Popkolumne, Folge 90

Alarmstufe Zombie-Trump vs. The Screenshots: Linus Volkmanns Popwoche im Überblick


In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Paula „Rocky“ Irmschler die High- und Lowlights der Woche. Hier kommt die Episode zur KW 45/2020 und haut mit flammendem Schwert alle Solo-Selbständigen und Kulturschaffenden raus – dazu läuft in voller Lautstärke „Mr. Vain“. Habt ihr das Bild vor Augen? Dann kann’s ja losgehen. Die neue Popwoche, friends!

LOGBUCH KALENDERWOCHE 45/2020

So ändern sich die Zeiten: In meiner Jugend haben wir noch das Rad und später dann Bismarck gefeiert, heute ist es mittlerweile Halloween, was alle wuschig macht. In amerikanischen Filmen und Serien sieht man dabei immer wieder, wie freche Jugendliche die Häuser der Nachbarn mit Toilettenpapierrollen bewerfen. Ein Brauch, der es dieses Jahr definitiv schwer gehabt hat. Toilettenpapier ist im Supermarkt aktuell ja wieder härtere Währung als Zigaretten im Knast. Dafür wählte ich wenigstens eine Verkleidung, die gruseliger nicht sein konnte: Zombie-Trump, gelbe Haare, orangene Haut, Wut und Wahn im Blick, passt. So fühlte ich mich dem interessanten Politiker nah.

Zombie-Trump ernährt sich nicht unbedingt von Gehirnen

AKTIVISMUS DER WOCHE: #alarmstuferot

Beinahe hätte ich letzten Montag um 20 Uhr den digitalen Flashmob der Kulturschaffenden verpasst. Aber bloß beinah! Denn als ich kurz nach acht irgendwas anderes im Internet schauen wollte, gemahnten mich die Sanduhr und der hängende Screen daran, dass gerade unter dem Hashtag #sangundklanglos unzählige Künstlerinnen und Künstler live gingen. Es ergab sich also eine Art Datenstreik als Beifang… nun, vielleicht auch eine Methode, um Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht sogar eine effektivere, als Jan Josef Liefers die Wand anstarren zu sehen und sich durch stillgelegte (beziehungsweise doch musizierende) Orchester zu switchen – von denen jener Aufruf ursprünglich auch ausging. Ich kann leider nicht verhehlen, wie übertrieben lahm ich das New-Media-Phänomen des hashtag-Aktivismus empfinde. Und dann auch noch so sanft und gefällig wie hier inszeniert – da fehlt mir persönlich einfach das Konfrontative. Außer Kulturschaffende wollen sich tatsächlich nach außen bloß gerieren wie traurige Hofnarren mit Lauten und Internet-Zugang.

Doch möglicherweise hat sich der ein oder die andere Kunstschaffende gefreut, sich mal Teil eines Ganzen zu fühlen und nicht immer nur als vereinzelter Solo-Selbständiger. Vielleicht wurden hier Grundlagen für Netzwerke und echte Mobilisierungen gelegt. Dann will ich nichts gesagt haben. Aber statt mir wie Culcha Candela etwas über den Mund, hätte ich mir bei dieser Aktion lieber was über die Augen geklebt.

CHARITY DER WOCHE: REWE

„Möchten Sie 5 Euro an die Tafel spenden?“, wird man dieser Tage wieder im magischen REWE gefragt. Ob er das nicht einfach selbst tun könne, nach den Rekordumsätzen im Corona-Jahr, möchte man entgegnen. Oder am besten gleich noch mal nachrechnen. Man kauft REWE seine Eigenmarken quasi zum Ladenpreis ab – nur statt dass man sie selbst mitnimmt, darf sie die Tafel abholen. Müsste die Frage an der Kasse daher nicht streng genommen lauten: „Möchten Sie 5 Euro an REWE spenden?“

3 CLIPS FÜR 1 WOCHE

  • DUCKS ON DRUGS – „Ich bin dein Schmerz“

Vergesst Yoko und John, vergesst Joko und Klaas – das einzig gültige Künstlerpärchen in love sind Dani und Ente aus Hamburg. Okay, es bricht einem immer noch das Herz, dass Schnipo Schranke implodiert ist, aber die Bruchstücke alias Ducks on Drugs ergeben uns nun eben ein neues Ding. „Jedem Anfang wohnt ein Ende inne“, heißt es dann auch bei der zweiten Single („Ich bin dein Schmerz“), ein wunderbar skelettiertes Popstück zwischen Kraft und Verzweiflung.

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  • ENNY – „Peng Black Girls“

Aus Süd-London kommt die Sängerin Enny. Wenn man den Clip zu „Peng Black Girls“ sieht, wundert man sich über die Klickzahlen. Das ist noch nicht DER R’n’B-Hype dieses Herbsts?! Verblüffend. Aber dürfte sich sehr bald ändern: Old School Beats, die an A Tribe Called Quest erinnern und Storytelling, das aus der Black Community in Europa berichtet und dabei eine Brücke zu Afrika schlägt. Sensationell gut gemacht halt. Jetzt noch bei vierstelligen (!) Zugriffszahlen zusteigen – und später angeben, wenn Enny dann bei der Neuauflage von „Wetten, dass..?!“ zur Prime Time auftritt.

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  • MADANII & LLUCID – „Dngr”

„My nose is bigger than your whole vocabulary” singt MADANII und dreht sich elegant ins Profil. Selbst für mich – und ich komme vom Dorfpunk und Eurodance – ist klar, dass dieses Duo für die Zukunft von hiesiger Popmusik steht. Ein Gulasch aus Zeichen, ein Mosaik aus Sounds – und immer wieder wirft sich der ganz fette Beat rein. Sorry, für diese Überwältigungs-Prosa. Hört bitte selbst.

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DAS KLEINSTE INTERVIEW DER WOCHE: THE SCREENSHOTS

Diese drei Zaubernüsse für Aschenproedel haben also eine neue Platte: „2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee“ (Musikbetrieb R.O.C.K.). Die Spannung zwischen Meta-Ironie und Wahrhaftigkeit ist hier wieder immens. Kann mich nicht erinnern, welche Band sonst solche Strecken meist innerhalb eines Songs zurückzulegen im Stande ist. Fest steht, 2020 sind The Screenshots aus Wuppertal (oder so ähnlich) der Center-Shock hiesigen Pops. Damit war nicht unbedingt zu rechnen gewesen, aber hey, why not!

Wie sehr kommt Euch der zweite Quasi-Lockdown in die Quere für die neue Platte – und was nehmt Ihr Euch für den November vor?

THE SCREENSHOTS: Wie viele andere Artists mussten auch wir unsere Tour, die um das Albumrelease herum geplant war, zweimal verschieben, jetzt in den Herbst 2021. Deswegen haben wir für den November ein paar Dinge geplant, die man auch gut remote arbeiten kann!

Warum gerade LGoony als Feature-Gast auf Eurem Song „Träume“?

THE SCREENSHOTS: LGoony ist der coolste und auch jüngste Rapper der Welt. Kurt kennt LGoony schon einige Jahre, sie haben zusammen Videos gedreht, wie zum Beispiel für seinen Song „Nebel”. Inzwischen ist LGoony ein Freund der Band und verfolgt das Projekt seit Tag 1. Dabei ist er natürlich schon auf einem ganz anderen Level in einem anderen Genre unterwegs. Da können wir noch viel von ihm lernen, wie wir ja auch im Video zu „Träume” dargestellt haben. LGoony kann Sachen konkreter sagen als wir. Das finden wir gut. Auch wie er rappt ist gut. Generell ist er gut.

Ihr habt experimentiert mit gekauften Klicks auf YouTube. Hat dieser Move letztlich auch einen Rückkanal zu realen Kunden und Klicks? 

THE SCREENSHOTS: Wir haben im Vorfeld unsere Community auf Telegram um Rat gefragt: Sollen wir für das nächste Video Klicks kaufen und wenn ja wie viele? Als alle Stimmen ausgezählt waren, haben wir uns an das Wahlergebnis gebunden gefühlt: 100.000 Klicks sollten es sein. Irgendwas ging beim Einkauf schief, deswegen hatten wir schon vor Videorelease 10.000 Klicks drauf. Ist aber niemandem aufgefallen! Je mehr Klicks dann auf dem Video gelandet sind, desto mehr haben wir auch selber daran geglaubt, dass sie echt sind: Wir hatten unseren ersten viralen Hit! Mit dem Auftritt bei Klaas haben sich diese hohen Zahlen dann praktisch im Nachhinein erklärt. Unser Fazit: Klicks kaufen können wir eigentlich jeder Band uneingeschränkt empfehlen, gerade im Indie-Genre!

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MEME DER WOCHE

GUILTY OR PLEASURE (90S-EDITION, PT.18): CULTURE BEAT

Die Sache ist ganz einfach: Ein verhaltensauffälliger Act aus dem Kanon
der 90er wird noch mal abgecheckt. Geil or fail? Urteilt selbst!

FOLGE 18: Culture Beat 

HERKUNFT: Frankfurt/Main
GEGRÜNDET: 1989
GENRE: Eurodance
DISKOGRAPHIE:
4 Studio-Alben
ERFOLGE: „Mr. Vain“ steht in 11 Länder auf Platz 1 der Charts, erreicht auch in Amerika die Top 15 und Gold-Status und verkauft letztlich weltweit mehr als 10 Millionen Tonträger.
‚TRIVIA: Der Songschreiber hinter den Culture-Beat-Hits ist Nosie Katzmann, er verfasste sehr viele Stücke für andere Acts wie beispielsweise Jam & Spoon, Captain Hollywood Project, Scooter, DJ Bobo. Im neuen Jahrtausend packte er etliche seiner Electro-Songs mit Wandergitarre in eine ganz neue Anmutung.

PRO
Culture Beat ist Weltkulturerbe der Neunziger-Jahre-Popmusik. Auch Hater oder Free-Jazz-Afficionados kapitulieren vor ihrem größten Moment, der gleichzeitig auch den größten Moment von Eurodance überhaupt bezeugt: „I know what I want / and I want it now / I want you / ‚cause I am Mr. Vain”

CONTRA
Redundante Kirmes-Musik mit einem Lucky Punch. Culture Beat steht nach „Mr. Vain“ allerdings viel eher für die Blaupause von Gier in der Popindustrie. Gier, die sogar soweit reicht, Bands nur noch aufgeführt von wechselnden Playback-Sänger*innen durch die Großraumdiskotheken zu jagen. Hauptsache der Oktav-Bass klingelt.

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Wir sind wieder wer, aber wozu das alles – Paulas traurige Popwoche

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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