„Reflektor“-Kolumne

Jan Müllers „Reflektor“-Kolumne, Folge 10: Warum keine Band den unvermeidlichen Verfall so treffend besungen hat wie Superpunk


Jan Müller von Tocotronic trifft für seinen „Reflektor“-Podcast interessante Musiker*innen. Im Musikexpress und auf Musikexpress.de berichtet er von diesen Begegnungen. Hier die zehnte Folge, in der er erklärt, wie Carsten Friedrichs es schafft, so viel Leichtigkeit und Weisheit in seine Songs zu packen, wie wir sie viel zu selten in der deutschen Popmusik finden.

Carsten Friedrichs war der erste Mensch in meinem Bekanntenkreis, der eine richtige Band hatte. Also nicht so eine, die im Übungsraum vor ihren Kumpels großtat, sondern eine mit wirklichen Auftritten und sogar eigenen Schallplatten. Er erzählte mir davon in der wunderbaren Bescheidenheit, die ihn bis heute auszeichnet, ganz beiläufig. Wir kannten uns von gemeinsamen Polit-Aktivitäten. Vermutlich wirkte er in dieser Szene ebenso deplatziert wie ich. Er mit Ringelpullover und Desert-Boots, ich mit Pumuckl-Frisur und Trainingsjacke.

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So etwas wie die „Jesterbells“, so der Name seiner damaligen Band, hatte ich zuvor noch nicht gehört. Liebliche Melodien und merkwürdige Titel wie „Proud And Wild Forever“. Natürlich ging ich von da ab gemeinsam mit meinem Freund Arne Zank zu jedem Konzert seiner Band. Es war ein Genuss, zu sehen, wie sie die Säle leerspielten, einfach weil das Publikum sie – abgesehen von einer Handvoll Spezialisten – nicht verstand. Sie waren Teil einer in Deutschland damals kaum wahrgenommen Musik. Das Label „Marsh Marigold“ ihres Schlagzeugers Oliver Goetzl war die Hamburger Dependance des Wimp-Pop.

Die Jesterbells versuchten die Popmusik mit Sanftheit zu revolutionieren

Gemeinsam mit einer Handvoll weiterer, über die Republik verstreuter Bands versuchten sie die Popmusik mit Sanftheit zu revolutionieren. Dies war damals noch alles sehr an den britischen Vorbildern wie den Pastels, den Young Marble Giants oder The Wedding Present orientiert. Die Jesterbells splitteten sich dann bereits im Jahr 1989 auf. Oliver Goetzl und Gerrit Herlyn riefen die apodiktisch brit-wimpigen Red Letter Day ins Leben, während Carsten zusammen mit Julia Lubcke vom Englischsprachigen ins Deutsche wechselte und Die fünf Freunde gründete. Eine Band, die es immerhin auf diverse EPs, zwei Alben und einen Major-Plattenvertrag brachte.

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Es war Stärke, aber auch vielleicht Problem des Sextetts (!), dass sie über drei Songwriter*innen verfügten. Ich weiß gar nicht, wie oft ich sie live sah. Schließlich waren wir mit Tocotronic sogar Vorband auf einer richtigen Tour. Booking-Agent Thies Mynther (später Mitglied bei Superpunk) hatte eine eigene Booking-Strategie: Die Konzerte spielten sich größtenteils im Sauerland ab. Thies war außerdem Tourmanager, Live-Mischer, Verwalter der Wichtig-Tasche und später dann Produzent des letzten Fünf-Freunde-Albums.

Pop, Northern-Soul, ein sehr feinsinniger Humor und eine hintergründige Melancholie

Kurz darauf löste sich die Band auf. Julia machte mit Concord weiter, Henning Fritzenwalder mit Camping und Carsten gründete Superpunk. In der allerersten Formation dieser Band spielte ich Bass. Ich war aber bald damit überfordert, nicht mit all den C-G-A -Akkordfolgen von Superpunk und jenen C-h-Moll-E-Figuren von Tocotronic durcheinanderzukommen. Außerdem spürte ich, dass ich musikalisch doch immer ein wenig auf einer anderen Wellenlänge war als Carsten.

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Mit Superpunk hatte er vermutlich von Anfang an die Idee, Pop, Northern-Soul, einen sehr feinsinnigen Humor und eine hintergründige Melancholie miteinander zu fusionieren. Für mich war damals Soul vermutlich ebenso ein Buch mit sieben Siegeln wie für Carsten Rock und so stieg ich bald wieder aus. Aber ich habe nie aufgehört, alles was Carsten produzierte, mit riesiger Begeisterung zu verfolgen. Keine Band hat zum Beispiel hinter der täuschenden Fassade von Disco-Leichtigkeit und Humor so treffend den unvermeidlichen Verfall besungen wie Superpunk: „Und die Erinnerungen tun so weh / Die Zeit mit dir am Comer See / Und eins und eins ergibt nicht mehr zwei / Und das Feuerwerk ist vorbei“.

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Zeilen der existenziellen Verzweiflung

Superpunk wurden zur Kult-Band und Carsten verfeinerte sein Songwritertum immer weiter, doch selbst seine wenigen Chartsaufenthalte waren jeweils nur Kurztrips. Allerdings ist seine kommerzielle Kompromissbereitschaft auch nicht die größte. Aber das macht die Musik umso wahrhaftiger und schöner. Zeilen der existenziellen Verzweiflung, die in den Texten von Superpunk leider von vielen oft übersehen wurden, finden sich bei Carstens derzeitiger Band, der „Liga der gewöhnlichen Gentlemen“ nun weniger.

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Carsten scheint sich mit dem Schicksal versöhnt zu haben. Interessanterweise raubt ihm diese Haltung nicht seine poetische Kraft. Wenn er auf dem aktuellen Album singt: „Männer mit schönen Haaren / in einer Finca auf den Balearen. (…) In ihrer Jugend waren sie linksradikal / heute nicht mehr, so ist das nun mal“, so schenkt uns das so viel Leichtigkeit und Weisheit, wie wir sie viel zu selten in der deutschen Popmusik finden.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen :: Fuck Dance, Let’s Art!

Zu Jan Müllers „Reflektor“-Podcast: www.viertausendhertz.de/reflektor

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2021.