photoshoppen, spritzen und operieren. Alle altern und die Reichen cyborgen dazu ein bisschen. Fickt den Jugendwahn endlich und skatet auf euren Falten wenn ihr mögt. Ach ja, und: Avril ist übrigens erst 36 Jahre alt, also chillt.

Unerfragte Liste der Woche

Ich weiß nicht, warum, aber ich habe ein Ranking der Songs mit dem Titel „Malibu“ gemacht.

  1. Kim Petras – Malibu
  2. KeKe – Malibu
  3. Miley Cyrus – Malibu
  4. Hole – Malibu
  5. Sharon Van Etten – Malibu

Der Rest ist ziemlich unerträglich, vertraut mir.

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Fußballsongs verbieten! – Linus Volkmanns Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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