Alternative HipHop: Sechs Künstler:innen, die Genre-Grenzen sprengen


Wir präsentieren euch sechs Rap-Artists, die einen etwas anderen Sound haben.

Der HipHop ist eins der produktivsten Musik-Genres unserer Zeit. Niemand bekommt jeden Freitag mehr neue Musik geliefert als Rap-Fans. Neben der allgemeinen Beliebtheit, derer sich die Stilrichtung erfreut, ist nicht zuletzt die niedrige Einstiegsschwelle für neue Künstler:innen ein Grund für die hohe Zahl an neuen Veröffentlichungen. Über die Jahre entwickelte sich so ein gewisser Mainstream-Sound, der sich heute vor allem an Pionieren aus dem Süden der Vereinigten Staaten, etwa Travis Scott aus Houston, und Future aus Atlanta, orientiert.

808-Drums und -Bass, Trap-Flow und Autotune erscheinen vor allem neueren HipHop-Hörer:innen oft alternativlos. Wer allerdings einen Blick unter die Oberfläche der größten Spotify-Playlists wagt, wird unweigerlich auf Rap-Artists stoßen, die ganz anders klingen. Wir wollen unseren Blick in diesem Artikel auf ebensolche Künstler:innen richten. Diese werden unter dem zugegebenermaßen etwas ungreifbaren Genre-Begriff des „Alternative HipHop“ zusammengefasst. Lange Rede, kurzer Sinn: Hier sind sechs Musiker:innen, die HipHop-Grenzen sprengen.

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Action Bronson

Samples aus aller Welt, Zeilen mit kulinarischem Bezug und Reime, die er seinen Hörer:innen in schnellster Abfolge um die Ohren haut – so in etwa lässt sich das Erfolgsrezept des ausgebildeten Kochs Arian Asllani, besser bekannt als Action Bronson, auf den Punkt bringen. Er tritt vor allem als ausgezeichneter Storyteller auf den Plan. Mit seinen Texten schafft er seine eigene Welt. Die geheime Zutat: Eine Extra-Prise derber, aber intelligenter Humor. „Arm out the window, leave ‚em crippled / Dawg, it’s been six years, I’m trying to get in contact with Pitbull / We’ve got some business to get into“, rappt er etwa auf „Subzero“ vom aktuellen Album COCODRILLO TURBO (2022), um nur ein Beispiel zu geben. Sein direkter Flow und der schnörkellose Delivery unterstreichen den humorvollen Vibe seiner Musik.

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Nach eigener Aussage sucht der 39-Jährige den Großteil seiner Samples selbst heraus. Seinen Produzent:innen, zu denen auch sein langjähriger Freund The Alchemist zählt, gebe er dann lediglich den Auftrag, daraus geeignete Beats zu basteln. Diese haben dann meistens Jazz- und Soul-Anleihen, welche allerdings anders verarbeitet sind als zu Hochzeiten des East-Coast-Rap. Bronson und seine Produzent:innen lassen die Samples für sich sprechen und fügen nur vereinzelt neue Elemente hinzu. Bis auf einige Feature-Auftritte, kam 2023 noch nichts Neues von „Baklava“. Wir sind gespannt, was da auf seinem Herd köchelt und gucken bis dahin das Musikvideo zu „Latin Grammys“, ein ebenso alberner wie genialer Clip von Action Bronson.

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JPEGMAFIA

Genau wie bei Action Bronson, hat auch in JPEGMAFIAs Werk das Sampling einen hohen Stellenwert. Mehr Gemeinsamkeiten werden sich in der Musik der beiden aber nur schwer finden lassen. Barrington DeVaughn Hendricks oder „Peggy“, wie seine Fans den 33-Jährigen nennen, produziert abstrakte, chaotische Beats, für die er seine Samples in seine Einzelteile zerlegt, und deren Pitch und Tempo erhöht. In seiner Produktion rücken die Vocals in den Hintergrund. JPEGMAFIA erschafft sehr rohe Klangbilder und grenzt sich dadurch vom glattpolierten Mainstream-Sound ab. Das beste Beispiel dafür ist seine neueste Platte SCARING THE HOES, die er gemeinsam mit Danny Brown (der eigentlich auch einen Platz auf dieser Liste verdient hätte) aufnahm. Auf „Garbage Pale Kids“ sampelte Peggy eine japanische Werbung für abgepacktes Fleisch aus den 80er-Jahren.

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Er ist darauf aus, anzuecken. Sowohl mit seinem Sound, als auch mit seinen Texten. Diese sind auf der einen Seite politisch motiviert: Er rappt – teilweise sehr explizit – über Polizeigewalt und Rassismus und über seine gewalttätige Gegenwehr. Auf der anderen Seite triefen sie nur so vor Internet-Kultur- und Gaming-Referenzen, die nicht jede:r sofort versteht, ohne zu googeln. „They don’t even come outside, don’t ever see mans late night like Conan / They off of that 2chan high, incels just can’t let it go like Frozen“, rappt er etwa auf „Steppa Pig“ von der aktuellen Platte SCARING THE HOES. Man muss schon sehr „terminally online“ sein, um aus diesen Zeilen schlau zu werden. 

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billy woods

Alternativer Rap und New York scheinen eine magische Verbindung zu haben. Billy Woods ist dort zwar nicht geboren, zog aber in den 80er-Jahren mit seinen Eltern in den Big Apple. Dort fing er Ende der 90er an, Musik zu machen. Das Alleinstellungsmerkmal des 44-Jährigen: Sein Flow, der stellenweise fast in gesprochenes Wort übergeht. Gepaart mit seinen oft abstrakten – teils kryptischen – Texten, denen eine mysteriöse Poetizität innewohnt, wirken billy-woods-Parts wie die Predigten eines Mannes, der über außerweltliches Wissen verfügt. Und tatsächlich steckt die Biografie des Armand-Hammer-Rappers voller Erfahrungen, die zwar nicht außerweltlich, für einen westlichen Künstler aber mindestens außergewöhnlich sind.

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Einen großen Abschnitt seiner Kindheit verbrachte er in Zimbabwe. Sein Vater war in den Unabhängigkeitskrieg des Landes verwickelt, später war er an der Regierung beteiligt. Diese Erlebnisse hat billy woods auf seiner Platte AETHIOPES (2022) verarbeitet. Der beste Track des Albums, „ASYLUM“, verdeutlicht woods‘ Talent am eindrücklichsten. Er beschreibt ein politisch instabiles Land und eine sich im Zerfall befindende Familie. Interessant ist dabei vor allem, wie er diese Sachverhalte darstellt. Impressionistisch pickt er sich einzelne Momente heraus und beschreibt diese in größtem Detail. Der Zusammenhang entsteht zwischen den Zeilen. Für den Beat verarbeitete DJ Preservation ein Sample des äthiopischen Sängers Alemayehu Eshete Andarge.

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Sonnyjim

Nicht nur Amerikaner:innen können Alternative Rap. Sonnyjim aus London vereint den lässigen Stil seiner amerikanischen Vorbilder (zu denen vor allem MF DOOM zählt) mit UK-Elementen, die sich vor allem in seiner Vocal-Performance wiederfinden. Es gibt unzählige europäische Underground-Rapper, die sich die Boom-Bap-Formel zu eigen gemacht haben und über den Status als bessere Kopie nie hinauskommen konnten. Sonnyjim hingegen versteht, dass es mit Madlib-Type-Beats und ChatGPT-esken Marihuana-Texten nicht getan ist. Man muss die Kultur verinnerlicht haben, um sie nach außen repräsentieren zu können. Dass Sonnyjim dieses Kriterium erfüllt, hat er spätestens 2022 mit seinem Track „Barz Simpson“ bewiesen. Mit Features von Jay Electronia und niemand Geringerem als MF DOOM selbst, ist „Barz Simpson“ ein Reim-Feuerwerk voller popkultureller Referenzen, wie man sie von Sonnyjims Vorbild, dem „maskierten Superschurken“, kennt.

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„I’m all over my Anna Kournikova / I had to call her over, Casanova / Pop the cork on the four poster / Score a goal like Zola and take home the Gorgonzola“ rappt er in seinem unverkennbaren Akzent. Die Reimkette geht weiter: „Gorbachev chop the yola, roll the Utopia / Black bottle Remy at the Grosvenor / I’m the composer, poser / Arrogant Adrien Broner, Sinatra, Sosa“. Sonnyjim versucht eben nicht den New Yorker aus den 90er-Jahren zu cosplayen, sondern greift in seinen Texten seine eigene Biografie auf. Verbunden mit dem „New Old School“-Sound, mausert sich Sonnyjim langsam aber sicher zu einem anerkannten Alternative-Rapper.

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Sampa the Great

HipHop trifft bei Sampa the Great auf klassische afrikanische Klänge. Anders als bei anderen Crossover-Artists, ist bei ihr allerdings nicht der HipHop die Hauptkomponente, bei der ein paar Extras eingestreut werden. Bei Sampa verhält es sich umgekehrt: Sie greift für ihre Kunst in erster Linie in den musikalischen Werkzeugkasten ihrer Heimat, Sambia und Botswana. In ihren Texten befasst sich die 29-Jährige mit Spiritualität und (Black) Female Empowerment und zeigt sich oft naturverbunden. Ein Kontrast zu westlichem Rap, bei dem die Großstadt und der damit verbundene Lifestyle unumgänglich scheinen. Zwischen den Zeilen schwingt eine Kritik der hyperkapitalistischen modernen Gesellschaft mit. „Rhythm of life jam nation / You realise all the time we wasting / You realise all the pain we facing / Please pour a cup, Feminine libation / My gosh we racing / Please sympathise all the lives we raising / Please realise all the time….“, eröffnet sie ihre Hit-Single „Energy“ von 2018.

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„The birds and the bees ain’t got nothing on me“, heißt es in der Pre-Hook. Eine Anspielung auf ihr früheres Mixtape BIRDS AND THE BEE9, das Gast-Vocals ihrer Schwester enthält. 2019 veröffentlichte sie ihr erstes Studio-Album THE RETURN, 2022 folgte AS ABOVE, SO BELOW, das sie in ihrer Heimat Sambia aufgenommen hat. Auf letzterem steuerten unter anderem Denzel Curry und Joey Bada$$ Beiträge bei.

Team Dynamite

Team Dynamite ist eine Rap-Gruppe aus Neuseeland. 2014 gelangen Tony Tz, Lucky Lance und Haz Beatz mit „Very On“ vom Album SHEPHERDS DELIGHT ein Treffer in die internationalen Skate-Rap-Playlists. Der Beat ist so laid back, dass er umkippen würde, wenn er noch mehr laid back wäre. Die Rap-Parts sind erfrischend anders. Der neuseeländische Slang, die Betonungen, die Flows – all das fühlt sich bei Team Dynamite, aber besonders auf „Very On“, an, wie ein entfernter Cousin der uns bekannten HipHop-Klänge. Die anderen Tracks der Platte hinken dem großen Hit in Sachen Streamingzahlen zwar hinterher, können aber qualitativ definitiv mithalten.

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Nachdem sich die Crew eine Auszeit nahm, kamen sie 2021 mit dem Album RESPECT THE PROCESS zurück. Die Platte hat mehr Soul-Einflüsse als noch SHEPHERDS DELIGHT, sie klingt dadurch reifer, büßt aber nichts an Vibe ein. „Who?“, der beste Track des Albums, ist ein düsterer Boom-Bap-Banger. Auch hier machen sich die Neuseeländer universelle HipHop-Elemente zu eigen und versehen sie mit einer Prise Aotearoa (Māori-Bezeichnung für Neuseeland).

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