Interview

Fatoni über den Generationenvertrag im Rap


Der gebürtige Münchner Fatoni hat mit WUNDERBARE WELT eine autobiografische Platte veröffentlicht, die diverse Dekaden Deutschrap überschaut. Ein Gespräch über den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart.

Die Songs von WUNDERBARE WELT wirken auch über ihr Zusammenspiel. Ist der künstlerische Anspruch eines solchen „echten Albums“ aber noch zeitgemäß, wo soziale Medien die Musik immer weiter verkürzen?

FATONI: Ich komme aus einer Generation, die komplett mit Albummusik aufgewachsen ist – und es gibt zum Glück noch Künstler, die so arbeiten. Am Ende ist das auch die Musik, die ich selbst am beeindruckendsten finde. Daher stelle ich mir natürlich die Aufgabe, auch meine eigenen Platten in diese Form zu bringen.

Die songkonzentrierte Veröffentlichungsweise der Gegenwart ist dir aber auch nicht fremd?

Ich habe 2021 zum Beispiel diesen House-Song „Feeling“ fertiggestellt, der fiel bereits in den Prozess der neuen Platte, aber ich dachte mir: „Komm, den hauste jetzt mal raus, wie das ein Gen-Z Rapper machen würde.“ Das hat gut funktioniert, ich sehe da auch den Reiz. Aber dennoch glaube ich, dass es wichtig ist, dass noch Leute übrig bleiben, die „richtige Platten“ machen wollen. Und sei es dann auch für eine etwas ältere Zielgruppe.

Eine Zeile aus dem Titelstück lautet „Wieso bin ich Ende dreißig / und mein Job ist deutscher Rap?“ Wie fühlst du dich damit, älter zu werden im HipHop? Das Genre ist im Gegensatz zu Rock sehr jugendlich aufgeladen.

Es ist auf jeden Fall ein Drahtseilakt – der mir aber, glaube ich, gelingt … auch wenn vielleicht manch Zwanzigjähriger das anders sähe, das liegt ja auch in der Natur der Sache. Trotzdem bin ich überzeugt, dass dieses Genre gut altern kann. Ich schaue auch auf Generationen über mir, bei denen ich sehe, die kriegen das glaubwürdig hin – wie Max Herre oder Deichkind. Und sind dabei erwachsene Menschen. Das hat etwas Inspirierendes, also dass man nicht irgendwann einfach aufhören oder, noch schlimmer, Singer/ Songwriter werden muss. (lacht)

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Wie sehr interessieren dich neue Trends im Rap? Gesichts-Tattoos hast du offensichtlich ausgelassen, aber Auto-Tune kann man auf „Pete“ hören und „Ich surfe“ klingt sehr gegenwärtig – weit weg von Old School.

Das empfinde ich auch so bei „Ich surfe“, obwohl ich sicher nicht behaupten würde, total am Puls der Zeit zu sein. Ich verfolge längst nicht alles und es dreht sich auch sehr schnell. Für mich waren BHZ immer so das Bild für die jungen Rapper … aber da sind schon wieder fünf Jahre oder so vergangen und ein heutiger 19-Jähriger hält die wahrscheinlich bereits wieder für alte Schule. Ich selbst höre ohnehin viele Sachen außerhalb von Rap – und kann so auch andere Einflüsse mitnehmen in meine Musik.

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Mir geht es so, wenn sogar jemand wie Kollegah auf einem Track Auto-Tune einsetzt, das nehme ich dem nicht ab.

Kollegah verfolge ich schon lange nicht mehr. Aber es deckt sich auch mit meinem Gefühl, wenn ich in gewisse große deutsche HipHop-Playlisten reinhöre … also dass ich denke, das ist doch nicht euer Ernst. Dort trifft sich eine sehr marktorientierte Herangehensweise an Musik – die mag legitim sein, aber das ist nicht das, was ich machen möchte.

Ein Thema taucht in drei Songs auf und wirkt sehr aufgeladen – wie sehr verfolgt sie dich noch, die Schule?

Dass da ein Motiv der Platte liegt, ist mir auch aufgefallen. Die Schule zieht sich schon immer durch mein Schaffen – nur zuletzt war es weniger geworden, doch da dieses Album einen autobiografischen Fokus besitzt, blitzt es wieder deutlich auf. Ich habe Frieden damit gemacht, allerdings auch lange darunter gelitten. Ich sah mich selbst als Loser, ich habe gedacht, ich kann ja nicht so klug sein, weil ich kein Abi habe. Als ich dann an der Schauspielschule genommen wurde, hat mir das dann Bestätigung gegeben. Für mich war das so was wie: „Seht her, ich kann doch was!“ Auch wenn ich schon viel im deutschen HipHop jener Zeit hinbekommen hatte, bedeutete mir offensichtlich die Anerkennung von so einer bildungsbürgerlichen Institution sehr viel damals, elitäre Scheiße, ich weiß. In meinem Alltag spielt das Thema jetzt zumindest keine Rolle mehr – und wenn, dann mache ich mich darüber lustig: Also dass ich zwar kein Abi habe, aber trotzdem vielleicht der bekannteste Studentenrapper Deutschlands bin.

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Aktuell läuft es auf das Comeback der Neunziger hin. Eines deiner Stücke heißt „Mein junges Ich“,ein anderes „Mid 90s“ – wie nostalgisch oder auch nicht schaust du auf diese Dekade?

Klar, das ist meine Jugend, das war die intensivste Zeit, aber ich sehe vieles kritisch mittlerweile. Wir dachten damals, dass wir in der Hip-Hop-Community so mega woke waren – auch wenn es das Wort noch nicht gab –, wir nahmen uns als supertolerant wahr. Es ist eine Erkenntnis erst der letzten Jahre, dass ich das nicht mehr unterschreiben würde. Denn innerhalb dieses Selbstverständnisses waren wir viel eher sehr ausgrenzend, es herrschte – auch den Begriff kannte man noch nicht – toxische Männlichkeit. Davon spreche ich auch in dem Stück „Mein junges Ich“: dass abwertend gemeinte Worte wie „schwul“ und „Spast“ sowieso selbstverständlich waren, aber dass sich die Diskriminierung nicht nur auf Sprache beschränkte. Ohne dass wir ansatzweise Gangster waren, war es sehr hart, man wollte und durfte keine Schwäche zeigen.

Du schonst dich selbst in dieser Rückschau nicht, Nostalgie ist das nicht.

Der Zeitgeist ist am Ende immer stärker als man selbst. Und es ist leicht, mit dem Blick von heute auf Produkte der Neunzigerjahre zu schauen und zu sagen, das geht ja alles gar nicht. So leicht wollte ich es mir nicht machen, daher habe ich auf mich selbst geschaut in dieser Epoche.

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Mit deinem jungen Ich gehst du arg ins Gericht, im Song bekommt es zum Schluss eine Ohrfeige.

(lacht) Ja, so eine Respektschelle hätte man öfters verdient gehabt – das ist doch okay, das für sich selbst zu begreifen.

Dieser Text erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2023. Hier bestellen.