Oral History

Musiker erzählen von den Abenteuern, die sie erlebt haben als die Berliner Mauer fiel


Zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall: eine Oral History von und mit MusikerInnen, die die Ereignisse des 9. November 1989 live auf beiden Seiten der Berliner Grenze miterlebt haben. Mit Berichten von Faith-No-More-Bassist Billy Gould, Jacques Palminger, Mia-Schlagzeuger Gunnar Spies, Christiane Rösinger und anderen Zeitzeugen, die sich an diese sagenhafteste Nacht der neueren deutschen Geschichte erinnern.

Gudrun Gut: „Ich buhte und wurde fast gelyncht“

Die Musikerin, Produzentin, DJ und Label-Inhaberin Gudrun Gut war aus der Lüneburger Heide nach Berlin gezogen und hatte sich quer durch den dortigen Underground einen Namen gemacht, als Mitglied von Mania D., Einstürzende Neubauten, Malaria! usw. usf. Das Berlin der 80er kannte sie auch von hinter der Theke aus, sei es als Schmuckgestalterin oder Barfrau.

In unserem Studio in der Monumentenstraße, ich arbeitete noch an irgendetwas (ihr damals bekanntes Projekt war das Trio Matador; siehe Video unten – Anm. d. Red.), lief nebenbei der Fernseher, da hörte ich es: „Die Mauer ist auf!“ … Was? Das muss ein Fake sein! Ich lebte ja schon seit 1975 in Berlin und das war ohne Mauer einfach undenkbar. Außerdem war für mich klar, dass der Osten sie brauchte, um sein System am Laufen zu halten.

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Also ging ich nachschauen, und da fuhr schon der erste Trabbi an mir vorbei – im Westen! Ich lief gleich weiter zu der Kneipe, dem „Clip“ in der Yorckstraße, wo Johnny (Klimek – Anm. d. Red.), mein damaliger Partner, mit anderen einen Geburtstag feierte, um die große Nachricht zu verbreiten – und wurde zuerst sogar ausgelacht.

In den folgenden Tagen waren wir ehrlich gesagt erst einmal geschockt von unserer neuen Lebenssituation: Man konnte fast nirgendwo mehr einkaufen, überall standen lange Schlangen, die U-Bahn war überfüllt, lauter fremde Leute mit Plastiktüten und Stone-Washed-Jeans, die aber eben alle Deutsch sprachen. Andererseits war ich auch überwältigt, mir kamen manchmal sogar die Tränen.

Die schnelle Vereinnahmung der DDR durch den Westen fand ich allerdings nicht gut. Am 10. November war ich an der Gedächtniskirche, wo Helmut Kohl eine Rede hielt, von wegen in wenigen Jahren sind wir alle gleich und so weiter. Ich buhte dazwischen und wurde fast gelyncht von den Leuten. Das war neu im sonst so wilden, aufmüpfigen Westberlin.

Letztlich hat mich die Maueröffnung aber auch davon abgehalten, die Stadt zu verlassen. Ende der 80er war die Szene hier ja am Auseinanderbröckeln und da öffneten plötzlich überall diese neuen Clubs im Osten, in Kellern und Hinterhöfen, alles fühlte sich neu und anders an, war ganz dunkel und verwunschen.

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